Wie haben Sie das Jahr 2024 als Corporate Banker in der Schweiz erlebt?
Wir haben ein sehr starkes Finanzierungsumfeld in der Schweiz gesehen. Unternehmen haben die starke Investorennachfrage am Anleihenmarkt und das Momentum attraktiver Konditionen für Refinanzierungen und Repricings genutzt. Darüber hinaus haben wir bei unseren Large-Cap-Kunden im Licht der geopolitischen Situation, aber auch höchst unterschiedlicher Wachstumsdynamiken, einen starken Fokus auf die Supply-Chain wahrgenommen. Hier spielte neben der Lieferkettenresilienz die Überprüfung globaler und regionaler Cash- und Liquiditätsmanagement-Strukturen eine bedeutende Rolle, wobei bei Letzterem besonderes Augenmerk auf Innovationen wie virtuellen Konten und DLT-basierten Lösungen lag.
Wo lagen für J. P. Morgan Wachstumsbereiche oder Entwicklungsfelder mit den Kunden?
Besonders stark wachsen konnten wir im Payments-Bereich, wo wir neue Mandate gewinnen konnten. Auch im Trade-Finance-Bereich haben wir deutliche Impulse gesehen, einhergehend mit Lösungen zur Optimierung des Working Capitals – von Receivable Purchases und Supply-Chain-Finance bis hin zu Inventory-Financing. Darüber hinaus haben wir über unser Global-Shares-Angebot neue Produktfelder wie die Verwaltung von Aktienkapital und Mitarbeiteraktienplänen für Unternehmen erschlossen.
Die Schweizer Finanzbranche steht unter zunehmendem internationalem Regulierungsdruck. Wie positioniert J. P. Morgan seine Strategien angesichts dieser Herausforderungen?
Als globale Bank sehen wir es als unsere Aufgabe, unsere Kunden proaktiv im Umgang mit internationalen Regulierungen zu begleiten. Wir stehen in engem Austausch mit ihnen zu Themen wie Basel IV bzw. Basel Endgame, um mögliche Auswirkungen frühzeitig zu antizipieren und Finanzierungen entsprechend anzupassen. Mit unserem internationalen Fussabdruck pflegen wir grundsätzlich einen engen Dialog mit den internationalen Regulatoren und ergreifen alle notwendigen Massnahmen, um auf etwaige Veränderungen vorbereitet zu sein und unseren Kunden als verlässlicher Partner zur Seite zu stehen.
Lutz Karl ist Co-Head of Corporate Banking für DACH, mit Verantwortung für Large Caps von J. P. Morgan.
Die Schweizer Wirtschaft ist stark vom Finanzsektor und Präzisionsindustrien abhängig. Wo sehen Sie systemische Verwundbarkeiten?
Die vergangenen zwei Jahre haben gezeigt, dass die Schweizer Regierung bereit ist, alle notwendigen Massnahmen zu ergreifen, um eine Destabilisierung des Finanzsektors zu verhindern. In den Präzisionsindustrien besteht nach wie vor eine starke Exportabhängigkeit von Deutschland und China. Hier bleibt abzuwarten, wie sich die Wirtschaft und spezielle Sektoren wie die Automobilindustrie in den kommenden Monaten entwickeln. Allerdings zeigt die aktuelle Situation, dass an einer Anpassung des Geschäftsmodells und einer stärkeren Diversifizierung, um auf die sich ändernden globalen Rahmenbedingungen angemessen reagieren zu können, kaum ein Weg vorbeiführen dürfte.
Wie bewerten Sie die Innovationskraft Schweizer KMU im internationalen Vergleich, speziell in Hightech- und Industriesektoren?
Die Schweiz ist zweifellos ein Land mit starker Innovationskraft. Als herausragender Unternehmens- und Forschungsstandort wird sie weiterhin ein bedeutender Innovationshub bleiben. Die Herausforderung besteht jedoch darin, wie ein «High Cost»-Land wie die Schweiz die passenden Rahmenbedingungen schaffen kann, um junge und innovative Unternehmen zu unterstützen. Hier wird entscheidend sein, dass Ideen, Innovationen sowie Startups gefördert und auch entsprechend weiterentwickelt werden.
Die Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU sind komplex. Welche finanziellen Implikationen ergeben sich daraus für Unternehmensstrategien?
Neben den USA ist die EU für die Schweizer Unternehmenslandschaft traditionell von herausragender Bedeutung. Auch künftig werden starke und gesunde Handelsbeziehungen in diesen beiden Regionen ein Erfolgsfaktor für die Schweizer Wirtschaft bleiben. Insofern gilt den Rahmenbedingungen künftig ein ganz besonderes Augenmerk.
Welche Branchen in der Schweiz sehen Sie aktuell mit den grössten Transformationsrisiken konfrontiert?
Veränderungsdruck sehen wir mit Blick auf Faktoren wie Digitalisierung, technologische Innovation und geopolitische Risiken, insbesondere bei Unternehmen mit einem internationalen Geschäftsmodell und entsprechenden Lieferketten- und Absatzbeziehungen. Besonders akut ist der Handlungsbedarf sicherlich derzeit bei Automobilzulieferern und Industrieunternehmen, von denen sich viele den vielfältigen technologischen Herausforderungen stellen und ihre Produktions- und Distributionsstrategien anpassen müssen. Auch traditionelle Banken dürften ihr Geschäftsmodell mit Blick auf die Zukunftsfähigkeit teilweise hinterfragen.
Wie schätzen Sie die Wettbewerbsfähigkeit des Schweizer Finanzplatzes angesichts zunehmender internationaler Konkurrenz ein?
Die Schweiz ist seit jeher ein starker Anker im globalen Finanzsystem, der mit einem breit diversifizierten Private-Banking-Sektor eine grosse Resilienz unter Beweis gestellt hat. Eine gewisse Konsolidierung unter den Privatbanken würde ich nicht ausschliessen, aber ich erlebe den hiesigen Finanzplatz als solide aufgestellt.
Welche Fehler machen Schweizer Unternehmen typischerweise bei internationalen Expansionsstrategien?
Ehrlich gesagt ist die Schweiz traditionell ein Export- und international orientiertes Land mit einem sehr guten Track-Record in der internationalen Expansion. Dass im Zuge starken Wachstums in einigen Regionen der Welt über die vergangenen Jahre ein gewisses Ungleichgewicht mit Blick auf Absatzmärkte entstanden ist, ist sicherlich kein Schweizer Phänomen, sondern betrifft alle Exportnationen gleichermassen. Das wird sich mittelfristig jedoch wieder einpendeln. Wir sehen einen starken Trend zur Reglobalisierung mit einer Neuaufstellung mit Blick auf die internationalen Wirtschaftsbeziehungen.
Wie wirken sich die aktuellen geostrategischen Verwerfungen konkret auf Investitionsentscheidungen im Schweizer Finanzraum aus?
Ich sehe hier tatsächlich keine Auswirkungen auf Investitionsentscheidungen.
Welche Erwartungen haben Sie für 2025? Welche Themen stehen im Mittelpunkt?
Mit dem Einzug der neuen US-Administration und drohenden Zöllen, anhaltenden internationalen Konflikten und geopolitischen Risiken sowie den Wahlen in Deutschland stehen wir sicherlich vor einem ereignisreichen und herausfordernden Jahr. Der Aufbau von Resilienz ist von herausragender Bedeutung. Zugleich werden sich in den internationalen Märkten aber auch neue Potenziale für Schweizer Unternehmen ergeben – Stichwort Reglobalisierung. Als Partner rund um den Globus werden wir sie dabei unterstützen, diese zu heben.