Michael Borter, Cashare machte 2008 den Anfang mit Crowdlending in der Schweiz. Unterdessen schiessen die Vermittler dieser digitalen Angebote wie Pilze aus dem Boden …
Wir sind 2007 mit dem Projekt gestartet, und im Januar 2008 haben wir die Eintragung im Handelsregister gemacht. Und ja, wir waren das erste Fintech in der Schweiz. Es war eine völlig neuartige Idee, über das Internet Finanzgeschäfte anzubieten – und zu der damaligen Zeit noch sehr ungewöhnlich.
Was waren die Herausforderungen bei der Lancierung?
Wir mussten sehr stark darauf achten, alle rechtlichen Aspekte korrekt abzubilden. Man muss bedenken, dass damals ein Fintech regulatorisch ein Exot darstellte. Cashare war dann sieben Jahre, bis 2015, allein mit Crowdlending-Angeboten auf dem Schweizer Markt. In der Zeit kamen ein paar wenige Projekte auf den Markt, die aber schnell wieder verschwanden. Erst im Jahr 2016 gab es neue Anbieter.
Wenn ich Ihnen zuhöre, ist das ein schwieriges Umfeld. Jetzt haben Sie auch noch grosse Konkurrenz bekommen.
Nicht unbedingt. Es gab zwar einige neue Angebote, viele sind aber rasch wieder verschwunden. Wir hatten in den letzten zehn Jahren durchwegs ein sehr starkes Wachstum.
Doch auch Cashare hatte kürzlich zwei schwierige Phasen – zum Beispiel 2022 als die Zinsen schnell anstiegen und wir einen zehnprozentigen Wachstumsrückgang verzeichneten. Oder das abgelaufene Jahr 2024, in dem viele Finanzierungsgesuche aus Unsicherheit zurückgestellt wurden und wir ein Minus von 5 Prozent in Kauf nehmen mussten. 2023 hingegen war sehr gut.
Was waren die Gründe?
Sie waren externer Natur: 2022 war der Zinsschock einer der Hauptgründe. Die Investoren hatten sich neu und wieder andernorts orientiert.
Dazu muss man wissen: Wir haben meistens einen Überhang an Investoren.
In einem Negativzinsumfeld akzentuiert sich das natürlich zusätzlich. 2022 kehrte sich das zum ersten Mal um. Und 2024 war das Problem, dass wir zu wenig qualitativ gute Kredite hatten, die das Wachstum hätten weiter voranbringen können.
Michael Borter ist Gründer und CEO der Crowd-Lending-Plattform Cashare.
Können Sie durchschnittliche Kreditgeber und Kreditnehmerinnen charakterisieren?
Ja. Allerdings sind wir auf der Anlegerseite nicht so gut informiert wie auf der Kreditnehmerseite. Denn bei einem Kreditantrag kommen wir zwangsläufig wegen der erforderlichen Prüfung zu vielen Informationen. Darum ist die Cashare-Datenbank auch als besonders schützenswerte Datenbank beim Datenschützer gemeldet.
Wer legt bei Ihnen an? Und wer nimmt Kredit auf?
Der typische Anleger ist männlich. Währenddessen bei Kreditnehmern beide Geschlechter ähnlich vertreten sind. Die Kreditnehmerseite ist mit durchschnittlich 35 Jahren etwas jünger, während wir bei den Anlegerinnen und Anlegern bei rund 45 Jahren liegen.
Wie hoch sind die Einkommen von Leuten, die Kredit nehmen?
Das variiert sehr stark. Wir haben schon Kredite von einem Geschäftsleitungsmitglied eines börsenkotierten Unternehmens finanziert, aber auch von jungen Menschen, die mit geringem Einkommen eine Weiterbildung finanzieren.
Der durchschnittliche Kredit im Privatkreditbereich liegt gemäss Zentralstelle für Kreditinformation (ZEK) in der Schweiz zwischen 20’000 und 25’000 Franken. Wir sind eher bei 35’000 Franken. Cashare bietet bewusst eine maximale Laufzeit bis fünf Jahre. Damit haben die Kreditnehmerinnen und -nehmer eine angemessene Perspektive – und wissen, dass sie in absehbarer Zeit zurückzahlen müssen.
Wir haben ein Produkt, das heisst Embedded Lending. Einer unserer Kooperationspartner ist beispielsweise Bénédict. Wenn Sie bei Bénédict eine Ausbildung machen wollen, aber nicht das dafür erforderliche Geld zurückgelegt haben, können Sie den Betrag aufnehmen und über eine längere Laufzeit monatlich abzahlen.
Das ist ein eigentlicher Ausbildungskredit?
Ja. Die meisten dieser Kundinnen und Kunden sind zwischen 20 und 25 Jahre alt, und wollen sich nach einer Lehre weiterbilden. Viele haben noch kein oder zu wenig Geld angespart. Oft bewegen sich diese Kundinnen und Kunden in einer tiefen Einkommensklasse und verdienen nach der Lehre im ersten Job um die 4000 Franken.
