Amadeo Alentorn, wo liegen die grössten Chancen für datengetriebene Anlagestrategien? Und was sind die grössten Risiken dabei?
Die Medaille hat zwei Seiten. Auf der einen Seite stehen immer mehr Daten zur Verfügung, mit denen komplexe Modelle erstellt werden können, die bessere und zuverlässigere Anlagevorschläge liefern. Vor zwanzig Jahren wären diese Daten noch einfacher gewesen, aber KI-Technologien haben die Datenlandschaft verändert. Beispielsweise können wir durch nicht sprachliche Verarbeitungstechniken qualitative Informationen wie die Stimmung des Managements bei der Bilanzpressekonferenz in quantitative Daten umwandeln.
Die Kombination aus grösserer Datenverfügbarkeit und besseren Analysetechniken ist sicherlich eine treibende Kraft für datengetriebene Strategien. Die Finanzmärkte sind jedoch einem enormen Rauschen ausgesetzt, von dem ein grosser Teil für präzise Vorhersagen nicht hilfreich ist. Zu oft haben wir die «Halluzinationen» von Chat GPT erlebt. In diesem neuen Datenzeitalter muss man sich dieser Probleme sehr bewusst sein, um erfolgreich zu sein.
Wo liegen die derzeitigen Grenzen von KI-Anwendungen, insbesondere im Finanzsektor? Wie schnell verschieben sich diese Grenzen, und wie schnell schreitet der Fortschritt der KI-Systeme voran?
Ich denke, wir erleben es ein wenig so, wie wir es zu Beginn des Jahrhunderts mit dem Anbruch der Internet-/Dotcom-Blase gesehen haben. Offensichtlich hat das Internet die Wirtschaft revolutioniert. Das Problem ist, dass es zu lange gedauert hat, dies zu tun. Diejenigen, die in den 1990er-Jahren investiert haben, haben viel Geld verloren. Sie mussten zu lange warten, um von diesen technologischen Fortschritten zu profitieren. Das ist bei disruptiven Innovationen oft der Fall.
Am Anfang stehen zum Teil überrissene Erwartungen, die nicht immer erfüllt werden können. Nach und nach kühlt sich diese Begeisterung ab, und es wird klar, dass es erfolgversprechende Anwendungen gibt. Es dauert dann einige Zeit, bis sie in den verschiedenen Aspekten implementiert sind und sich eine verbesserte Produktivität herauskristallisieren kann.
Das Gleiche kann bei KI der Fall sein?
Als ich in den 1990er-Jahren studierte und als Robotikingenieur arbeitete, war künstliche Intelligenz bereits Realität. Technologien wie neuronale Netze und genetische Algorithmen wurden bereits eingesetzt. In jüngster Zeit haben wir eine Explosion dieser Technologien erlebt, bei denen Tools wie Chat GPT den Zugang zu Technologie auf die Strasse gebracht haben und es einem normalen Menschen ermöglichen, Erkenntnisse aus einer grossen Datenmenge zu gewinnen. Natürlich ist dies ein riesiger Fortschritt in der Technologie, aber was sind die quantifizierbaren Auswirkungen dieses Fortschritts? Ich glaube, dass sich die Wirtschaft erheblich verändern wird, sobald wir diese Frage beantworten können.
Welche Aufgaben kommen auf Ihr Research-Team im Bereich Assetmanagement zu?
Unser tägliches Research konzentriert sich auf die schrittweise Verbesserung unseres systematischen Modells – von den Bottom-up-Kriterien für die Aktienauswahl über die dynamische Gewichtung bis hin zur Portfoliokonstruktion. Aufgrund der Reife des Modells kann es einige Zeit dauern, neue Datensätze zu finden oder kleine Änderungen vorzunehmen, die das Alpha verbessern und/oder das Risiko des Modells verringern. Dieser Prozess ist wissenschaftlich sehr solide, und alle Änderungen werden einer strengen Analyse und einem Backtesting unterzogen.
Zusätzlich zu unserem eigenen Research unterhalten wir enge Beziehungen zu wissenschaftlichen Beratern und Beraterinnen aus einer Vielzahl von Disziplinen. Diese Professoren sind auf dem neuesten Stand der Forschung und bringen neue Ideen ein, die wir weiter analysieren können. Manchmal führen diese Beiträge zu einer Verbesserung des Modells. Dies stellt sicher, dass das Modell in einem dynamischen Umfeld wettbewerbsfähig bleibt. Basierend auf unseren Forschungsergebnissen nehmen wir in der Regel zwei bis drei Modellverbesserungen pro Jahr vor.
Amadeo Alentorn ist verantwortlich für den Jupiter Merian Global Equity Absolute Return Fund. Zudem ist Amadeo Alentorn Fondsmanager und Leiter Research im globalen Aktienteam.
«Meine Karriere begann in der Robotik, die mich von Barcelona nach Grossbritannien geführt hat.»
Amadeo Alentorn, wie wird ein Informatiker und Robotikspezialist zum Fondsmanager?
