Guy de Blonay, was sind für Sie als Kenner der Schweizer Bankenszene derzeit die wichtigsten Themen im Schweizer Banking?

Sicher das Thema UBS – und was es für die Schweiz als Ganzes und den Schweizer Banksektor im Allgemeinen bedeutet. Es handelt sich um einen Akteur auf der Weltbühne, der in einem wichtigen Segment des Bankensektors tätig ist: der Vermögensverwaltung. 

Und neben der UBS?

Im weiteren Sinne geht es um Zinszyklus und den Zinstrend – respektive was die Sichtweise und Politik der Schweizerischen Nationalbank (SNB) für die Zukunft ist. Was dies wiederum für die Zinserträge der Banken bedeutet und was getan werden kann, um eine gewisse Schwäche dieser Zinserträge in Zukunft zu kompensieren. Für mich sind das im Moment im Schweizer Banking die Hauptthemen. 

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Was sehen Sie als Herausforderung bezüglich der Zinsen an?

Schweizer Banken hatten 2023 ein aussergewöhnliches Jahr, das nach Jahren der sehr tiefen Zinsen auf der starken Erholung der Zinserträge beruhte. Wenn der Zinszyklus nun dreht, wird das auf den Erträgen lasten. Dies muss durch eine klarere Orientierung auf Profitabilität ausgeglichen werden. Das kann über strenge Kostenkontrolle oder möglicherweise nicht-organisches Umsatzwachstum erreicht werden. 

Viel Eigenkapital ist doch gut, oder?

Ja. Für den Bankensektor lässt sich sagen, dass die Schweizer Banken über ausreichend Kapital verfügen. Einige der Banken haben Schwierigkeiten, genau zu wissen, was mit so hohen Kapitalniveaus zu tun ist. Im Allgemeinen streben die Management-Teams immer ein besseres Kapitalmanagement an, um die Eigenkapitalrendite zu optimieren. Verwaltungsräte sind da oft vorsichtiger und lehnen die Optimierung der Eigenkapitalrentabilität aufgrund der Unsicherheit auf der  Weltbühne ab. Sie wollen mehr Reserven als von der Regulierungsbehörde gefordert. Damit sollen Instabilitäten und unvorhergesehene Volatilitäten aufgefangen werden.

Werfen wir einen Blick auf die enormen Gewinne, die Schweizer Banken im vergangenen Geschäftsjahr gemacht haben. Ist es nur ein einziges gutes Jahr? Oder geht es in diesem Jahr noch weiter?

Die letzte Präsentation, die ich mir angehört habe, war die Präsentation von Swissquote. Wie ich es verstehe, sind die ersten beiden Monate dieses Jahres ganz gut gelaufen. Sie sind auf dem besten Weg, einen weiteren Rekord in Bezug auf Netto-Neugelder aufzustellen. Aber sie glauben, dass die Nettozinserträge niedriger sein werden.  Noch ist jedoch völlig offen, wie viele Zinssenkungen wir haben werden und wie gross diese ausfallen. Wir befinden uns in einem Umfeld, das schwer einzuschätzen ist.

Hat Ihrer Meinung nach der Ruf der Schweizer Banken durch das CS-Aus nachhaltig Schaden genommen? 

Der Ruf des Swiss Banking, das oft mit sicherer, seriöser und stabiler Geldverwaltung in Verbindung gebracht wird, geriet während der Krise der Credit Suisse kurz ins Wanken. Sicher ist, dass die kurzlebige Krise auf eine verantwortungsvolle Art und Weise gemeistert wurde. Die Zukunft des Schweizer Bankensektors hängt nun von der neuen UBS ab.

Welche Digitalisierungsschritte sollten sich Schweizer Banken nicht entgehen lassen?

Die Disruption ist offensichtlich – nicht nur in der Finanzbranche, sondern allgemein. Doch für eine Neobank oder Online-Bank ist es kein einfacher Weg, Bekanntheit, Glaubwürdigkeit und Vertrauen aufzubauen und zudem den etablierten Banken einen Schritt voraus sein. Im Durchschnitt sollten traditionelle Banken jedes Jahr 10 Prozent ihrer Einnahmen für Innovation und Pflege der bestehenden IT-Infrastruktur ausgeben.

