Karsten-Dirk Steffens, Sie sind seit rund zwanzig Jahren im Schweizer Investmentmarkt tätig und verfügen deshalb über umfassende Kenntnisse und Erfahrung in der Arbeit mit Finanzinstituten und institutionellen Anlegern. Was sind die Herausforderungen und Chancen eines britischen Finanzdienstleisters und Vermögensverwalters wie Abrdn Investments in der Schweiz?

Die grösste Herausforderung ist tatsächlich, ein nachhaltiges Vertrauen aufzubauen. Denn die Portfoliomanager grosser Versicherungen und Pensionskassen haben auf dem Schweizer Finanzplatz eine Riesenauswahl.

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Unsere Kunden machen keinen Hehl daraus, dass sie erst prüfen, was es zunächst bei ihnen intern, dann lokal an Angeboten gibt. Erst in zweiter Linie schaut man sich danach weiter um.

Wenn es zum Beispiel um die Ausschreibung von Mandanten geht, muss man gegen die Angebote etwa von grossen Privatbanken et cetera bestehen können.

Wie macht man das?

Sich einen Namen als verlässlicher Partner in guten wie in schlechten Zeiten zu machen, ist wichtig, um in diesem sehr kompetitiven Markt bestehen zu können.

Auch einander besser kennenzulernen, hilft: Kontakte pflegen ist wichtig. Viele unserer Kunden kenne ich seit vielen Jahren. (schmunzelt) Man wird zusammen alt. Manchmal entstehen sogar fast schon Freundschaften. 

Haben sich die Rahmenbedingungen für Abrdn in der letzten Dekade verändert?

Regulatorisch ist es sehr viel mehr geworden, was aber auch seine Vorteile hat: Viele Anbieter aus dem angelsächsischen Raum ohne Präsenz in der Schweiz, die von irgendwoher ihre Angel im hiesigen Markt ausgeworfen haben, um Geschäfte zu machen, sind verschwunden. Das hat den Markt etwas bereinigt.

Abrdn Investments ist unter anderem für Pensionskassen, Treuhänder und Versicherungen tätig. Welche Möglichkeiten haben institutionelle Anleger, um im momentanen Umfeld mit Niedrigzinsen die für sie wichtige Performance sicherzustellen?

Das ist in der Tat sehr anspruchsvoll. Wir bei Abrdn stellen fest, dass viele Pensionskassen wieder sehr viel mehr in Aktien investieren, als es noch vor ein paar Jahren der Fall war. Vor rund sechs Jahren bevorzugten institutionelle Anleger noch klar Anleihen. 

Vor welchen Problemen respektive Herausforderungen stehen Schweizer Pensionskassen und Vermögensverwalter in diesem Jahr?

Eine gute Assetallokation aus der Welt der Aktien und Anleihen in verschiedenen Märkten zusammenzustellen. Wir haben Ende Februar. Jetzt sitzen die Verantwortlichen in Stiftungen, Family-Offices und Pensionskassen zusammen, um ihre Portfolioplanung für die kommenden Monate zu konkretisieren.

Die Ausgangslage bei den Pensionskassen ist komfortabel. Die PKs sind in einer guten Verfassung. Die Kapitalisierung ist hoch: Viele Pensionskassen verfügen über viel flüssiges Geld, das sie nun anlegen werden.

Die Leitzinsen sinken weltweit. In der Schweiz rechnen wir schon bald mit Negativzinsen. Schon heute ist der Realzins hierzulande vollends erodiert. Welche Auswirkungen erwarten Sie?

Das sind besorgniserregende Entwicklungen: Bei Negativzinsen oder sehr niedrigen Zinsen verlieren traditionelle Sparformen wie Tagesgeldkonten oder Festgelder ihre Attraktivität. Privatleute könnten deshalb risikoreicher anlegen, um zumindest eine geringe Rendite zu erzielen.

Welche Probleme leiten Sie daraus ab?

Die Herausforderung für die Zentralbanken wird sein, ein Gleichgewicht zu finden, um Risiken wie Blasenbildung oder finanzielle Instabilität nicht zu fördern. Auch eine zunehmende Ungleichheit zwischen sehr reichen und ärmeren Menschen sollte verhindert werden. Das ist für die Kaufkraft entscheidend.

Was raten Sie Assetmanagern und Anlegenden in einer unsicheren Phase mit wahrscheinlich hoher Volatilität?

