1. Kryptowährungen sind eine Modeerscheinung
Neue Technologien oder Ideen – ob es sich um Autos zu Beginn des 20. Jahrhunderts oder um Handys in den 2000er-Jahren handelt – werden in der Regel in fünf Phasen eingeführt. Die Nutzung beginnt mit den «Innovatoren» (2,5 Prozent der Bevölkerung), dann folgen die «Early Adopters» bzw. «Frühanwender» (weitere 13,5 Prozent), die «Early Majority» bzw. «Frühmehrheit» (zu diesem Zeitpunkt nutzen 50 Prozent der Bevölkerung die neue Technologie), die «Late Majority» oder «späte Mehrheit» und schliesslich die «Laggards» oder «Nachzügler». Modeerscheinungen haben es in der Regel schwer, über das Stadium der «Early Adoption» hinauszukommen. Aktuelle Studien deuten darauf hin, dass die Zahl der direkten Kryptonutzerinnen und -nutzer inzwischen bei weit über einer halben Milliarde liegt, womit sich die Kryptowährung ohne Weiteres in der zweiten Hälfte der «Early Adopter»-Phase befindet, wenn nicht noch weiter. Mit anderen Worten: Krypto ist keine Modeerscheinung, sondern ein Trend.
Pierre Debru ist Head of Quantitative Research & Multi Asset Solutions bei Wisdom Tree.
Letztendlich sind Kryptowährungen keine jungen Emporkömmlinge mehr. Die Technologie gibt es bereits seit fünfzehn Jahren. Kryptowährungen haben mehrere Kurszyklen durchlaufen und sich jedes Mal wieder erholt, sind stärker und diversifizierter daraus hervorgegangen und haben neue Höchststände erreicht. Da heute weltweit institutionelle, regulierte Investmentvehikel zur Verfügung stehen, wird es für Anlegerinnen und Anleger immer schwieriger, die Assets ausser Acht zu lassen.
2. Bei Krypto geht es nur um Bitcoin
Während Bitcoin in aller Munde ist, hat sich die Anlageklasse der Kryptowährungen weit entwickelt. Tatsächlich macht Bitcoin kaum die Hälfte der gesamten Marktkapitalisierung des Sektors aus. Der Bereich ist so gross geworden, dass wir ihn bei Wisdom Tree mit unserer eigenen Taxonomie verfolgen. Man kann sie sich als einen «globalen Standard für die Branchenklassifizierung» vorstellen, allerdings für Kryptowährungen. Wir haben acht Kategorien entwickelt, die uns dabei helfen, den Markt zu beobachten, die Entwicklung der verschiedenen Krypto-Assets nachzuvollziehen und Baskets zusammenzustellen, wobei wir uns an den Anwendungsfällen der einzelnen Familien von Krypto-Assets orientieren.
Kurz gesagt:
- Layer-1-Zahlungen ermöglichen Ihnen digitale Transaktionen. Bitcoin ist natürlich der Hauptakteur in dieser Kategorie.
- Das zentrale Finanzwesen besteht aus Token, die von privaten Unternehmen ausgegeben werden. Sie können als Anreiz für Nutzer dienen oder durch physische Vermögenswerte unterlegt sein und ein Engagement in diesen Assets bieten.
- Layer-1-Smart-Contract-Netzwerke, von denen Ethereum und Solana die bekanntesten sind, bieten die Infrastruktur für die Entwicklung dezentraler Apps.
- Stablecoins sind Token, die bestehende Fiat-Währungen nachbilden sollen.
- Layer-2-Skalierung bezieht sich auf Protokolle, die darauf abzielen, die Kapazität von Layer-1-Netzwerken zu erhöhen (z. B. in Bezug auf die Anzahl der Transaktionen).
- Dezentrale Finanz-Apps laufen auf Layer-1-Smart-Contract-Netzwerken und zielen darauf ab, herkömmliche Finanzdienstleistungen wie Börsen, Kreditvergabe und Kreditaufnahme, Derivate und mehr anzubieten.