Meine Frage bezog sich mehr auf traditionelle Bankhäuser.

Ich habe in den letzten Jahren mit mehreren traditionellen Schweizer Banken über ihre Digitalisierung gesprochen. Die meisten sagten mir: Wir wollen nicht schneller laufen als unsere Kunden. Schweizer Banken sind bestrebt, ihren Kundinnen und Kunden das zu bieten, was sie brauchen, und versuchen, die Art und Weise, wie sie diesen Service liefern, zu verbessern. Die Banken wollen keine unerwünschten Dienste anbieten oder Kunden dazu zwingen, digitale Dienste in Anspruch zu nehmen, an denen sie kein Interesse haben oder die zu kompliziert in der Anwendung sind. 

Doch KI-Anwendungen sind ein Thema?

Die KI-Komponente beschränkt sich immer noch auf Kosteneffizienz, Service- und Erfahrungsverbesserung. In Europa läuft die Disruption zudem nicht überall mit der gleichen Geschwindigkeit ab.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Im Allgemeinen sind die nordischen Länder Vorreiter beim bargeldlosen Zahlungsverkehr. Dieses Phänomen ist auf das grosse Vertrauen in Institutionen und die Offenheit der älteren Generation gegenüber Finanztechnologien zurückzuführen. In Italien ist der Einsatz von Zahlungskarten am Point of Sale gering. Rund 65 Prozent der Zahlungen der Verbraucherinnen und Verbraucher erfolgen in bar. Die Schweiz liegt hier meiner Meinung im Mittelfeld. 

Wenn Sie Schweizer Banken mit Finanzunternehmen in England, Frankreich oder Italien vergleichen: Wo liegen die Schweizer Bankhäuser im Vergleich zu ihren Mitbewerbern bezüglich Digitalisierung?

Schweizer Banken profitieren von einem sehr wichtigen Vorteil: Sie agieren in einem Land mit einer stabilen Politik, einer kohärenten Geldpolitik und einer starken Währung. Das ist ein sehr attraktives Angebot für Investoren aus dem Ausland.

In Grossbritannien gibt es auch ein sehr stabiles politisches System. Auch Frankreich ist eine stabile Demokratie.

Das Vereinigte Königreich hatte fünf verschiedene Finanzminister in weniger als vier Jahren. In der gleichen Zeit ist das britische Pfund gegenüber dem Schweizer Franken um etwa 15 Prozent gefallen. 

Ja, aber das Land funktioniert. Die Leute arbeiten. Es ist Frieden und es gibt soziale Stabilität. Daher kann ich keinen grossen Unterschied erkennen. Wenn Sie gesagt hätten Simbabwe oder Argentinien … 

Ich verstehe. Was ich aber meine, ist der Vorteil von Engagements in der Schweiz. Die Anlegerinnen und Anleger können mit Kontinuität rechnen, mit wenig Veränderung auf lange Sicht. Im Vereinigten Königreich hingegen ändert sich regelmässig eine ganze Menge, und manchmal kann es kompliziert werden. Man weiss nicht, wie lange die politische Ausrichtung Bestand haben wird. Die britische Politik kann volatil sein. Diese Unterschiede lassen sich an den Bewertungen der Aktien börsenkotierter Unternehmen ablesen. Die niedrige Bewertung der Aktien britischer Banken ist im Allgemeinen auf das mangelnde Interesse ausländischer Anlegerinnen und Anleger zurückzuführen, welches oft mit der Wahrnehmung instabiler politischer und wirtschaftlicher Verhältnisse zusammenhängt.  

Zur Person:

Interviewpartner Guy de Blonay beobachtet seit vielen Jahren die Bankbranche. Bei Jupiter Asset Management ist er in London tätig und unter anderem für den Jupiter Financial Innovation Fund verantwortlich. Der Fonds investiert in Wertpapiere im Zusammenhang mit Finanzinnovationen. Als Lausanner hat er immer noch eine Verbindung zur Schweiz und kennt sich in der Schweizer Bankenszene aus.

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