Gemäss Gesetz könnte Bénédict selbst maximal Finanzierungen für zwölf Monaten anbieten. Mit uns als Partner sind jedoch fünf Jahre machbar.
Bietet das Vorteile?
Unbedingt. Angenommen eine Ausbildung kostet 12’000 Franken, dann müssten Kreditnehmer 1000 Franken pro Monat auf die Seite legen können. Bei einem Einkommen von 4000 Franken ist das selten tragbar.
Wenn man jedoch die Laufzeit auf fünf Jahre erstreckt, kommt man auf rund 200 Franken pro Monat. Dann geht das. Übrigens: Man kann die Kredite bei uns natürlich auch jederzeit vorzeitig zurückzahlen, sollte dies ein höheres Einkommen zulassen.
Neben Privatkrediten vergeben Sie auch Kredite an Unternehmen. Wie hoch ist der jeweilige Anteil zwischen Privatkredit und KMU-Kredit?
Beim Kreditvolumen haben wir 10 Prozent im Privatkundenbereich und 90 Prozent bei KMU.
Bei der Anzahl Kredite ist das Zahlenverhältnis umgekehrt. 20 Prozent sind KMU-Kredite und 80 Prozent sind Privatkundenkredite. Wir haben also viel mehr Kreditverträge mit Privatkundinnen und -kunden als mit Unternehmen.
Wie hoch sind die KMU-Kredite im Durchschnitt?
Im Schnitt sind es zirka 250’000 bis 300’000 Franken. Wir vergeben jedoch bis zu einer Million Franken an Unternehmen. Das ist dann auch die gesetzliche Grenze für Crowdlending, die wir aufgrund der geltenden Fintech-Regulierung einzuhalten haben.
Was sind das für Unternehmen?
Das sind oft kleine Betriebe. Wir unterscheiden hier zwischen zwei Gruppen. Die eine sind Immobilienunternehmen. Diese sind sehr stark und vor allem seit Corona massiv gewachsen.
Und die zweite Gruppe?
Das sind typische Kleinunternehmen mit bis zu zehn Mitarbeitenden. Sanitär, Malermeister, Schreiner. Da haben wir wirklich ein ganz breites Spektrum.
Banken werden immer selektiver bei Kreditvergaben. Sind Sie bei Cashare ein letzter Ausweg für diese Betriebe?
Das ist ein Punkt. Wir sind aber sehr strikt bei der Kreditvergabe. Seit unserer Gründung lehnen wir im Schnitt 90 Prozent aller Kreditanträge ab. Unser Fokus lag stets auf der Qualität der Kredite vor dem Wachstum des Volumens. Aus unserer Sicht ist das absolut wichtig. Seit Bestehen haben wir so Kreditanfragen im Umfang von etwa 2,7 Milliarden Franken bearbeitet.
Wie lange dauert es, wenn ich bei Ihnen 200’000 Franken investiere, bis Sie diese Summe platzieren können?
Das hängt von Ihren Kriterien ab. Der Punkt ist, und das ist als Anlegerin oder Anleger sehr wichtig: Auch bei Kreditanlagen und Crowdlending muss eine Strategie dahinterstecken. Dann eignet sich diese Assetklasse wunderbar als Beimischung in jedes Portfolio.
Der wichtigste Punkt beim Kreditgeschäft ist eine breite Diversifikation. Es gilt, ein Klumpenrisiko zu vermeiden. Wir empfehlen mindestens eine Diversifikation von 50 Krediten aufwärts.
Wie sieht das konkret aus?
Wir haben Ratings von A bis E. Doch nur A bis C schalten wir auch auf. Cashare zählt auch institutionelle Anleger zu seinen Kunden, die ihre Rahmenbedingungen ganz klar formulieren. Zum Beispiel: «Wir haben die Summe X, die wir nur unter gewissen Kriterien investieren wollen. Wir wollen nur KMU, nur diese Laufzeiten, nur diese Ratings, nur diese Verzinsungen.» Als Privatperson kann man eine solche Diversifikation mit der Minimuminvestition von 100 Franken bei Privatkrediten ab 5000 Franken erreichen.
Wie sieht das Verhältnis zwischen Privatkunden und institutionellen Kunden aus?
65 bis 70 Prozent unseres Volumens kommt von Privatanlegern, der andere Teil von Institutionellen. Bei der Anzahl Kunden ist dieses Verhältnis genau umgekehrt.
Schaut man die Ratings von Lendingplattformen an, schneidet Ihre Firma Cashare schlecht ab. Müssen Sie da nicht besser werden?
Die Frage ist immer, woher die Kritik kommt und wie berechtigt sie ist. Auf gewisse Sachen haben wir Einfluss, auf andere wieder nicht – etwa darauf, wie schnell eine Betreibung vonstattengeht.