- Non-Fungible Token können mit digitalen Sammlerstücken verglichen werden.
3. Kryptowährungen haben keinen wirklichen Nutzen oder Wert
Entgegen der landläufigen Meinung werden digitale Assets häufig in der realen Welt eingesetzt, was es uns ermöglichte, die oben beschriebene Taxonomie zu erstellen.
Mit Bitcoin lassen sich Zahlungen an beliebige Personen auf der ganzen Welt leisten, ohne dass ein Mittelsmann eingeschaltet werden muss und ohne dass Kapitalkontrollen stattfinden. Während in Industrieländern, in denen die Währungen stark sind und der Geldverkehr frei ist, oft das Gegenteil zu hören ist, wird Bitcoin in allen Teilen der Welt, in denen Kapitalkontrollen und Hyperinflation zum Alltag gehören, ausgiebig genutzt und ist zu einer De-facto-Währung geworden. In Ländern, die sich einer hohen Inflation oder Hyperinflation gegenübersehen, sind Stablecoins für Millionen von alltäglichen Nutzerinnen und Nutzern zur Zuflucht der Wahl geworden. Einnahmen werden in Stablecoins verwahrt, bis sie im letzten Moment wieder in lokale Währungen umgetauscht werden müssen, um Waren zu kaufen. Da diese Stablecoins auf Layer-1-Netzwerken laufen, werden diese Netzwerke auch automatisch ausgiebig genutzt. Dies sind nur zwei von unzähligen Anwendungsfällen, von denen bereits eine halbe Milliarde Krypto-Nutzerinnen und -Nutzer profitieren.
Es lässt sich schwer argumentieren, dass etwas, das so weit verbreitet ist, keinen Wert hat. Wenn der Wert jedoch den Cashflows entsprechen muss, dann ist Bitcoin natürlich im Nachteil. Wenn man aber einen Schritt zurückgeht, investieren Anlegerinnen und Anleger bereits seit Jahrzehnten (sogar seit Jahrhunderten) in Gold, Öl oder den US-Dollar – und auch diese Vermögenswerte haben keine Cashflows. Es liegt also auf der Hand, dass ernsthafte Anlegerinnen und Anleger andere Modelle anwenden können, um diese Assets zu bewerten. Wenn Cashflows so wichtig sind, geht es bei Kryptowährungen – wie bereits erwähnt – nicht nur um Bitcoin. Ethereum, die zweitgrösste Kryptowährung, hat vor fast drei Jahren den «Burn» eingeführt (EIP-1559), wonach bei jeder Transaktion auf der Blockchain die Zahlung der Transaktionsgebühren in Form von ETH erfolgt, die vernichtet (verbrannt) werden. Dadurch verringert sich die Gesamtzahl der verfügbaren ETH, sodass die verbleibenden ETH an Wert gewinnen, so wie Rückkäufe den Kurs von Aktien in die Höhe treiben. In den letzten drei Jahren wurden 4,3 Millionen ETH [1] verbrannt (was einem Gegenwert von 12,1 Milliarden US-Dollar entspricht).
4. Krypto-Investitionen sind nicht sicher
Es besteht ein grosser Unterschied zwischen der Sicherheit der Kryptowährungen selbst (d. h. der Blockchains) und dem Ökosystem, das sie umgibt. Seit dem Start von Bitcoin weist die Kryptowährung eine Verfügbarkeit von 99,98 Prozent auf und wurde noch nie angegriffen oder gehackt. Fehlvorstellungen über die Sicherheit von Bitcoin rühren von Problemen mit Drittunternehmen her, die Bitcoin verwenden, wenn sie scheitern, gehackt werden oder schlichtweg Betrüger sind. Die Interaktion von Nutzerinnen und Nutzern und Anlegerinnen und Anlegern mit digitalen Assets ist für deren Sicherheit entscheidend. Anlegern stehen inzwischen fast weltweit regulierte Vehikel in Form von börsengehandelten Produkten (ETPs) zur Verfügung. Wisdom Tree bietet solche institutionellen, physisch unterlegten Krypto-ETPs in Europa seit 2019 an. Wir setzen auf unsere tief verwurzelte Rohstoffexpertise, um institutionelle Kryptoangebote zu entwickeln, die physisch besichert sind und von einem Rahmen aus Cold Storage und mehreren Verwahrstellen profitieren, um eine sichere und diversifizierte Verwahrlösung zu gewährleisten. Solche Vehikel bieten Anlegern, die in digitale Assets investieren wollen, umfangreiche Schutzmechanismen.