In einer unsicheren Phase mit hoher Volatilität ist es entscheidend, dass sowohl Assetmanager als auch Privatanleger einen disziplinierten und gut durchdachten Ansatz verfolgen: Diversifikation – vor allem global, auch in den Emerging Markets – bleibt eine der wichtigsten Schutzmassnahmen gegen Volatilität.

Zur Person Karsten-Dirk Steffens und zu Abrdn Investments

Karsten-Dirk Steffens ist seit über zwölf Jahren im Schweizer Investmentmarkt tätig und verfügt über umfassende Kenntnis und Erfahrung in der Arbeit mit Finanzinstituten, sowohl im institutionellen Bereich als auch im Wholesale-Bereich. Zuvor war er Leiter des Vertriebsgeschäfts für die DACH-Region von Aviva Investors.

Karsten-Dirk Steffens arbeitet von Zürich aus und ist Rik Brouwer, Leiter des Vertriebsgeschäfts Europa, unterstellt. Weitere Mitglieder des Teams Vertriebsgeschäft Schweiz sind Julien Boissier in Genf sowie Paola Bissoli und Crystal Williams in Zürich.

Abrdn Investments ist ein global agierender Finanzkonzern und seit über zwanzig Jahren im Schweizer Markt aktiv. Das Unternehmen verwaltet unterdessen ein Vermögen von rund 420 Milliarden Franken. Abrdn ist in der Schweiz für eine Anzahl Grosskunden tätig, darunter Pensionskassen, Treuhand- und Versicherungsunternehmen. Abrdn bietet zudem Vermögensverwaltungslösungen im Rahmen von Fund-of-Funds-Investments sowie über Privatbanken. (pd/ajm)

Welche Assetallokation ist dann von Vorteil?

Es ist sinnvoll, nicht nur auf Aktien zu setzen, sondern auch in andere Anlageklassen wie Anleihen, Rohstoffe oder alternative Investments zu investieren, etwa in Immobilien oder Private Markets und Emerging Markets.

Zudem ist es wichtig, eine Liquiditätsreserve zu halten, um nicht gezwungen zu sein, Vermögenswerte zu ungünstigen Zeitpunkten verkaufen zu müssen. Panikverkäufe sollten vermieden werden.

Das Fed setzt Zinssenkungen aus. Die EZB stellt hingegen Zinssenkungen in Aussicht. Wie entscheidend ist der Unterschied bei den Leitzinsen zwischen den USA und der EU mit Blick auf die Aktienmärkte?

Die Zinsentscheidungen der Fed und der EZB können bedeutende Auswirkungen auf die Aktienmärkte in beiden Regionen haben. Kurzfristig könnten die US-Märkte durch die Stabilität der Zinsen profitieren, während europäische Märkte unter weiteren Zinssenkungen und der schwächeren Währung leiden könnten.

Und langfristig?

Langfristig hängt es stark von den jeweiligen wirtschaftlichen Fundamentaldaten ab – also von der tatsächlichen Konjunkturentwicklung in den USA und Europa. Die Erwartungen der Anlegenden bezüglich der weiteren Zinspolitik und der Inflationsentwicklung spielen eine grosse Rolle.

Können Sie einige Auswirkungen des unterschiedlichen Leitzinsniveaus nennen?

In einem Umfeld, in dem die USA ihre Zinssenkungen aussetzen, während die EZB weitere Senkungen in Aussicht stellt, könnte der Zinsunterschied Kapitalströme in Richtung der USA lenken.

Höhere Zinsen in den USA können US-Dollar-Assets attraktiver machen, insbesondere bei Anleihen. Anleger könnten aus dem europäischen Markt abziehen und verstärkt in den US-Markt investieren, was zu einer stärkeren Nachfrage nach US-Aktien führt.

Wie sieht es in diesem Zusammenhang mit dem Währungsrisiko aus?

Eine grössere Zinsdifferenz zwischen dem Dollar und dem Euro könnte den Dollar stärken, was wiederum US-Exporten schadet, da sie teurer werden. Dies könnte wiederum europäische Unternehmen begünstigen. 

In der Regel kurbeln Zinssenkungen das Wirtschaftswachstum an, da billigere Kredite Investitionen und Konsum fördern. 

