Ueli Manser, ist Fachkräftemangel in Appenzell ein Thema?

Es wird auch bei uns schwieriger. Zur Verdeutlichung ein Beispiel zu den Lernenden: Ich bin jetzt im 18. Jahr hier. In der besten Zeit konnte ich aus zwanzig Lernendendossiers drei Bewerberinnen und Bewerber aussuchen. Jetzt habe ich noch drei, vielleicht vier gute Dossiers.

Und bei den Ausgelernten?

Die Rekrutierung war schon einfacher. Wenn wir einen Anlageberater suchen, dann müssen wir uns mehr Zeit lassen als früher. Es stehen nicht pro Stelle fünf bis zehn gute Bewerberinnen an. Das ist nach aussen etwas atypisch. 55 Prozent unserer Mitarbeitenden sind Mitarbeiterinnen, sprich Frauen. Wir haben einen Frauenüberhang. Manchmal sage ich, ohne die Frauen würde unsere Bank nicht funktionieren. Wir achten enorm darauf, familienfreundliche Situationen zu ermöglichen

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Den Fachkräftemangel spürt man jetzt etwas mehr, weil die Babyboomerjahrgänge in Rente gehen. Das ist eine Challenge, aber es geht. Ausserdem wächst die Appenzeller Kantonalbank gegenwärtig.

Zur Person Ueli Manser

Ueli Manser ist als Bauernsohn in Brülisau AI aufgewachsen und wohnt in Appenzell.

  • Seit wann sind Sie CEO Ihrer Bank? 1.1.2007
  • Höchste/letzte Ausbildung? Dipl. Treuhandexperte/dipl. Steuerexperte
  • Alter: 59

  • Hobbys: Ski fahren auf der Ebenalp AI oder im Bündnerland; wandern im Alpstein; mit der Familie im Appenzellerland unterwegs sein 

Inwiefern wachsen Sie? Haben Sie ein neues Geschäftsfeld aufgetan?

Ja, wir wachsen: Im Jahr 2000 hatten wir 1,5 Milliarden, im Jahr 2010 2,2 Milliarden, im Jahr 2020 schon 3,7 Milliarden und jetzt 4,2 Milliarden Bilanzsumme.

Das sind eindrückliche Zahlen für einen kleinen Kanton.

Ja, und Sie fragen zu Recht: Woher kommt dieses Wachstum? Auch Appenzell Ausserrhoden hatte einmal eine eigene Kantonalbank. Doch 1996 kam diese wegen der damaligen Immobilienkrise in Turbulenzen. Die Führung hatte sich verspekuliert. Man hätte die Bank anschliessend rekapitalisieren müssen. Doch einige Wirtschaftsprofessoren sagten dazumal: Banken in einer Grösse mit weniger als 200 bis 300 Mitarbeitenden seien nicht überlebensfähig.

Was nachweislich nicht stimmt.

Die Geschichte hat uns eines Besseren belehrt. Weil Ausserrhoden keine eigene Kantonalbank mehr hat und wir unseren Namen von «Appenzell-Innerrhoden Kantonalbank» auf «Appenzeller Kantonalbank» gewechselt haben, füllen wir strategisch gesehen die Lücke. Ausserrhoderinnen und Ausserrhoder sind bei uns herzlich willkommen. Und das funktioniert gut. Wir finden einen schönen Zulauf, obwohl wir in Herisau keine Niederlassung haben.

Sie sind ins Vakuum gestossen. Wäre es nicht sinnvoll, Sie würden in Herisau eine Filiale aufmachen?

(schmunzelt) Alle sagen das. Doch lieber bin ich hier, klein und fein, habe Strahlkraft, und die Kundinnen und Kunden kommen von Herisau aus hierher. Stellen Sie sich vor, wenn wir in Herisau eine Geschäftsstelle eröffnen würden, dann müsste ich mindestens fünf Mitarbeitende dort beschäftigen. Diese Kosten müssten sie erst wieder erwirtschaften. 

Sie haben sich also dagegen entschieden.

Ja. Jetzt haben wir ein Wachstum von 2 bis 4 Prozent pro Jahr – und damit sind wir zufrieden. Wenn wir ausserkantonale Niederlassungen eröffnen würden, wären vermutlich das Wachstum zu gross und die Refinanzierung und das Eigenmittelwachstum eine Challenge. Als Bank muss man auch einmal mit dem zufrieden sein, was man hat. Das ist die grosse Kunst. Im Übrigen haben wir in Oberegg AI mit neun Mitarbeitenden eine sehr gut funktionierende Niederlassung. Da betreuen wir viele Kundinnen und Kunden vom Appenzeller Vorderland und vom nahen Rheintal.

Sie scheinen enorm zu wachsen.

