Herr Sandrock, Sie hatten, bevor sie Neon mitgegründet haben, verschiedene Positionen in der Finanzbranche inne. Woher kam der Drang, eine Neobank zu gründen?

Ich habe 1999 in der Bankenindustrie angefangen und fand sie sehr spannend, komplex, sehr vielschichtig. Mir hat es Spass gemacht, mit ambitionierten, interessanten Menschen zusammenzuarbeiten. Mich hat irgendwann irritiert, wie Banken funktionieren und agierten – zum Teil selbst-geschaffene Komplexität, Boni-Strukturen, Steuerung … 2008 bis 2012 sahen wir in der Industrie, dass da vieles wohl falsch gelaufen ist.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Was mich an Neon gereizt hat, war die Möglichkeit, etwas zu erbauen, was anders ist, anders in Bezug auf Transparenz, Gebühren, Kultur. Denn wir nehmen unsere Kundinnen und Kunden nicht als unmündige Nutzerinnen und Nutzer eines Produktes wahr. 

Und natürlich wollte ich die etablierten Banken in manchen Bereichen auch herausfordern. 

Wenn Sie sagen, es gab viele Dinge, die Sie irritiert haben, herrschte dann auch das Gefühl vor, dass in der Finanzindustrie etwas grundlegend falsch läuft und ein Startup einen Beitrag leisten kann, um dem entgegenzuwirken? Oder ist jedes Startup und Fintech ein weiterer Spieler im selben Spiel? 

Der Beitrag, den wir leisten können, ist sicher sehr klein. Darüber machen wir uns keine Illusionen. Eine leichte Veränderung haben wir aber geschafft: Es gibt neue Wettbewerber und deutlich verbesserte Angebote. Das ist erst mal gut für die Kundinnen und Kunden und für das Angebot. 

Ich persönlich hatte in den verschiedenen beruflichen Stationen, die ich durchgemacht habe, die Erkenntnis, dass es bei vielen Banken eine gewisse Verselbstständigung gab. Der Kontakt zu den Kundinnen und Kunden ist irgendwann so lose gewesen, dass es keine Kontrolle durch sie mehr gab. Wer einen Handwerker beauftragt, wird am Ende entscheiden können, ob das Zimmer schön oder unschön gestrichen wurde. Im Schweizer Banking erfolgt die Regulation über eine Behörde und nicht mehr über die Kundinnen und Kunden. 

Ihre Intention, dieses Startup zu gründen, war also, eine stärkere Kundennähe herzustellen?

Für mich lag der Antrieb darin, zu fragen, schaffen wir das? Schaffe ich das in dieser Rolle? Ich wollte es ausprobieren und nicht sagen, ich mache jetzt noch einmal zehn oder fünfzehn Jahre den bestehenden Job weiter und setze mich dann zur Ruhe. Ein Startup hat unglaubliche Ups and Downs, und es macht mir Spass, so etwas als Team zu erleben. 

Zur Person Jörg Sandröck:

Jörg Sandrock wurde 1973 in Deutschland geboren und absolvierte sein Studium als Wirtschaftsingenieur an der Universität Karlsruhe (TH). Nach dem Abschluss promovierte Sandrock von 2003 bis 2005 ebenfalls an der Universität Karlsruhe (TH). Von 1999 bis 2003 war Sandrock bei der Deutschen Bank AG tätig und von 2005 bis 2017 bei Booz & Co. beziehungsweise PWC Strategy. Zum Schluss war er dort Managing Director/Partner. 2017 gründete Sandrock mit anderen die Neobank Neon.

Wie gründet man denn eine Neobank? Beziehungsweise wo waren Sie von Anfang an darauf angewiesen, dass andere Unternehmen oder Behörden Ihnen unter die Arme griffen? 

Wir sind vier Leute, die an der Gründung beteiligt waren und Neon weiterentwickeln. Wir sind alle sehr pragmatisch in dem, was möglich ist. Das Thema Partner ist bei uns ein ganz wichtiges Thema, denn wir sind keine Bank, aber wir arbeiten sehr stark mit der Hypothekarbank Lenzburg zusammen, die eine Offenheit dafür hat, neue Sachen auszuprobieren, ohne dass sie sich sicher sein kann, wo der Weg hinführen wird. 

Sie haben gesagt, wir sind keine Bank, und doch fällt bei Neon ja immer wieder der Begriff Neobank. Was macht Neon denn nicht zu einer Bank, und was macht Neon vielleicht doch zu einer Bank?

