Die Inflationsrate in der Schweiz ist im Oktober auf 0,6 Prozent gesunken. Wenn man der Nationalbank zuhört, haben Befürchtungen über eine Deflation bei ihr das Zepter übernommen. An der Inflationsmechanik hat sich seit dem Frühjahr, als die Inflationsrate bei 1,4 Prozent lag, jedoch nur wenig verändert. Die Inlandteuerung ist mit 1,8 Prozent immer noch am oberen Rand des Zielbandes der Schweizerischen Nationalbank SNB.
Der abnehmende Inflationsdruck kommt ausschliesslich aus dem Warensektor – vor allem durch die Importgüter. Die Preise der Importgüter lagen im Oktober 3,7 Prozent unter Vorjahr, dank den tieferen Energiepreisen und dem starken Franken. Die importierte Inflation ist grösseren Schwankungen unterworfen als die Inlandteuerung. Steigen die Rohstoffpreise oder wird der Franken schwächer, steigen die Importpreise wieder.
Thomas Stucki ist CIO der St. Galler Kantonalbank. Er hat einen Abschluss mit Doktorat in Volkswirtschaft von der Universität Bern und ist CFA Charterholder. Stucki führt bei der St. Galler Kantonalbank das Investment Center mit rund 35 Mitarbeitenden und ist verantwortlich für die Verwaltung von Kundenmandaten und Anlagefonds im Umfang von 12 Milliarden Franken. Zuvor war er als Leiter Asset Management der Schweizerischen Nationalbank zuständig für die Verwaltung der Devisenreserven.
Im nächsten Jahr wird der Druck bei der Inlandteuerung abnehmen, wenn die Mietzinserhöhungen des Frühjahrs aus der Inflationsrechnung herausfallen. Die Mietpreise waren im Oktober im Vergleich zum Vorjahr 4 Prozent höher. Zudem haben sie mit einem Gewicht von 19 Prozent im Warenkorb einen starken Einfluss auf die Inflationsrate. Hinzu kommt, dass der Referenzzinssatz für die Mieten durch die Zinssenkungen der SNB sinken wird, was zu tieferen Mieten führt. Das Potenzial für Mieten nach unten ist angesichts der Engpässe bei den Mietwohnungen begrenzt. Weiter wird angeführt, dass tiefere Strompreise im nächsten Jahr die Inflation drücken werden.
Der direkte Einfluss der Strompreise ist mit einem Gewicht von nur 2 Prozent jedoch gering. Ob die Unternehmen tiefere Stromkosten an die Konsumenten weitergeben, ist fraglich, solange die Nachfrage nach ihren Produkten gut ist.
Die Preiserhöhungen bei Restaurants und Hotels, die 10 Prozent der Inflationsrate ausmachen, schwanken dagegen seit Monaten in einem breiten Band um 2 Prozent herum. Solange die Wirtschaft nicht in Richtung Rezession abdriftet, die Arbeitslosenrate nicht deutlich ansteigt und die Tourismusorte sich eher über zu viele als über zu wenige Gäste beklagen, wird der Preisdruck in diesem Sektor nicht kleiner. Die Inlandteuerung wird abnehmen, aber nicht in einen Bereich, der Deflationsängste schüren muss.
Der Blick über die Grenze
In Deutschland ist die Inflationsrate auf in der EU vergleichbarer Basis im Oktober von 1,8 auf 2,4 Prozent angestiegen. Ob das eine Trendwende darstellt oder ob sich der Inflationsdruck auf einem Niveau von 2 Prozent einpendelt, wird sich zeigen. In den USA sind die Renditen der Obligationen um mehr als 0,5 Prozent gestiegen, nachdem die Erwartungen an Zinssenkungen der Fed massiv reduziert wurden. Das hat mit besser als erwarteten Konjunkturdaten und der sich verflüchtigenden Angst vor einer Rezession zu tun.
Ein wichtiger Faktor ist aber auch der Plan von Donald Trump, bei einer allfälligen Wiederwahl die Zölle auf mehr oder weniger alles, was die Amerikaner importieren, zu erhöhen.
Höhere Zölle führen zu höheren Kosten, die über höhere Preise an die Konsumenten weitergegeben werden. Ob die Inflationsrate dadurch effektiv steigen wird, ist allerdings unsicher. Trump muss zuerst gewählt werden. Dann braucht es seine Zeit, bis die Zölle beschlossen und eingeführt sind. Sollte die Konjunktur durch die Zölle geschwächt werden, wird der Inflationsdruck gar sinken. Zudem sind andere Faktoren wie der Ölpreis für die Inflationsrate in den USA wichtiger.
Klar ist aber, dass der Trend nicht nur in den USA in Richtung mehr Protektionismus und weniger internationalen Freihandels geht. Dadurch nimmt der Wettbewerb ab und die Kosten der Unternehmen in der Produktionskette steigen.
Kaum Wiederholung von 2022/23
Dass die Inflationsraten wieder auf die Höhen von 2022 und 2023 ansteigen, kann ausgeschlossen werden. Dafür müssten die Energiepreise drastisch steigen. Trotz der sich drehenden Eskalationsspirale im Nahen Osten und der damit verbundenen Gefahr eines Unterbruchs der Öllieferungen aus dem Persischen Golf ist das unwahrscheinlich.
Ein Lieferkettenproblem auf fast allen Produkten ist ebenfalls nicht zu erwarten, ebenso wenig ein überbordender Konjunkturboom in den westlichen Industrieländern oder in China. Solange es keine Rezession gibt, wird der Lohndruck in den meisten Ländern angesichts des engen Arbeitsmarktes aber erhöht bleiben.
Die Inflationsraten in den USA und in der Euro-Zone werden daher nicht weiter fallen. Die Inflation ist ein internationales Phänomen. Deshalb gelten die gemachten Aussagen auf einem tieferen Niveau auch für die Schweiz. Die Befürchtungen vor einer deflationären Phase sind unbegründet.