Unsere steigende Lebenserwartung und die alternde Bevölkerung zwingen uns, die traditionelle Finanzplanung und Pensionsplanung neu zu überdenken. Wenn wir uns die Zahlen für die Schweiz ansehen, wird sich die Bevölkerungsgruppe der 65-Jährigen und Älteren von 1,6 Millionen im Jahr 2020 auf 2,1 Millionen im Jahr 2030 vergrössern. Für das Jahr 2050 wird von 2,7 Millionen ausgegangen. Der Anteil an der Gesamtbevölkerung steigt von 18,9 Prozent (2020) auf 25,6 Prozent (2050). Diese demografische Alterung stellt Finanzinstitute und Versicherungsgesellschaften vor neue Herausforderungen, da eine ältere Kundenbasis andere Bedürfnisse und Ansprüche hat. Gleichzeitig bietet sich aber auch die Chance, mittels innovativen Ansätzen und moderner Technik neue Produkte und Services zu lancieren. 

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In der Diskussion rund um Longevity spielen Begriffe wie Gesundheitsspanne (die Jahre in guter Gesundheit), Lebensspanne (die gesamte Lebensdauer) und Krankheitsspanne (die Jahre, in denen Krankheiten die Lebensqualität beeinträchtigen) eine zentrale Rolle. 

Die klare Definition ist insbesondere zentral, weil die Jahre der Krankheitsspanne sehr kostenintensiv sind. Somit ist es schon rein nur aus Kostensicht offensichtlich, dass die Verlängerung der Gesundheitsspanne so zentral ist, und nicht nur die Verlängerung der Lebensspanne. Ohne hier in eine Diskussion der Gender Medicine zu gehen, sind Frauen von einer längeren Krankheitsspanne betroffen als die Männer, was wiederum besondere Herausforderungen mit sich bringt. 

Unser bestehendes Gesundheitssystem basiert auf Heilung respektive Sick Care. Wenn wir nun aber die Gesundheitsspanne verlängern wollen – sprich, wenn wir schon das Einsetzen von Krankheiten verhindern können –, kommt die Präventivmedizin respektive Health Care zum Zug. Besser bekannt auch als Medicine 2.0 ist für Longevity die Präventivmedizin zentral. 

Über die Autorin

Nadine Esposito ist Longevity Finance Expert und Head Risk and Investment Control bei der Radicant Bank. 
 

Das neue Gebiet «Longevity-Finance» bezieht sich auf die Entwicklung und Bereitstellung von Finanzprodukten, -strategien und -diensten, die auf die Herausforderungen und Chancen einer alternden Bevölkerung ausgerichtet sind. Dies umfasst unter anderem die Anpassung von Renten, Versicherungen und Gesundheitsfinanzierungen, um längere Lebensspannen, steigende Gesundheitskosten und längere Erwerbsphasen zu berücksichtigen respektive längere Phasen nach dem Pensionsalter, aber auch neue Finanzprodukte zur Deckung der höheren Kosten nach der Pensionierung. Je nach Breite der Definition kann das Gebiet von Longevity-Investing bis hin zur Herausforderung der Nachfolgeregelungen für Unternehmen unter Longevity-Finance betrachtet werden. 

Eine ganzheitliche Betrachtung der Langlebigkeit muss die Bereiche physische Gesundheit, psychische Gesundheit, soziale Gesundheit, spirituelle Gesundheit (Purpose) und finanzielle Sicherheit einbeziehen. Der Fokus von Longevity-Finance liegt darauf, die finanzielle Sicherheit und Resilienz sicherzustellen. Finanz- und Pensionsplanung sind hierbei keine neuen Fachgebiete, jedoch bieten der Einsatz moderner Technik und die Berücksichtigung des Gesundheitsstatus spannende, innovative Lösungsansätze. 

Langlebigkeit und Finanzplanung: Neue Herausforderungen

Die verlängerte Lebensspanne bringt zahlreiche Chancen, aber auch Herausforderungen mit sich. Einerseits ermöglicht sie eine längere Erwerbsphase (solange es die Gesundheit erlaubt), andererseits steigen die Gesundheitskosten besonders ab dem 65. Lebensjahr. Ziel von Longevity-Finance ist, Lösungen für diese wachsenden Herausforderungen zu finden, indem Finanzprodukte entwickelt werden, die sowohl auf die Rentensysteme als auch auf die steigenden Gesundheitskosten und den demografischen Wandel abgestimmt sind. Besonders für eine ältere, aber dennoch aktive Generation müssen flexible und innovative Ansätze gefunden werden, die nicht nur die Rentenphase absichern, sondern auch die Gesundheit in den Vordergrund stellen. Wer lange gesund ist, kann sich länger aktiv im Erwerbsleben engagieren, hier durchaus auch in der Selbstständigkeit nach der Pensionierung, und der Anstieg der Gesundheitskosten wird verschoben respektive abgeschwächt. Prävention als Investition zur Verminderung späterer Kosten. Longevity-Finance und Prävention: Eine Win-win-Strategie.