Viele Managerinnen und Manager wollen mehr und immer mehr. Doch Gier ist ein schlechter Berater. Ich bin zufrieden mit dem, was wir haben: E-Banking und Mobile-Banking für den Zahlungsverkehr, dazu E-Mail, Telefon – man muss ja nicht täglich zusammenkommen. Und so klappt die Betreuung der Ausserrhoder Kundschaft und von unseren «Fans» in der nahen Ostschweiz wunderbar. Viele Kundinnen und Kunden suchen wieder das Kleine und Überblickbare. Als echtes KMU mit schlanken Strukturen und kurzen Entscheidungswegen sind wir gefragt und voll im Trend. Bei der Kundschaft und den Mitarbeitenden.

Sie haben gerade den Risikoappetit erwähnt. Passivgelder sind ja auch wieder ein Thema. Wie kommen Sie an Passivgelder, um die Balance zu halten?

Mit fairen Konditionen. Wir haben sogar in der Negativzinsphase ein wenig Zinsen bezahlt, nie Negativzinsen verrechnet – ausser bei rund 15 Kunden.

Also bei ganz grossen?

Ja. Das war bei Leuten, die zu uns kamen, um Geld zu parkieren, weil sie bei der Hausbank Negativzinsen zahlen mussten. Ansonsten wären wir mit Geld geflutet worden.

Und jetzt in der Positivzinsphase?

Geld muss einen Wert haben. Als die Zehnjahreshypothek bei 1 Prozent war, gab es Fehlanreize. Zum Teil wurden Wohnungen von Leuten gekauft, die dies nur aufgrund des tiefen Hypozinses wollten. 

Und was zahlen Sie Ihren Kundinnen und Kunden?

Wir bezahlen aufs Sparkonto 0,6 Prozent und aufs Bonussparkonto 0,8 Prozent. Also 0,6 Prozent plus 0,2 Prozent Bonus. Das sind attraktive Sätze. Unsere Stärke ist, mit treuen, zufriedenen, loyalen Mitarbeitenden zu arbeiten. Gleichzeitig suchen wir ebenso treue, loyale und zufriedene Kundinnen und Kunden.

Reicht das aus? Oder müssen Sie auch über die Pfandbriefbank gehen, um Passivgeld zu beschaffen?

Die Pfandbriefdarlehen umfassen etwa 0,5 Milliarden. Wir brauchen sie insbesondere für die langfristige Refinanzierung und um das Zinsrisiko zu steuern. Wir haben ja sehr viele Festhypotheken. Da darf ich nicht mit reinem Spargeld refinanzieren. Das ist dann aber etwas teurer als mit Kundengeldern, die wir mit Kassenobligationen erhalten. In der Niedrigstzinsphase hatten diese enorm abgenommen. Heute erholen sich die Kassenobligationen wieder. Von ehemals 74 Millionen Franken sind sie wieder auf rund 113 Millionen gestiegen.

Ist KI ein Thema für die Appenzeller Kantonalbank?

Im letzten Monat haben wir für unsere Mitarbeitenden zwei Anlässe mit externen Anbietern durchgeführt. Es ging darum, das Grundverständnis für künstliche Intelligenz, die Chancen und Risiken von KI zu thematisieren. Situativ setzen einzelne Mitarbeitende KI als Werkzeug ein – zum Beispiel für Werbetextentwürfe –, aber noch nicht im grossen Stil.

Aber die digitale Bank kommt?

Bei der Digitalisierung können wir noch eine Scheibe drauflegen. Die Digitalisierung ist ja nicht nur für Kundinnen und Kunden, sondern auch bei den internen Prozessen wichtig. Da haben wir schon das eine und andere Thema, das wir angehen können.

In welchem Bereich arbeiten Sie mit externen Partnern zusammen?

Wir sind hundert Mitarbeitende und zehn Lernende, und diese Grösse zwingt uns schon immer, gewisse Themen extern einzukaufen, beispielsweise bei der IT. Das machen wir schon ewig so. Wir haben nie ein eigenes Rechenzentrum. Darum fahren wir inhouse sehr schlank.

Gibt es noch weitere Partner, die Sie nennen können?

Im Anlagebereich gibt es das Research beziehungsweise die standardisierten Vermögensverwaltungsmandate. Bei diesen Themen arbeiten wir mit der Zürcher Kantonalbank zusammen. Dazu nutzen wir das Swisscanto-Angebot. Parallel dazu haben wir spezielle Vermögensverwaltungsmandate, die wir selbst betreiben. Bei den Anlagefonds oder strukturierten Produkten fahren wir den Best-in-class-Ansatz; das heisst, wir kaufen diese Produkte bei verschiedenen Banken ein, welche jeweils das beste Kosten-Ertrags-Verhältnis für unsere Kunden und Kundinnen bieten. Allfällige Vertriebskommissionen, sofern das Produkt uns solche ausbezahlt, schreiben wir programmautomatisch quartalsweise unserer Kundschaft gut.  

