Auch wenn die Protagonisten bereits bekannt sind, wird die Wiederauflage des Wahlkampfduells zwischen Joe Biden und Donald Trump die Welt bis zum 5. November noch einmal in Atem halten. In den Meinungsumfragen liegen die beiden Kandidaten gleichauf, ein klarer Favorit ist noch nicht auszumachen. In geopolitischer Hinsicht, zum Beispiel in Bezug auf die Unterstützung der Ukraine oder die Zukunft der Nato, könnte eine zweite Präsidentschaft Trumps einige Auswirkungen haben. Auch wenn die jüngste Geschichte zeigt, dass geopolitische Turbulenzen zumindest in den Industrieländern in der Regel einen wenig nachhaltigen Einfluss auf die Märkte haben, da dort konkrete politische Massnahmen und die Konjunktur im Vordergrund stehen, könnte die Möglichkeit von «Trump 2» die Märkte in den kommenden Monaten beeinflussen.
 
Viele wirtschaftspolitische Vorhaben von Trump, wie Steuersenkungen oder höhere Zölle, warten darauf, umgesetzt zu werden. Doch ob sie sich realisieren lassen, hängt von der wirtschaftlichen Lage ab. Diese bietet weniger fiskalischen Spielraum als 2016, zu Beginn von Trumps erster Amtszeit. Die Staatsverschuldung ist weiter gestiegen, das Haushaltsdefizit hat sich ausgeweitet, das globale Wachstum ist schwächer und die Inflation höher. Gleichzeitig haben sich Stimmungsindikatoren zum Verbrauchervertrauen und Einkaufsmanagerindizes verschlechtert, und die Kreditvergabebedingungen der Banken haben sich verschärft. Lediglich die Arbeitslosigkeit ist in den letzten vier Jahren gesunken.

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Über den Autor

Laurent Denize ist Global Co-CIO bei der europäischen Finanzgruppe Oddo BHF.
 

Was heisst das für Europa?

Wir möchten die möglichen Auswirkungen, die die Wahl von Trump oder Biden auf Europa haben könnte, anhand von vier Handlungsfeldern einer US-Regierung veranschaulichen: Handelspolitik (Zölle), Fiskalpolitik (Steuersenkungen), Klima (Inflation Reduction Act, IRA) und Sicherheit (Nato-Mitgliedschaft)

  1. Wirtschaftspolitisch stand die Handelspolitik im Mittelpunkt von Trumps erster Amtszeit und könnte auch eine mögliche zweite Amtszeit prägen. Sollte er wiedergewählt werden, will er einen Mindestzoll von 10 Prozent auf Importe aus allen Ländern und von 60 Prozent auf Importe aus China erheben. Könnte dies zu einem neuen Handelskrieg nicht nur mit China, sondern auch mit der EU führen? Es ist schwer abzuschätzen, ob solche weitreichenden Vorschläge umgesetzt werden. Die Folgen aber könnten enorm sein, und zwar für beide Seiten. Denn die USA sind mit einem Anteil von knapp 20 Prozent der grösste Exportmarkt der EU; umgekehrt ist die EU mit einem Anteil von 18 Prozent der grösste Exportmarkt der USA, noch vor China. Diese gegenseitige Abhängigkeit sollte einen Kompromiss möglich machen, auch wenn die Androhung höherer Zölle auf EU- und China-Importe die Stimmung gegenüber europäischen, deutschen und chinesischen Aktien belasten könnte. In einem Szenario «Biden 2.0» würden mutmasslich die Risiken eines eskalierenden Handelskonflikts eher vermieden werden.
     
  2. Für Donald Trump ist seine grosse Steuerreform einer der unbestreitbaren Erfolge seiner ersten Amtszeit, da sie seiner Meinung nach die USA als Investitionsstandort gestärkt hat. Der nationale Körperschaftsteuersatz wurde von 35 Prozent auf 21 Prozent gesenkt. Allerdings kommen je nach Bundesstaat noch lokale Zuschläge hinzu, sodass der endgültige Satz höher liegt. Während Biden den Bundessteuersatz auf mindestens 28 Prozent anheben will, kann sich Trump eine Senkung auf 15 Prozent vorstellen. Eine stärkere fiskalische Expansion unter einer Trump-Regierung könnte die Nerven der Anleihemärkte strapazieren, aber auch die Ertragserwartungen in den USA und die Stimmung gegenüber Konsumgütern, Small Caps und Finanztiteln verbessern. Die von Biden vorgesehenen höheren Steuern wären für europäische Unternehmen mit starker Präsenz in den USA nachteilig.
     
  3. In der Klimapolitik glich der Wechsel von Trump zu Biden einem Gezeitenwechsel. Der missverständlich benannte protektionistische US-Inflation-Reduction-Act hat die Investitionen in nachhaltigkeitsbezogene Technologien mehr als verdoppelt. 17 Prozent dieser Investitionen stammen von EU-Unternehmen, angelockt von attraktiven Steuerabschreibungen. 2023 kündigten die Hersteller nachhaltigkeitsbezogener Technologien in der EU zusätzliche Investitionen in der Höhe von 12 Milliarden Dollar in den USA an. Sollte Trump hier eine komplette Kehrtwende vollziehen (was keineswegs sicher ist, da diese Politik auch republikanischen Bundesstaaten nützt), könnte die Stimmung im Bereich erneuerbare Energien/grüne Energie/ESG unserer Ansicht nach einen Dämpfer erhalten. Wir erwarten aber einen leichten Vorteil für Europa, da der Inflation Reduction Act aufgrund einfach umsetzbarer Steuergutschriften zu Investitionsabflüssen in die USA geführt hat. Bei Fortsetzung der Biden-Politik wird der Wettbewerbs- und Verlagerungsdruck vermutlich anhalten.
     
