ETFs wurden Ende der 1980er-Jahre erst möglich, als man einige wichtige Herausforderungen gemeistert hatte: Der Handel erfolgte schon von Anfang an elektronisch. Die Preisfindung ebenfalls. Auch die Zusammensetzung sowie die Anpassungen an die Benchmarkindizes wurden ständig durch Computer überwacht. Und wenn die Indizes fallen, fallen auch die Preise der ETFs im gleichen Tempo. Ihre Handelbarkeit zwingt die Sponsoren dazu, Lösungen für raue Marktphasen und den anhaltend hohen Wettbewerbsdruck, der vor allem über die Preise ausgetragen wird, zu finden.
Tokenisierung: Made (auch) in Switzerland
Die «Tokenisierung» bildet einen wichtigen Anwendungsfall der hier zugrundeliegenden Blockchain-Technologie. Während man normalerweise für Aktien, ihre Derivate, für Fonds, ETFs, Rohstoffe und Währungen historisch entstandene und ausdifferenzierte eigene Handels-, Kommunikations- und Clearing- sowie Settlement-Wege und -Verfahren hat, lässt sich durch die Blockchain-Technologie eigentlich alles über die gleiche Infrastruktur handhaben. Anstelle der Zug-um-Zug-Abläufe, die ebenfalls traditionell mit der T+2-Verarbeitung einhergehen, tritt dann das sogenannte Atomic Settlement: Der Trade kommt erst zustande, wenn alle Bedingungen erfüllt sind – und dann erfolgen die normalerweise gestaffelten Schritte Handel, Clearing und Settlement praktisch gleichzeitig. Dadurch entfallen nicht nur Gegenparteirisiken, beispielsweise über das Wochenende (Lehman Brothers, Credit Suisse wurden jeweils über Wochenenden fallen gelassen respektive verkauft), sondern man setzt auch das Geld frei, das andernfalls hier zwei Tage im Zug-um-Zug-Prozess blockiert ist.
In einer sehr spitz kalkulierenden Industrie wie dem ETF-Geschäft bildet die Summe solcher kleinerer und grösserer Effizienzvorteile die Grundlage erfolgreicher Geschäftsmodelle. State Street Global Advisors beispielsweise verfolgt die Tokenisierung und hat hier laut eigenen Angaben bereits erste Tests vorgenommen. Geschwindigkeit und Effizienzverbesserungen stehen hier an erster Stelle, inklusive eines rascheren Settlements. Darüber hinaus bereitet man auch die Grundlagen für einen Quasi-Echtzeithandel vor. Und je nach Ausgestaltung lassen sich auch mehrere unterschiedliche Assets sowie eine Kombination unterschiedlicher Assetklassen und einzelne ETF-Anteile in Token-Form konstruieren, handeln und anpassen.
Auftrennbare Aktionärsrechte
Ein weiteres wichtiges Argument ist laut State Street Global Advisors die verbesserte Transparenz, die mit der Tokenisierung sowie der zugrundeliegenden Blockchain-Technologie möglich wird. So lassen sich die Auslöser bestimmter Aufträge vorprogrammieren, beispielsweise beim Erreichen gewisser Schwellenwerte, die sich nicht nur nach Kursniveaus, sondern auch nach weiteren Kriterien richten können. Schliesslich wird damit auch die «Fraktionierung» von Aktien möglich. Für 100 Franken gibt es dann 28 Prozent eines Roche-Genussscheins oder 1,12 Nestlé-Aktien. Gerade für kleinere Investoren lassen sich damit hoch individuelle Sparpläne und Depotvarianten umsetzen. Auch wird es dann möglich, den Kurs einer Aktie, die Dividendenausschüttungen und die Stimmrechte voneinander zu trennen und separat handelbar zu machen. Kleinanlegende mit 12,17 Nestlé-Aktien, die vor allem an hohen Erträgen interessiert sind, könnten zukünftig ihre Stimmrechte im Vorfeld einer Generalversammlung verkaufen und dafür eine kleine zusätzliche Entschädigung erhalten. Und generell erhöhen moderne Technologien die Transparenz – und auch Kleinanlegende können sich via App über die Preisentwicklung und Details ihrer Portfolios ständig informieren.
Die Fraktionierung erweitert auch den potenziellen Kreis der Anlegerinnen und Anleger, weil hierbei auch mit sehr kleinen Stückelungen eine gewisse Diversifizierung möglich wird. Solche Perspektiven treiben nicht nur die Assetmanager wie State Street Global Advisors, sondern auch die Neobanken, die auf der Suche nach Ausdifferenzierung im Wettbewerb mit den mobilen Applikationen der traditionellen Banken sind, um.
Keine begrenzten Öffnungszeiten mehr
Bei der jüngsten neuen Assetklasse, den «digitalen Assets», zeigen sich bereits Konturen des zukünftigen Assetmanagements auf: Bitcoin und Ether lassen sich inzwischen sowohl über ETFs auf traditionellen Infrastrukturen und über herkömmliche Wege kaufen und halten. Oder man kann sie direkt über eigene Wallets bei den Blockchain-Exchanges erwerben. Kosten-, Risiko- und Regulierungsthemen spielen hierbei eine Rolle, für welche Variante sich die Investoren und Investorinnen entscheiden. Auch entstehen dadurch Arbitragegelegenheiten, die nur deshalb nicht so brutal ausgenutzt werden wie bei anderen Assets, weil einfach die zugrunde liegenden Blockchain-Protokolle rasch an ihre Leistungsgrenzen gelangen. Vielerorts zeigte sich, dass der Handel der Regulierung teilweise um Jahre voraus war.
Und es gibt laut State Street noch weitere Herausforderungen: Der konventionelle Handel schliesst irgendwann am Freitagnachmittag und geht ins wohlverdiente Wochenende. Bei digitalen Assets ist das anders: Hier findet der Handel rund um die Uhr und an sieben Tagen pro Woche statt. Eine tokenisierte Nestlé-Aktie würde weiter gehandelt werden, selbst wenn beim Basiswert Pause ist – die modernen User haben sich via Bitcoin und Co. längst an den Rund-um-die-Uhr-Handel gewöhnt.
Für viele Herausforderungen wird man in den kommenden Jahren technologische und regulative Lösungen finden. Für Pausen zwischendurch will man sie vielleicht nicht finden: Gerade in Stressphasen hat sich in den vergangenen Jahren an den Finanzmärkten gezeigt, dass eine Pause Raum für kreative Lösungen gibt – und wenn es auch «nur» die Rettung einer Bank ist.