Herr Bofinger, Sie waren von 2004 bis 2019 einer der sogenannten Wirtschaftsweisen und befassten sich intensiv mit der volkswirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands. Wie blicken Sie heute auf dieses Amt zurück? 

Volkswirtinnen und Volkswirte brauchen ein hohes Frustrationspotential, sonst werden sie depressiv. Denn es ist schwierig, gute Ideen in den politischen Prozess zu bekommen. 

Ich habe immer versucht, Probleme zu identifizieren und Lösungen zu entwickeln. Und ab und an hat es auch einen Effekt erzielt.

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Aktuell sind die Zeiten für die Bundesrepublik ökonomisch schwer. Zu Beginn des Jahres sagte der deutsche Finanzminister Christian Lindner am World Economic Forum in Davos, Deutschland sei nicht der kranke Mann Europas, aber es sei müde und brauche Kaffee. Wie stehen Sie dazu?

So einfach ist es leider nicht. Wir sehen, dass Deutschland seit fünf Jahren stagniert. Und alle anderen Länder im Euroraum tun das nicht. 

Worauf führen Sie das zurück? Auf die Krisen seit der Corona-Zeit? Oder gab es ein Missmanagement in den Jahren davor? 

Wir haben ein Geschäftsmodell in Deutschland, das über Jahrzehnte hinweg gut funktionierte. Es definierte sich durch drei Felder: Export, Industrie, Autobranche. 

Beim Export sehen wir einen Protektionismus anderer Länder, der wahrscheinlich immer stärker werden wird. Präsident Biden ist so protektionistisch wie Ex-Präsident Trump. Und auch China wird verstärkt bemüht sein, weniger zu importieren. 

In der Industrie herrscht das Problem der hohen Energiepreise in ganz Deutschland und ganz allgemein die Herausforderung mit der Dekarbonisierung. Zugleich stehen wir vor dem Problem, dass wir international bei der Digitalisierung und den globalen Plattformen nicht mithalten können. Das ist aber nicht nur ein deutsches Problem, sondern es ist ein europäisches Problem. Dieses Defizit pflanzt sich nun bei der Künstlichen Intelligenz fort, wo die USA und China sehr viel mehr forschen und investieren als Europa. Wir können nicht mithalten.

In der Automobilindustrie haben wir die ganze Digitalisierung und die Elektromobilität verschlafen. Vor allem im Massenmarkt. 

Zur Person Peter Bofinger:

Peter Bofinger gilt als einer der bedeutendsten Ökonomen Deutschlands. Er lehrt an der Universität Würzburg Volkswirtschaftslehre und war von 2004 bis 2019 Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und somit einer der fünf sogenannten Wirtschaftsweisen. 

Wenn die Diagnose so drastisch ist, was wäre das Heilmittel, das Sie der deutschen Wirtschaft oder der deutschen Regierung verschreiben würden?

Was die Bundesregierung machen müsste, wäre eine strategische Bestandsaufnahme. Worin sind wir als Wirtschaftsstandort gut? Wo können wir stärker werden? Wo sind wir den anderen voraus? Und das Ganze unter der Perspektive: Wo wollen wir in zehn Jahren stehen? 

Und das glauben Sie nicht, dass die aktuelle Bundesregierung diese Bestandsaufnahme macht?

Die vorherrschende Ideologie in Deutschland lautet, dass der Markt alles regeln wird. Herr Lindner ist diesbezüglich sehr marktliberal aufgestellt und glaubt, durch Steuersenkung und Regulierungsabbau werde alles gut. Aber wer sich andere Länder anschaut, erkennt das Gegenteil. In China ist die Elektromobilität oder die Solartechnologie nicht natürlich gewachsen, sondern der Staat hat erkannt, dass darin Zukunftsfelder liegen und hat diese entsprechend gepusht. Deswegen ist uns China da voraus 

Sie kritisieren auch die Schuldenbremse der Bundesregierung. Was stört Sie an dieser Politik?

Ich sehe darin eine Verkennung der Prioritäten. Der deutsche Finanzminister, Herr Lindner, sagt, die Schuldenbremse zwinge uns dazu, Prioritäten zu setzen. Aber die Schuldenbremse selbst ist eine Prioritätensetzung, denn sie sagt, das höchste Ziel der deutschen Wirtschaftspolitik liegt darin, dass die Verschuldung im Euro nicht weiter ansteigt. Alle anderen wirtschaftspolitischen Zielsetzungen, wie die Klimapolitik oder die Transformation unserer Wirtschaft, Bauinvestitionen, Ausgaben für die Bundeswehr, all das wird der Schuldenbremse untergeordnet. Da frage ich mich, ob das die richtige Prioritätensetzung ist, denn ausweislich der Schuldenquote, also die Staatsverschuldung relativ gesehen zur Wirtschaftsleistung, ist Deutschland das Land, das unter den G7-Ländern mit Abstand die niedrigste Verschuldung aufweist. Die Schuldenbremse bemisst also dem Problem mit der geringsten Priorität, die höchste Priorität zu. 