Was sind die wichtigsten Herausforderungen im Banking?

Die Regulatorien. Das Problem ist: Nach jedem Unfall in der Finanzbranche versucht der Regulator, die Regelwerke zu verfeinern. Und das nimmt zunehmend die Chance auf Individualität. Bei einer Bank in unserer Grösse ist es eine riesige Herausforderung, dem Regulierungstempo zu folgen. Und selbstkritisch frage ich mich immer wieder: Machen alle Regulierungen eine Bank zwingend sicherer? Mein Ansatz ist ein hohes Eigenkapital, eine hohe Liquidität. Diese zwei Eckdaten fahren wir bei der Appenzeller Kantonalbank weit über das Minimum hinaus. Dadurch sind wir auch risikofähig.

Ist Open Banking ein Thema für die Appenzeller Kantonalbank?

Nein. E-Banking haben wir schon lange Zeit. Und wenn der Treuhänder die Vollmacht hat, kann er für die Kundschaft auch Zahlungen ausführen. Der Kunde hat in der Regel auch ein sogenanntes ERP, also ein Buchhaltungssystem. Und dort können die Files schon seit Jahr und Tag digital ein- und ausgelesen werden. Das funktioniert.

Ihre Kundinnen und Kunden fragen nicht danach?

Nein. Ich sehe im Moment noch kein grosses Bedürfnis bei unserer Kundschaft. Und warum müssen wir dann eine teure Infrastruktur aufbauen?

Auch KMU fragen das nicht nach?

In unserem KMU-Umfeld ist Open Banking noch kein Thema. In unserer E-Banking-Version kann man aus dem ERP-System via Ebics automatisch Zahlungsein- und -ausgänge verbuchen und freigeben.

Sie sparen sich den teuren Aufbau?

Genau. Das ist der Vorteil in unserer Grösse: Wir müssen auch in der IT nicht überall der First Mover sein. Wir können aus der Distanz beobachten. Natürlich wollen wir mit den Kernthemen, die die Kundschaft will, etwa bei modernem Mobile Banking, mitfahren.

Planen Sie, neue Geschäftsfelder oder Marktsegmente zu eröffnen?

Nein, als Bank in unserer Grösse ist es das Zahlen, Sparen, Anlegen, Finanzieren, Vorsorgen – das Abdecken der Grundbedürfnisse der Kundschaft. Unser Bonussparkonto haben wir im Jubiläumsjahr 2000 eröffnet. Es gibt das Konto heute noch. Wir neigen zu einfachen Produkten in unserer Angebotspalette. Viele Kundinnen und Kunden schätzen dies.

Kundschaft, die Sie persönlich kennen, da Appenzell klein ist?

Das ist der grosse Vorteil. Wenn ich an einen Anlass gehe, sind dort 80 Prozent der Leute Kundinnen und Kunden, Freunde, Bekannte. Ich schaue sie dann nicht als Kundschaft an: Der Mensch zählt. Aber darum haben wir heute einen Riesenmarktanteil im Appenzellerland. Einfach, weil wir Nachbarn sind. Die Leute kennen uns. Ausserdem habe ich persönlich den Anspruch, die Appenzeller Kantonalbank, die ich gesund übernommen habe, weiterzuentwickeln und gesund an meine Nachfolgerin respektive meinen Nachfolger zu übergeben. Das ist mein Anspruch – und mein Versprechen.

Die Appenzeller Kantonalbank
  • Gründungsjahr: Gesetzesannahme an der Landsgemeinde vom 30. April 1899, Geschäftsaufnahme im Januar 1900; im kommenden Jahr feiert die Appenzeller Kantonalbank ihr 125-Jahr-Jubiläum.
  • Bilanzsumme:  CHF 4200 Millionen
  • Anzahl Kunden und Kundinnen: über 32’000
  • Verbreitungsgebiet/abgedeckte Region: Hauptmarktgebiet sind die beiden Kantone Appenzell Innerrhoden und Appenzell Ausserrhoden. Dazu kommen diverse «Fans» der umliegenden Ostschweizer Kantone
  • Rechtsform: Die Appenzeller Kantonalbank ist eine selbstständige Anstalt des öffentlichen Rechts und gehört zu 100 Prozent dem Kanton Appenzell Innerrhoden.
  • Besonderes: «Mit hundert Mitarbeitenden und zehn Lernenden sind wir ein echtes KMU. Wir sind nahe bei den Kundinnen und Kunden, haben sehr schlanke Strukturen mit flachen Hierarchien und kurzen Entscheidungswegen. Wir bieten in den Themen Zahlen, Sparen, Anlegen, Finanzieren und Vorsorgen entsprechende Produkte für unsere Kundschaft und nehmen damit unsere volkswirtschaftliche Verantwortung wahr.»
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