Als Mitte April 2000 die ersten Exchange Traded Funds (ETFs) auf den Euro Stoxx 50 und den Stoxx-50 an der Deutschen Börsen gelistet wurden, mussten die Vertreter des Emittenten Merrill Lynch auf ihren Roadshows weit ausholen: Ja, mit diesen Produkten verändern sich auch die Preise im Tagesverlauf – es gilt nicht wie bei Fonds der Stand des Vorabends. Die Preise des ETFs folgen den Basiswerten verblüffend präzise – im Gegensatz zu den Fonds, bei denen Abweichungen die Regel und, falls sie positiv ausfallen, erwünscht sind. Und die Preise sind transparent, die Produkte gut handelbar, weil an den Börsen gelistet.
Der Ursprung: Wettbewerb zwischen den Börsen
An solchen Details zeigte sich gleich früh der Ursprung dieser Produkte: Es sind umtriebige Investmentbanker wie die von Merrill Lynch, welche sie konzipiert hatten. Diese Herkunft erklärt auch die eingangs beschriebenen Eigenschaften – und auch die Bereitschaft, vieles anders zu machen als die aus Sicht der Investmentbankerinnen etwas betulichen Assetmanager. Allerdings war der Weg zum ersten «richtigen» ETF, der 1993 in den USA auf den Markt gekommen war, keinesfalls das Ergebnis eines gradlinigen Innovationsprozesses, wie das vielfach in den Marketingbroschüren geschildert wird. Vorangegangen waren ihm sogenannte Index Participation Shares (IPS), die von der American Stock Exchange (kurz: ASE) 1989 lanciert worden waren. Diese heute neben der Wall Street und der Nasdaq vergessene dritte New Yorker Börse musste sich irgendwie von den grösseren Handelsplätzen unterscheiden – und wählte diesen kreativen Weg. Auch das Umfeld war seinerzeit günstig: Der 1987er-Crash war verdaut, etliche aktive Aktien und Bonds zusammenstellende Fondsmanager hatten damals falsch disponiert, weil man dachte, dass nach dem Crash eine Rezession folgen würde. Diese kam nicht, 90 Prozent der Fondsmanager verfehlten die Indizes – und warum nicht gleich direkt auf den Benchmark setzen?
Hinzu kam ein steigender Kostendruck. Den Benchmark tatsächlich nachzubauen, im Fall des S&P-500-Index 500 Aktien proportional zu halten und gegebenenfalls die Bestände anzupassen – das führt bei einem mittelgrossen Fonds rasch einmal zu Kosten, die in keinem Verhältnis zu den Erträgen lagen. Investmentbanker erkannten das früh – und diese kauften dann bevorzugt gleich Index-Futures auf den S&P 500. Die wurden seinerzeit an der CME in Chicago gehandelt. Und von hier kam dann auch die Post der Anwältinnen an die der Amex: Die IPS seien den Futures zu ähnlich, weil man hier nur einen Indexwert «kaufe» und nicht alle Aktien.
Spider Woman schlug zu
Parallel dazu hatte man sich in Toronto an der lokalen Exchange (TSE) in der Bankenstadt Kanadas ebenfalls mit einem einfachen Index-Produkt auf den TSE-35-Index beschäftigt. Die TSE legte 1990 erste solche Produkte auf, die rasch populär wurden und was wiederum die ASE-Leute bewog, sich die Sache nochmals genauer und vor allem legal weniger anfechtbar anzuschauen.
Drei Jahre später sprang der US-Asset-Manager State Street auf den Zug auf: Man schuf einen «Standard & Poor’s Depositary Receipt», also eine Art Zertifikat auf einen Index-Fonds auf den Gesamtindex. Der «SPY», wie der Börsenticker lautete, wurde später zum volumengrössten einschlägigen Produkt der Welt. Die Klasse dieser Produkte wurde mit «SPDRs» abgekürzt und als «Spiders», also «Spinnen», ausgesprochen. Im ersten Team, das den SPY konzipiert hatte, war auch Kathleen Moriarty vertreten – was ihr später die liebevolle Bezeichnung «Spider Woman» bescherte, nach dem Vorbild der populären Actionfilm- und Cartoon-Figur.