Eine grössere Staatsverschuldung Deutschlands wäre aber destabilisierend für den Wirtschaftsstandort … 

Man muss ja nicht alle Haltepunkte auflösen. Vielmehr müsste man die Schuldenbremse ökonomisch besser definieren. Bisher ist die Grenze im Prinzip für den Schuldenstand in Euro definiert. Aber absolute Schuldenbeträge sagen wenig aus. In Euro belaufen sich Griechenlands Schulden belaufen sich nur auf ein rund ein Siebtel der deutschen. Wir brauchen also eine Schuldenbremse, die relativ zur Wirtschaftsleistung definiert ist, also für die Schuldenquote. Pragmatisch könnte man dafür die 60% Grenze des Vertrags von Maastricht heranziehen. Da die Wirtschaftsleistung in laufenden Preisen jedes Jahr um rund 2,5 % wächst, würde eine ökonomisch sinnvoll definierte Schuldenbremse jährlich einen Finanzierungsspielraum des Staates in Höhe von rund 50 Mrd. Euro eröffnen. Damit ließen sich die erforderlichen Zukunftsausgaben weitgehend finanzieren.

Das Finance Forum Liechtenstein feiert sein 10-jähriges Bestehen:

Das Gespräch mit Peter Bofinger fand am 21.05.2024 am Rande des Finance Forum Liechtenstein statt. Dieses feierte dieses Jahr sein 10-jähriges Jubiläum. Neben dem Vortrag von Peter Bofinger gab es unter anderem ein Gespräch zwischen dem Liechtensteinischen Regierungschef Daniel Risch und der Schweizer Bundesrätin Karin Keller-Sutter sowie eine Talkrunde zur Frage, wohin der Finanzplatz Liechtenstein steuert. 

Macht das denn überhaupt noch Sinn in einer Zeit, in der nahezu alle Staaten verschuldet sind, so viel Gewicht auf diese Thematik zu legen?

Wichtig ist, dass die Staatsverschuldung die realwirtschaftlichen Möglichkeiten eines Landes nicht überfordert. Beispielsweise konnten wir das in den USA sehen, wo sowohl Donald Trump als auch Joe Biden enorme Transferzahlungen in die Haushalte angeordnet haben, die dazu führten, dass die Haushalte Einkommenszuwächse erfahren haben. Und natürlich haben die Leute dann das Geld ausgegeben und natürlich kam es deswegen auch in den USA zur Inflation, und zwar schon bevor wir diese Energiepreisschocks in Europa hatten. 

In der Wirtschaftspolitik, wie auch in der Medizin, kommt es auf die Dosis an. Wenn ein Staat die Verschuldung falsch dosiert, führt das zu inflationären Effekten. 

Finance Forum Liechtenstein 2024, Bild aufgenommen im Vaduzersaal in Vaduz am 21.05.2024 - Finanzminister im Dialog: Liechtensteiner Regierungschef Daniel Risch, Schweizer Bundesrätin Karin Keller-Sutter und Reto Lipp Moderator (v.l.) FOTO & COPYRIGHT: DANIEL SCHWENDENER

Der Liechtensteiner Regierungschef Daniel Risch und die Schweizer Bundesrätin Karin Keller-Sutter waren am 10. Finance Forum mit Moderator Reto Lipp im Gespräch. 

Quelle: Daniel Schwendener

Wie steht es um die Schweiz und Liechtenstein? Sind die beiden Länder wirtschaftlich an das Schicksal Deutschlands gebunden? 

Die wirtschaftlichen Verflechtungen sind sehr stark, aber Liechtenstein stellt ja doch eine andere Palette dar und hat einen anderen Fokus – gerade in Bezug auf den Finanzplatz. Dieser hat in Liechtenstein ein grösseres volkswirtschaftliches Gewicht als in Deutschland. In der Schweiz ist es ähnlich. 

Eine grosse Rolle in Liechtenstein und der Schweiz spielt das Private-Wealth-Management. Es gibt viele reiche Leute und ich denke, daran wird sich wohl auch nichts ändern. Es handelt sich also um ein Geschäftsfeld, dessen Akteurinnen und Akteure zuversichtlich in die Zukunft schauen können. Ich glaube nämlich nicht, dass so etwas wie eine globale Vermögenssteuer zeitnah in Kraft treten wird. 

Am heutigen Finance Forum war auch der Ton zu vernehmen, dass sich Standorte wie Liechtenstein durch ihre Stabilität im Private Banking etablieren. Aber wird eventuell die Künstliche Intelligenz diese Branche und damit auch etablierte Standorte destabilisieren?

Das sehe ich derzeit nicht. Aktuell würde ich beispielsweise mein Vermögen nicht einer Künstlichen Intelligenz anvertrauen. Denn sie täuscht eine Sicherheit vor, die sie oft nicht einhalten kann. 

Inwiefern?

Kürzlich hat ein Student an der Hochschule mich gefragt, ob ich ihm Fachbücher über die Staatsverschuldung und Inflation empfehlen könne. Ich dachte mir, schau mal, welche Bücher die Künstliche Intelligenz empfiehlt. Mir wurden lauter Bücher vorgeschlagen, die es gar nicht gibt. Das Problem der künstlichen Intelligenz liegt darin, dass sie gerne fabuliert. Man spricht dabei auch vom Halluzinieren.

 

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Karin Bosshard, Chefredaktorin von HZ Banking, und ihr Bankenexpertenteam liefern Ihnen die Hintergründe zu Themen, welche die Schweizer Bankenszene bewegen. Jeden Tag (werktäglich) in Ihrem E-Mail-Postfach. Jetzt anmelden!
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