5. Die Volatilität ist zu hoch für die Aufnahme in Multi-Asset-Portfolios
In den letzten zehn Jahren betrug die Volatilität von Bitcoin 69 Prozent und war somit hoch [2]. Das Asset eignet sich aber auch hervorragend zur Diversifikation. Die Korrelation mit Aktien beträgt im gleichen Zeitraum nur 16,6 Prozent, die mit Rohstoffen 13 Prozent. Während es also so aussehen könnte, dass Bitcoin für sich ein Asset mit hohem Risiko darstellt, ist das im Kontext eines Multi-Asset-Portfolios nicht der Fall. Abbildung 2 zeigt die Veränderung der Volatilität, wenn einem 60:40-Portfolio (60 Prozent im MSCI All Country World und 40 Prozent im Bloomberg Multiverse) ein kleiner Anteil an Bitcoin hinzugefügt wird. Die Beimischung von 1 Prozent Bitcoin erhöht die Volatilität des Portfolios nicht um 0,69 Prozent, sondern nur um 0,07 Prozent – dank des Diversifikationseffekts [3].
Die Beimischung von 1 Prozent Bitcoin zum Portfolio verursacht einen Tracking-Error von etwa 0,7 Prozent, während die annualisierte Wertentwicklung gegenüber dem 60:40-Portfolio ohne Bitcoin um 0,67 Prozent steigt. Somit beträgt das Information-Ratio der Entscheidung, Bitcoin dem Portfolio hinzuzufügen, fast eins – ein ausgezeichnetes Verhältnis, das Anlegerinnen und Anleger bei sehr wenigen Investmententscheidungen erreichen würden.
Schlussfolgerung
Kryptowährungen existieren seit mehr als fünfzehn Jahren, aber sie werden in der traditionellen Investmentwelt nach wie vor nicht richtig verstanden. Einer der Hauptgründe dafür ist, dass es lange Zeit einfach war, sie ausser Acht zu lassen und als Modeerscheinung abzutun. Doch diese Zeit ist vorbei. Mit regulierten, physisch unterlegten ETPs, die seit 2019 in Europa erhältlich sind, Bitcoin-Spot-ETFs, die Anfang dieses Jahres in den USA zugelassen wurden (und denen bald ein Ethereum-Spot-ETF folgen wird), und den jüngsten Notierungen von Krypto-ETPs an der Londoner Börse ist die Institutionalisierung von Kryptowährungen auf dem besten Weg. Es ist höchste Zeit, dass sich Anlegerinnen und Anleger von Vorurteilen und Fehlvorstellungen verabschieden und Kryptowährungen als die neue Anlageklasse behandeln, die sie sind – oder sie riskieren, den Anschluss zu verlieren.
1 Quelle: Ultrasound.money. Stand: 3. Juni 2024.
2 Quelle: Bloomberg, WisdomTree. Vom 31. Dezember 2013 bis zum 30. April 2024. In USD. Auf der Grundlage täglicher Renditen. Die historische Wertentwicklung ist kein Hinweis auf die künftige Wertentwicklung, und Anlagen können im Wert sinken.
3 Bitcoin in Multi-Asset-Portfolios, WisdomTree. Februar 2024.