  4. Was die Verteidigungspolitik betrifft, so dürfte die EU auch ohne das Extremszenario eines US-Austritts aus der Nato wahrscheinlich verstärkt auf Industriepolitik setzen, um ihre unterdimensionierte Verteidigungsindustrie auszubauen, wenngleich die Dringlichkeit im Falle eines Wahlsiegs von Biden geringer wäre. Es wird angestrebt, dass die Verteidigungsausgaben aller europäischen NATO-Mitglieder 2024 zusammen 2 Prozent ihres BIP ausmachen werden. Steigende EU-Militärausgaben könnten sich auf die Haushaltslage der Länder auswirken und Aktiensektoren wie Verteidigung/Industrie zugutekommen.

Wie könnte sich Trump 2 auf die Märkte auswirken?

Viele Beobachterinnen und Beobachter erwarten im Falle eines Wahlsieges Bidens weniger Verwerfungen als im Falle einer Wiederwahl Trumps. Ein Blick zurück zeigt aber, dass es unmittelbar im Anschluss an die unerwartete Wahl Trumps im Jahr 2016 am Markt zu einer heftigen und weitreichenden Risikoneubewertung kam. Öl, US-Nebenwerte, EU-Aktien, der Dollar und die Zinsen stiegen am stärksten. Dieses für einige Anlegerinnen und Anleger positive Bild lässt sich jedoch nicht auf seine gesamte Amtszeit übertragen. Die Handelspolitik war eine Quelle starker Einflüsse, insbesondere auf von Strafzöllen betroffene europäische Industrien, wie zum Beispiel den Automobilsektor. Klar ersichtlich wurde dies in der Schwäche europäischer Aktien in der Phase erhöhter handelspolitischer Unsicherheit von Januar bis September 2018. Lediglich Energie-, Luxusgüter- und Einzelhandelstitel entwickelten sich überdurchschnittlich.

Welche Auswirkungen könnte eine zweite Amtszeit Trumps haben?

  • Makroökonomie: Die Auswirkung auf das Wachstum könnte leicht positiv sein, aber die anfängliche Euphorie könnte durch importierte Inflation gedämpft werden. Was die Inflation betrifft, so stünden bei einer zweiten Amtszeit Trumps in den USA die Zeichen eher auf Reflation. Um allerdings Inflation und Wachstum in Europa zu beeinflussen, müssten eventuelle Konjunkturimpulse stark ausfallen. Bei den Zinsen erwarten wir einen zunehmenden Druck auf die Zentralbank, was zu einer Lockerung der Geldpolitik und einer steileren Zinsstrukturkurve führen könnte.
  • Anlageklassen: Eine Wahl Trumps könnte unserer Ansicht nach den Dollar, Energietitel, US-Aktien, US-Unternehmensanleihen und inländische zyklische Werte unterstützen und für Small Caps überwiegend positiv sein. Aktien aus der EU, Deutschland und China könnten hingegen zu den Verlierern gehören. Bei den Auswirkungen auf europäische Aktien und Anleihen ist jedoch ein differenzierter Blick gefragt, da das Risiko eher spezifisch denn generell ist. Zwar stammen 25 Prozent der Umsätze der im MSCI Europe vertretenen Unternehmen aus den USA, jedoch nur 6,4 Prozent von Waren, die in die USA exportiert werden (die also potenziell von zusätzlichen US-Zöllen betroffen sind).
  • Sektoren: Aus unserer Sicht gibt es nur wenige Sektoren, in denen gezielte Zölle Europa auf makroökonomischer Ebene erheblich treffen könnten. Wie schon in der ersten Amtszeit ist die Automobilindustrie am stärksten von einem Handelskrieg bedroht, da die Einfuhrzölle in der EU höher sind als in den USA. Eine Erhöhung der Zölle um 10 Prozentpunkte würde zu einem Rückgang der EU-USA-Exporte um 20 Prozent für alle betroffenen EU-Automobilhersteller führen. Auch die Luxusgüterindustrie, die 20 Prozent ihres Umsatzes in den USA erzielt, würde unter höheren Zöllen leiden, da ihre Preissetzungsmacht durch die Inflation ausgehöhlt wurde. Vergeltungsmassnahmen gegen EU-Länder mit einer Steuer auf digitale Dienstleistungen, die sich vor allem gegen US-Unternehmen richten, und Exportbeschränkungen für sicherheitsrelevante Technologien könnten Hightech-Unternehmen aus wichtigen europäischen Ländern (vor allem Frankreich, Italien und Spanien) treffen. Schliesslich sind auch gezielte Zölle auf Medizintechnik und Pharmazeutika denkbar. 

Je näher der November 2024 rückt, desto mehr Volatilität erwarten wir für europäische Sektoren und Aktien, die direkt von möglichen politischen Veränderungen betroffen wären. Daher ist es wichtig, die individuellen Risiken in diesen Sektoren im Vorfeld der Wahlen zu beobachten, da ihre Aktienkurse auf Umfragen und Wahlkampfrhetorik reagieren könnten.