Eine Grundpfandverwertung dauert schnell zwei bis drei Jahre. Da kann es schon zu Unzufriedenheit von Kreditgebern kommen. Doch wir sind sehr transparent und informieren fortlaufend über den aktuellen Stand. Cashare versucht so gegenzusteuern.
Trotzdem sind andere Anbieter besser im Kundenranking.
Teils führt unsere hohe Ablehnungsrate bei Kreditanträgen zu negativen Kommentaren. Da bleiben wir aber strikt. Ein wichtiger Unterschied ist aber: Wir bei Cashare sind im Vergleich mit anderen Anbietern mehr im Retail-Bereich und schon viel länger auf dem Markt tätig. Das ist sicher wesentlich.
Wieso?
Retailanlegern fehlt es teilweise am nötigen Know-how. Sie sehen die höheren Renditemöglichkeiten, lassen aber ausser Acht, dass eine höhere Rendite nur mit höheren Risiken erreicht werden kann. Hier versuchen wir mit Informationen entgegenzuwirken und die Anleger auf die Ratings und unterschiedlichen Risikoklassen zu sensibilisieren.
Das heisst konkret?
Wir bekommen auch negative Bewertungen für Ablehnungen von Kreditanträgen von Privatpersonen. Privatkunde Hans Müller regt sich vielleicht auf, da er von uns keinen Kredit bekommen hat, und macht dann seinem Ärger mit einer negativen Bewertung Luft.
Ein unerfahrener Privatanleger auf der anderen Seite diversifiziert möglicherweise nicht genug oder wählt eine tiefere Ratingklasse, um die höheren Zinsen zu erhalten, ohne seinen persönlichen Risikoappetit zu kennen. Das Family-Office XY hingegen versteht das Geschäft. Und wenn es Diskussionsbedarf gibt, dann reden sie auch direkt mit uns.
Was wird am häufigsten gelobt?
Das positive Feedback kommt vor allem wegen unserer Transparenz sowie der Geschwindigkeit von Anfragen zustande, aber auch wegen des Inkasso-Bereichs und der guten Recovery-Quote.
Welche Entwicklungen stehen in Ihrer Firma an?
Einige. Letztes Jahr haben wir viel Geld in den Ausbau der Plattform investiert, was das Nutzererlebnis und die Datenqualität noch einmal stark verbessert. Wir konnten über die 17 Jahre eine sehr grosse Datenbasis aufbauen, die äusserst wertvoll ist.
Wir haben zudem ein neues Produkt lanciert, das «Lending as a Service» ermöglicht. Das bedeutet, dass man modular Elemente unserer digitalen Angebote als professioneller Kreditgeber nutzen kann. Damit können beispielsweise kleine Banken oder Family-Offices ihr eigenes Private-Debt-Angebot aufsetzen. Oder eben die Embedded-Lending-Lösung, bei der Anbeiter die nötige Finanzierung gleich in ihr eigenes Produkt integrieren können.
Ist das eine White-Label-Lösung?
Nein. Eine White-Label-Lösung wäre, wenn eine andere Firma unsere Crowd-Lending-Plattform als Ganzes für sich übernehmen und unter anderem Label auf den Markt bringen würde. Wir reden hier von Private Debt, also nur von einem Segment unserer Dienstleistungen. Dazu gehören etwa der ganzen Prüfungsprozess oder der Zahlungsprozess im Zusammenhang mit Anlagelösungen rund um private Kredite. Unsere Kundinnen und Kunden beziehen modular unsere einzelnen Dienstleistungen.
Noch etwas ist mir wichtig: Im Gegensatz zu anderen Anbietern sagen wir auch: Ausfälle gehören zum Kreditgeschäft dazu. Wir würden nie an den Markt gehen und sagen, wir hätten keinen Ausfall. Jeder, der sagt, er habe keinen Ausfall, der lügt entweder oder er hat keine Ahnung.
Wie hoch ist die Ausfallrate?
Über das gesamte Portfolio zwischen 1 und 1,5 Prozent.
Das ist extrem wenig.
Es ist relativ tief, aber ein Durchschnitt über alle unsere Kredite hinweg. Unter den einzelnen Ratingklassen variiert das schon: In der Ratingklasse C geht das Ausfallrisiko auf bis zu 5 bis 6 Prozent hoch, entsprechend höher sind dort die geforderten Kreditzinsen. Es ist deshalb wichtig, dass man als Anleger diversifiziert.
Wie halten Sie die Ausfallrate möglichst tief?
Wir nutzen externe Datenanbieter. Aber auch unsere grosse eigene Datenbank und jahrelange Erfahrung sind von Vorteil. Bei privaten Kreditnehmern haben wir sehr viele Informationen über 17 Jahre gesammelt, bei KMU nun auch schon zehn Jahre lang. Das können wir anderen Firmen zur Verfügung stellen. Das ist übrigens auch eines der grossen Projekte dieses Jahr.
Inwiefern?
Wir werden unsere Data Analytics noch weiter mittels KI anreichern. Das ist viel Machine-Learning und Mustererkennung, die wir nun noch erweitern.