Mit 18 Jahren kam ich hierher, um meinen Bachelor in Plymouth zu machen. Danach ging ich für ein Jahr in die USA, wo ich für eine Robotikfirma arbeitete. Leider war die Welt der Robotik damals nicht so aufregend wie heute und konzentrierte sich mehr auf Industrieroboter, die in der Automobilherstellung eingesetzt wurden. Heute wäre es viel interessanter, in diesem Bereich zu arbeiten als in den 1990er-Jahren. Nach Grossbritannien kehrte ich zurück, um meinen Master in Informatik und künstlicher Intelligenz (KI) zu machen, einem Fachgebiet, das gerade erst im Entstehen begriffen war. Nach einer kurzen Tätigkeit als Softwareentwickler kehrte ich an die Universität zurück, um mein Wissen und meine Fachkompetenzen zu vertiefen und mit einer Promotion in Computational Finance in die Finanzwelt einzusteigen. Danach arbeitete ich in der Financial Stability Group der Bank of England, wo ich Simulationsmodelle für System- und Liquiditätsfragen entwickelte. Anschliessend wechselte ich zum Quant-Team von Old Mutual und entwickelte das systematische Modell, das wir heute noch verwenden. Ich bin seit fast zwanzig Jahren Mitglied dieses Teams.
Bitte wagen Sie eine Vorhersage: Wie wichtig wird der Faktor Mensch in der Vermögensverwaltung in fünf Jahren sein?
Selbst bei traditionellen Strategien werden zunehmend grundlegende Computertechniken eingesetzt, um bestimmte Finanzkennzahlen effizienter und konsistenter zu quantifizieren, ohne den Menschen zu beanspruchen. So haben wir beispielsweise den Aufschwung von «quantitativen» Investmentansätzen erlebt, die statistische Datenanalysen zur Ergänzung traditioneller fundamentaler Analysemethoden beinhalten.
Im heutigen Datenzeitalter ist es sehr wahrscheinlich, dass in den kommenden Jahren den grundlegenden quantitativen Techniken mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird.
Es ist jedoch wichtig, die oben genannten Methoden von einem echten quantitativen Modell zu unterscheiden – Gear (Global Equity Absolute Return) zum Beispiel hat eine 15-jährige Geschichte der ständigen Weiterentwicklung hinter sich. Es wäre kein leichtes Unterfangen, einen ausschliesslich vom Menschen gesteuerten Anlageprozess in ein erfolgreiches quantitatives Modell zu verwandeln. Aus diesem Grund wird der Faktor Mensch in fünf Jahren wahrscheinlich noch sehr wichtig sein.
Aber selbst bei unserem rein quantitativen Ansatz sehen wir den Wert des Faktors Mensch.
Sie sind verantwortlich für den Jupiter Merian Global Equity Absolute Return Fund, der sehr erfolgreich ist. Wie hat Ihnen Ihr quantitatives Modell geholfen?
Das Investieren in den Aktienmarkt mithilfe eines quantitativen Modells hat mir unschätzbare Einblicke in das menschliche Verhalten und die Psychologie der Anlegenden verschafft. Emotionale und kognitive Verzerrungen sind in der menschlichen Biologie verankert und beeinflussen die Entscheidungen, die wir treffen – und diese Verzerrungen spiegeln sich auch auf den Finanzmärkten wider. Gut dokumentierte Verhaltensweisen von Anlegenden wie Herdenverhalten – wenn sich Anlegerinnen und Anleger kollektiv für bestimmte Aktien entscheiden, vor allem in Zeiten der Unsicherheit – oder Bestätigungsvoreingenommenheit – Stichwort Confirmation Bias, das Bevorzugen von Informationen, die die eigene Meinung unterstützen – können rationalen Anlageentscheidungen im Wege stehen.
Unser aktiver, quantitativer Ansatz zielt nicht nur darauf ab, diese menschlichen Fallstricke zu vermeiden, sondern sie auch zu nutzen, wenn es um Marktineffizienzen geht, indem wir einen disziplinierten und unvoreingenommenen Anlageprozess entwickeln. Der Schlüssel zum Erfolg unseres Gear-Fonds liegt in den Erkenntnissen aus zwei Jahrzehnten, in denen wir verhaltensbedingte Verzerrungen verstehen, uns mit den Marktbedingungen weiterentwickeln und eine disziplinierte Anlagephilosophie verfolgen. Diese Dynamik im Auge zu behalten, hilft uns, die Komplexität des Aktienmarktes besser zu beherrschen.
Sie haben vor etwa zwanzig Jahren bei Old Mutual angefangen. Was hat sich seither verändert?
Seit ich vor zwanzig Jahren in die Branche eingestiegen bin, hat sich eine Menge geändert. Wie ich bereits erwähnt habe, hat sich die Datenlandschaft erheblich verändert. Ausserdem stehen uns heute bessere und leistungsfähigere Werkzeuge zur Verfügung als noch vor zwei Jahrzehnten. Wir haben auch den Beginn von Plattformen wie Robinhood erlebt, die das Investieren für den Privatkundenmarkt zugänglich gemacht haben, was die Liquidität erhöht, aber auch die Dynamik der Märkte verändert hat. Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass Aspekte wie die Stimmung heute viel wichtiger sind als noch vor zwanzig Jahren.