Eine Bank in der Schweiz ist, wer von der Finma die Lizenz dazu erhält. Wir sind nie in diesem Prozess zum Erhalt einer eigenen Banklizenz gewesen. Nur wer eine Banklizenz hat, darf sich Bank nennen. Wir dürfen das nicht. Wir bieten aber Leistungen an, die eine klassische Bank anbietet: Ein Konto, den Zahlungsverkehr, eine Karte, Auslandsüberweisung. Mittlerweile sogar auch das Anlegen mit Aktien oder ETFs. Wir haben mit unserer Partnerbank zusammen ein Bankangebot erstellt, aber wir sind regulatorisch keine Bank, wohl aber unsere Partnerbank. 

Worin liegt der Anreiz einer Kundin oder eines Kunden, wenn sie oder er nicht bei einer klassischen Bank ein Konto eröffnet, sondern bei einer der Neobanken?

Bei einer klassischen Bank muss man in der Regel das Konto in der Filiale eröffnen – spätestens dann, wenn man ein Partnerkonto eröffnet oder aus dem Ausland gerade wieder in die Schweiz gezogen ist. Wir hingegen sind ein Unternehmen, das alle Bankleistungen durch die App anbietet. Wir sind per Definition digital. Wir sind deutlich günstiger als viele andere Banken und sehr transparent in der Kommunikation. Wir haben unseren Customer-Service in der Schweiz positioniert, der auch alle Schweizer Themen versteht. 

Komplett digital – das zielt dann ja eher auf ein jüngeres Publikum?

Unsere Kundinnen und Kunden sind nicht so jung, wie die meisten denken. Das Durchschnittsalter der Kunden ist 39. Wir sind typischerweise stark in dem Bereich, in dem jemand zum ersten Mal auf Dauer einer Arbeit nachgeht, also im Segment ab 25 bis 45. Bei etwas älteren Kundinnen und Kunden flacht es dann ab. Wir sind eher für mittelalte Kunden attraktiv, nicht für die ganz Jungen. 

Wie wichtig ist grünes und nachhaltiges Banking für diese Kundinnen und Kunden?

Unsere Kundinnen und Kunden können nur selbst auswählen, welche Investmententscheidung sie treffen. Es gibt bei uns nicht die Möglichkeit zu sagen, «ich habe diesen Betrag, bitte legt den für mich an», sondern jeder muss seine Investmententscheidung selbständig tätigen. 

Soll ich in ein Unternehmen investieren, das besonders grün ist oder besonders positive Sachen unterstützt? Möchte ich Stimmrechte, die ich bei nicht nachhaltigen Unternehmen nutzen möchte? Mit den Informationen, die wir als Neon bereitstellen, können die Kundinnen und Kunden das selbst entscheiden.

Es gibt beispielsweise ESG-Produkte, die wir als solche labeln. Das funktioniert in der Industrie so, dass bestimmte Kriterien eingehalten werden müssen, um dieses Label zu bekommen. Trotzdem bleibt es für mich philosophisch, ob beispielsweise Tesla ein Produkt ist, das sozial besonders gut ist, weil es die CO2-Reduktion im Straßenverkehr zu senken hilft oder nicht, etwa bezogen auf Mitarbeiter-Themen. Das müssen unsere Kundinnen und Kunden selbst beantworten, wir haben darauf keine Antwort.

Neon in Zahlen:
  • Gründungsjahr: 2017
  • Bilanzsumme: Einlagen bei der HBL: 1,2 Mrd. CHF (Neon ist keine Bank)
  • Anzahl Kunden und Kundinnen: 210’000
  • Verbreitungsgebiet/abgedeckte Region: Gesamte Schweiz
  • Rechtsform: AG (aber keine Bank)
  • Was an Ihrer Bank im Vergleich zu anderen Banken ist speziell?: Wir unterschieden uns in sehr vielen Bereichen. Wir haben über 200’000 Kunden, aber keine Filiale, einen anderen Legal Set-up, Transparenz etc. Der vielleicht entscheidenste Unterscheid ist für uns: Mehr als 40 Prozent unserer neuen Kundinnen und Kunden wurden von bestehenden Kunden überzeugt, zu Neon zu wechseln.

 

Wie steht Neon zur Altersvorsorge? Was dürfen Kundinnen und Kunden erwarten?