Der Rest ist Geschichte: In rascher Folge kamen weitere Anbieter aus dem Kreis der Investmentbanken und Assetmanager. Es kamen auch weitere Index-Produkte wie 1998 der «DIA» auf den Dow Jones Industrial Index, auch hier behalf man sich in Form von «Diamonds» mit einer gut aussprechbaren Variante. 1999 folgte man mit Indexprodukten auf die Nasdaq; der Buchstabe Q war noch unbesetzt – und so wurde aus den «QQQs» der «Qubicle». Das sind die aus Filmen wie «Wall Street» bekannten kleinen Kabäuschen in US-Büros mit brusthohen Wänden für das Personal in subalternen Backofficerollen.
Neben Aktienindizes wurde in rascher Folge praktisch alles «ver-ETF-isiert», was es so gab: Obligationen, Edelmetalle, Währungen und, in auf den ersten Blick klein aussehenden Varianten, auch Rohstoffe.
Sparte von der Resterampe
Mit der Finanzkrise 2007/2008 erfolgte auch hier der erste echte Stresstest. Fonds überlebten auch die Pleiten der dahinterstehenden Banken – bei einigen ETFs und vor allem den ETPs, die für Rohstoffe genutzt wurden, war das öfters nicht der Fall. Viel schlimmer: Bei der scharfen Börsenbaisse zeigte sich, dass die aktiven Fondsmanager die Investorinnen nicht schützen konnten. Die Frage nach dem Mehrwert des aktiven Managements hält sich seither hartnäckig, sie wird anekdotisch bestätigt und empirisch vorwiegend widerlegt. Rare Ausnahmen gibt es – aber die arbeiten eher in der benachbarten Hedge-Fund-Industrie.
Mit der Finanzkrise kam auch die Disruption, das Aufbrechen der konventionellen Wertschöpfungsketten. Mit der steigenden Nachfrage nach neutraler Finanzberatung setzte sich ein Gebührenmodell gegenüber dem traditionellen Kommissionsmodell durch. Die mit Gebühren entschädigten Finanzberater kauften (und kaufen) das, was günstig, transparent und gut funktionierend ist – und das sind die ETFs. In dieser Zeit kamen mit Vanguard und Blackrock weitere neue Anbieter auf den Markt, die sich gegenüber dem bisherigen Spezialisten wie State Street abheben mussten. Blackrock schnappte sich 2009 von Barclays die ETF-Sparte mit den berühmten «iShares». Die Briten hatten die Reste von Lehman Brothers übernommen und kämpften dadurch ihrerseits. Weitere grosse US-Assetmanager wie Fidelity kamen hinzu, auch die europäischen Banken und Assetmanager mischen seither mit.
Eine Garantie zum Geld verdienen sind auch die ETFs nicht. Skaleneffekt und hocheffiziente zentralisierte Infrastrukturen sind Pflicht. Die Corona-Krise brachte bei einigen Marktteilnehmenden solche Schwachstellen unbarmherzig ans Licht – und seither erfolgt eine weitere Konsolidierung. In der Schweiz wurde GAM aus der Bahn geworfen, die Apex-Gruppe kaufte Teile auf. Die UBS integriert Teile der Assetmanagementsparte der Credit Suisse.
Und die Euro-Stoxx-50-ETFs gibt es längst auch in nachhaltigen Varianten. Nur verkaufen sich diese derzeit etwas schleppend. Krisen legen, wie überall in der Wirtschaft, oft die Basis für die nächsten Innovationen.
Dieser redaktionelle Beitrag ist Teil der Market Opinion «In ETFs investieren», umgesetzt in Kooperation mit State Street Global Advisors. Alle Beiträge finden Sie in diesem Dossier.