Wenn die EZB weitere Zinssenkungen vornimmt, könnte dies in Europa kurzfristig das Wachstum anregen, was besonders in zinsempfindlichen Sektoren wie Immobilien, Konsumgütern und Banken positive Auswirkungen haben könnte.

Also ist alles in Butter?

Aufgepasst: Zinssenkungen sind oft ein Signal für eine schwächelnde Wirtschaft, was wiederum die Unternehmensgewinne belasten kann.

Welchen Einfluss kann die US-Zollpolitik auf das Handelsdefizit der USA mit anderen Nationen haben? 

Die US-Zollpolitik kann auf verschiedene Weise das Handelsdefizit beeinflussen, aber die Auswirkungen sind nicht immer eindeutig. 

Warum nicht?

Kurzfristig können Zollerhöhungen das Handelsdefizit reduzieren, weil sie die Importe verringern. Allerdings können Gegenzölle und die negative Reaktion der Handelspartner die Exporte der USA beeinträchtigen und das Defizit steigen lassen.

Und auf lange Sicht?

Langfristig hängt die Wirkung der Zölle von der Fähigkeit der USA ab, inländische Produktionskapazitäten auszubauen und die globalen Lieferketten erfolgreich umzugestalten.

Welche geopolitischen Risiken sehen Sie für die Märkte in den kommenden Monaten?

Wir befinden uns geopolitisch in einer sehr heiklen Lage. Wir haben einen neuen US-Präsidenten, der fast täglich mit Androhungen irgendwelcher Zölle die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Wir leben in einer sehr lauten Zeit. Und es könnte sein, dass wichtige Dinge in den USA intern in diesem ganzen Konzert untergehen.

Dazu wissen wir nicht, was China in Bezug auf Taiwan macht. 

Was heisst das alles für die Schweizer Wirtschaft?

Die Frage ist, wie es weitergeht, nicht zuletzt aufgrund der wirtschaftlichen Schwäche Deutschlands, Stichwort Automobilindustrie. Denn viele Schweizer Firmen, oft Zulieferer, sind auf den Absatz mit dem grossen Handelspartner Deutschland angewiesen. 

Man sieht es ja auch selbst als Investor: Es ist momentan schwierig, sich ein Bild zu machen. 

China hat konjunkturelle Probleme. Reichen in Ihren Augen die in Aussicht gestellten fiskalpolitischen Massnahmen, um die Krise zu beenden und auf einen stabilen Wachstumspfad zurückzufinden?

China hat sich in den letzten Jahren etwas weg vom US-Absatzmarkt entwickelt, nicht zuletzt wegen des Gegenwinds aus den USA, wegen der Zölle und so weiter. 

China versucht, sich neue Märkte zu erschliessen. So gesehen werden die US-Zölle nur eine kurzfristige Wirkung haben. China ist bereits in vielen Bereichen wie E-Autos, Solarpanels und Batterien Marktführer. 

Und China kann sich selbst wohl am gefährlichsten werden – durch all diese Willkür und die Intransparenz seiner politischen Führung. 

Denn Investoren, die China nach wie vor braucht, werden so abgeschreckt.

Bleiben wir in Asien: Wird Indien als bevölkerungsreichste Volkswirtschaft unseres Planeten noch immer unterschätzt?

Indien wird sicherlich eine der kommenden grossen Volkswirtschaften sein. Schon nur aufgrund des grossen Binnenmarkts und des unglaublichen Potenzials an Arbeitskräften.

Auch in Indien schrecken Intransparenz und Willkür noch viele Investoren unnötigerweise ab. Und so bleibt Indien momentan noch weit unter seinen eigentlichen Möglichkeiten. Politisch gesehen und auch im Bildungswesen sind noch einige Baustellen auszumachen. 

Doch Indiens Stern wird aufgehen, da bin ich mir sicher. Es braucht einfach noch etwas Zeit.

Zum Schluss: Sehen Sie, wie andere Finanzexperten, heuer gute Chancen im Bondmarkt?

Auf alle Fälle. Und wegen der sinkenden Zinsen gibt es auch gute Chancen bei Aktien. (lächelt) Wenn diese Frage kommt, muss ich immer an den Spruch von Börsenguru André Kostolany denken: «Wenn du gut essen willst, dann investierst du in Aktien. Wenn du gut schlafen willst, investierst du in Anleihen.» (schmunzelt verschmitzt) Schlafen Sie gerne ruhig? Oder essen Sie lieber gut?