Wir wollen ein Unternehmen sein, das die Kundinnen und Kunden mit Produkten überraschen kann, die sie nicht von anderen Banken kennen. Bis auf kleine Ausnahmen bieten wir mittlerweile die wesentlichen Basisprodukte an. Unsere Kundinnen und Kunden können Geld überweisen, Daueraufträge erfassen, und wir haben verschiedene Partner, die auch einfache Investments tätigen. Wir haben Investmentprodukte wie auch ETFs. Darüber hinaus gibt es verschiedene Partner, bei denen unsere Kundinnen und Kunden Versicherungen abschliessen und eine Säule 3a anlegen können. 

Wir diskutieren aktuell sehr intensiv, in welche Richtung wir uns entwickeln. Sind wir ein Unternehmen, das den Kundinnen und Kunden hilft, ihre finanzielle Situation besser zu verstehen, oder das bei grossen Entscheidungen, einem Hauskauf etwa, eine Rolle spielt? Oder innovative Produkte in den Markt bringt, im Bereich Trading, Currencies, grüne Produkte oder etc.? Die Tendenz ist eher das Erstgenannte, dass wir uns weiter als «Trusted Partner» für unsere Kundinnen und Kunden positionieren. 

Sie nennen sich einen Trusted Partner. Was sagen Sie den Leuten, denen ein Startup zu unsicher ist und die ihr Geld lieber einer Traditionsbank anvertrauen?

Unser Setup ist so eingerichtet, dass alle Kundengelder bei unserer Partnerbank Hypothekarbank Lenzburg liegen, einer der stabilsten Banken im Schweizer Markt, wenn man sich so bankentypische Kennzahlen wie das Eigenkapital anschaut. Es ist eine Bank, die, und das meine ich positiv, sehr konservativ bei der Regulatorik ist. Dort gibt es keine Experimente. Insofern sind wir mindestens so sicher wie eine durchschnittliche Schweizer Bank.

In der Bankenbranche sprechen zur Zeit alle von den Neuerungen durch künstliche Intelligenz. Welche Rolle spielt KI bei Neon?

Wir sind letztes Jahr zum Schluss gekommen, dass es für uns erst einmal kein Thema ist, jetzt aber in einer zweiten Phase, wollen wir KI ein bisschen intensiver anschauen. Es geht um die Analyse von bestimmten Daten, also wie wir die Kundinnen und Kunden und ihre Bankdaten mit KI verstehen können. Etwa das Ausgabeverhalten: Bei Neon sehen die Nutzerinnen und Nutzer zum Beispiel, wie viel sie für ihren Haushalt ausgeben, wie viel für Ferien und so weiter. 

Auch da liegt der Fokus also auf der Selbstverantwortung der Kundinnen und Kunden. Wurde im Banking die Verantwortung zu lange abgegeben?

Ich glaube, es gibt Menschen, die kein Interesse am Finanzmarkt haben. Die keine Zeit haben, die vielleicht ihre Kinder erziehen und deswegen nicht viel Zeit investieren können, sich darüber Gedanken zu machen, wie sie ihr Vermögen aufbauen wollen. Deswegen gibt es schon eine Berechtigung dafür, den Kundinnen und Kunden zu helfen. Für mich aber liegt der Schlüssel darin, dass es transparent sein muss, dass Kundinnen und Kunden auch verstehen, was in einer Bank gemacht werden kann oder was nicht. Und das ist, glaube ich, auch wichtig, um letztendlich eine Investmententscheidung zu treffen. Ansonsten verselbstständigt sich das innerhalb der Banken.

Wird Transparenz auch intern bei Neon so hoch gewichtet?

Ja, wir versuchen auch nach innen sehr transparent zu sein und zu erklären, warum bestimmte Sachen so sind, wie sie sind. Trotzdem haben wir auch Strukturen und Hierarchien und wenn wir zu einer Entscheidung gekommen sind, wird diese auch in der Unternehmung so umgesetzt. Unser Vorteil im Vergleich zu anderen Banken ist die Geschwindigkeit. 

 

HZ Banking-Newsletter
Karin Bosshard, Chefredaktorin von HZ Banking, und ihr Bankenexpertenteam liefern Ihnen die Hintergründe zu Themen, welche die Schweizer Bankenszene bewegen. Jeden Tag (werktäglich) in Ihrem E-Mail-Postfach. Jetzt anmelden!
HZ Banking-Newsletter