Die Schweiz steht unter Druck, die Russland-Sanktionen entschlossener umzusetzen. Im Visier sind vor allem der Finanzplatz und seine Banken. Ein Bericht des «Tages-Anzeigers» wirft nun ein Schlaglicht auf das politisch heikle Geschäft mit russischen Kunden und Kundinnen, die einen zweiten oder dritten Pass haben. Unterstehen diese Personen keinen Sanktionen, sind solche Kundenbeziehungen per se legal, doch bergen sie enorme Reputationsrisiken.
Konkret hat der «Tages-Anzeiger» dank eines Datenlecks zwei Fälle enthüllt. Der erste scheint eindeutig: Er betrifft den früheren Putin-Berater Leonid Reiman. Laut dem Bericht hat Julius Bär ihn bis 2021 als Kunden betreut. Reiman hat dem russischen Präsidenten Wladimir Putin bis 2008 als Minister für Information und Kommunikation und anschliessend bis 2010 als Berater gedient.
Laut dem Bericht soll die Kontobeziehung spätestens 2008 bei Julius Bär eröffnet worden sein. Doch schon 2006 hatte ein Zürcher Schiedsgericht bei Reiman Geldwäscherei und illegale Bereicherung festgestellt. Dennoch bekam er bei Bär noch ein Konto. Allein 2010 seien auf den Reiman-Konten (Durchlauf-)Zahlungen von über 140 Millionen dokumentiert. Die Bank äussert sich nicht zu einzelnen Kundenbeziehungen und verweist darauf, alle Gesetze und Vorschriften einzuhalten.
Was gilt für zypriotische Russinnen?
Der zweite Fall ist komplexer: Er betrifft Alexander M. Ponomarenko, Chef des staatlichen Moskauer Wasserversorgers Moswodokanals. Die Firma rüstet Frontsoldaten mit Kriegsmaterial aus, wie entsprechende Internetseiten zeigen. Seine Tochter, die neben dem russischen Pass auch eine EU-Staatsbürgerschaft besitzt, hat laut dem Bericht im Juni 2022 ein Konto bei der Schweizer Privatbank Reyl eröffnet.
Zudem besitzen die Tochter Ponomarenkos und seine Partnerin Konten bei Julius Bär und Pictet, auf denen Ende 2022 insgesamt rund 40 Millionen Dollar gelegen haben sollen. Im Bericht wird der Vorwurf erhoben, dass das Familienvermögen auf unlautere Weise zusammengekommen sei.
Doch weder Alexander Ponomarenko noch seine Tochter oder die Partnerin stehen auf einer Sanktionsliste der EU oder der USA. Und da die Tochter und die Partnerin über EU-Staatsbürgerschaften verfügen, unterliegen sie auch nicht dem Verbot, dass Schweizer Banken keine Einlagen von russischen Staatsbürgern und Staatsbürgerinnen von mehr als 100’000 Franken annehmen dürfen.
Solche Kundinnen und Kunden bewegen sich für Schweizer Banken in einer Grauzone. Verboten sind die Geschäfte nicht, aber die Banken müssen die Herkunft des Geldes überprüfen und Reputationsrisiken im Griff haben – sonst gibt es Ärger mit der Aufsicht Finma.
Diese erklärt dazu: «Wir haben Kenntnis von der Thematik und stehen mit verschiedenen Instituten in Kontakt.» Zu den im «Tages-Anzeiger» genannten Einzelfällen nimmt die Finma keine Stellung.
Massgebend ist die Nähe zum russischen Potentaten
«Je näher eine Person an den Kreml rückt, umso mehr muss man von ihnen die Finger lassen», sagt ein hochrangiger Privatbanker. Politisch heikle Russland-Kundschaft würde derzeit vor allem von Banken in Dubai oder Abu Dhabi angenommen. Wer von der EU sanktioniert wird, kann innerhalb von dreissig Tagen sein Schweizer Konto saldieren. So fliesst das Geld einfach an Orte, wo russische Potentate von den Sanktionen geschützt sind.
Ein einfacher Weg, solchen Reputationsrisiken aus dem Weg zu gehen, könnte sein, einfach gar keine russischen Kundinnen und Kunden aufzunehmen. Ein Bankjurist entgegnet, dass dies keinen Sinn ergeben würde. «Das würde ja auch den russischen Arzt treffen, der an einem Schweizer Krankenhaus arbeitet.» Umgekehrt könne es nicht sein, dass schon der Besitz eines EU-Passes dafür sorgt, dass Russinnen und Russen problemlos Konten eröffnen dürfen. «Man muss immer den Gesamtkontext prüfen.» Die offene Frage ist, wie Banken wirksam überprüfen können, ob eine Kundin ihre russische Staatsbürgerschaft verschweigt.
Hier sind Fehler nie ausgeschlossen. Zudem ist das Geschäft mit russischer Kundschaft sehr lukrativ: Weil die Vorprüfungen so aufwändig sind, müsse dieser Kundenkreis deutlich höhere Gebühren zahlen, ist aus der Branche zu hören.
Sind heikle Kunden und Kundinnen einmal an Bord, ist es in der Schweiz nicht immer einfach, sie loszuwerden. So hatte die Bank Bär angekündigt, keine in Russland wohnende Kundschaft mehr betreuen zu wollen. Diese Geschäftsbeziehungen sollen spätestens bis Ende Jahr aufgelöst werden. Hier stellt sich das praktische Problem, wohin die Bank die Guthaben überweisen soll. Denn auch andere Banken seien sehr zurückhaltend geworden, diese Kunden und Kundinnen noch zu bedienen, heisst es in Finanzkreisen.
Sicher ist: Je mehr solche heiklen Kundenbeziehungen publik werden, umso stärker gerät der hiesige Finanzplatz auch international in die Kritik. Machen die Banken ihre Hausaufgaben nicht, könnte das für die gesamte Schweiz negative Folgen haben. Wenn den Amerikanern in Sachen Russland-Gelder in der Schweiz der Geduldsfaden reisst, droht es ungemütlich zu werden.