Gesundheit als zentraler Vermögenswert

Nicht nur in einer alternden Gesellschaft ist die Gesundheit ein wertvoller Vermögenswert, der erhalten und gefördert werden muss. Wer in seine Gesundheit investiert, profitiert langfristig sowohl gesundheitlich als auch finanziell. Präventive Massnahmen wie regelmässige Vorsorgeuntersuchungen, eine ausgewogene Ernährung, ausreichend Bewegung und Stressreduktion können die Lebensqualität und die Erwerbsfähigkeit bis ins hohe Alter verlängern und ermöglichen. Dies wirkt sich positiv auf das finanzielle Wohl aus, da hohe Krankheitskosten im Alter vermieden werden können. Gesundheit sollte deshalb nicht nur als persönliches Gut betrachtet werden, sondern auch als ein Teil der Finanzplanung. Der Gesundheitsstatus bestimmt weitgehend auch die Lebensspanne, wobei hier jetzt Unfälle ausgenommen sind. Der Blumentopf könnte leider auch einem Bryan Johnson auf den Kopf fallen. 

Biologisches Alter und Investitionshorizonte – eine Vision

Traditionell basieren viele finanzielle Entscheidungen auf dem chronologischen Alter.  Dieses ist ein zentraler Teil der Risikoprofilierung als Indikator für den Anlagehorizont. Weiter gehen wir standardmässig davon aus, dass ab einem gewissen Alter Lebensereignisse wie Scheidung, Heirat, Hauskauf und Unternehmensgründung nicht mehr relevant sind. Dies wird sich ändern. Die Gruppe «65 plus» ist nicht wie oftmals vermutet eine homogene Altersgruppe, sondern sie ist äusserst heterogen: die achtzigjährige Marathonläuferin versus die chronisch kranke Patienten mit sechzig. Hier ist das Phänomen des biologischen Alters im Gegensatz zum chronologischen Altern sehr spannend.

Das biologische Alter misst den Gesundheitszustand eines Menschen und liefert Hinweise darauf, wie lange jemand voraussichtlich gesund bleibt. Moderne Technologien wie epigenetische Tests und Fitnessdaten ermöglichen es, das biologische Alter immer präziser zu bestimmen. Für die Finanzplanung bedeutet dies, dass der Investitionshorizont auf das tatsächliche Gesundheitsniveau abgestimmt werden könnte, was eine wesentlich realistischere und nachhaltigere Vermögensstrategie ermöglichen würde. 

Longevity-Finance: Wie Gesundheit und Vermögen integriert werden

Die Zukunft der Finanzplanung sollte in der nahtlosen Verknüpfung von Gesundheits- und Vermögensmanagement liegen. Gesundheit sollte als ein essenzieller Vermögenswert betrachtet werden, der ebenso gepflegt und erhalten werden muss wie traditionelle, finanzielle Vermögenswerte. Künftige Finanzprodukte könnten sich darauf konzentrieren, Gesundheitsdaten direkt in die Finanzplanung zu integrieren, um massgeschneiderte Vorsorge- und Investitionsstrategien zu entwickeln. Indem Gesundheitsindikatoren wie das biologische Alter und Krankheitsrisiken in die Finanzstrategie einbezogen werden, können individuelle Finanzpläne erstellt werden, die sowohl die gesundheitlichen als auch die finanziellen Bedürfnisse abdecken.

Innovative Investitionsstrategien: Gesundheit als Vermögenswert

Longevity-Bonds und -Fonds ermöglichen bereits eine Investition in Longevity-Unternehmen; der Gedanke, sprichwörtlich in die eigene Gesundheit zu investieren, bleibt zukunftsweisend. Während Longevity-Investing mit zweistelligen Wachstumsraten boomt, ist es ein spannender Ansatz, den Menschen eine Investition direkt in die eigene Gesundheit zu ermöglichen. Warum nicht ein AMC auf die eigene Gesundheit? Eine Kooperation mit der Versicherungsbranche wäre spannend, dual einen Anreiz zu schaffen, in die Gesundheit zu investieren – als rein monetäre Investition und als Gesundheitsprävention. 

Die Zukunft liegt in der Integration von Gesundheit und Vermögen

Gesundheit und Vermögensplanung sollten Hand in Hand gehen. Wer heute in seine Gesundheit investiert, investiert gleichzeitig in seine finanzielle Zukunft. Eine innovative Perspektive ist, diese beiden Bereiche zu vereinen und den Herausforderungen einer alternden Gesellschaft gerecht zu werden. Die Zukunft liegt in der nahtlosen Integration von Gesundheits- und Finanzplanung – ein ganzheitlicher Ansatz, der den Menschen sowohl finanzielle als auch gesundheitliche Sicherheit bietet.

 

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Karin Bosshard, Chefredaktorin von HZ Banking, und ihr Bankenexpertenteam liefern Ihnen die Hintergründe zu Themen, welche die Schweizer Bankenszene bewegen. Jeden Tag (werktäglich) in Ihrem E-Mail-Postfach. Jetzt anmelden!
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