Simon Jennings, warum eröffnet HarbourVest hier in Zürich nach über vierzig Jahren Bestehen einen neuen Standort?

Wir haben als Unternehmen in den USA als Tochtergesellschaft der John Hancock Insurance Company angefangen und uns Ende der 90er-Jahre abgespalten. Zu diesem Zeitpunkt befanden wir uns in Boston. Wir expandierten schnell nach London und Hongkong. Unterdessen haben wir 13 Büros auf der ganzen Welt eröffnet. Nun folgt auch Zürich.

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Was motiviert Sie, in Zürich präsent zu sein?

Wir wollen unserer Kundschaft nahe sein. Selbst wenn London nur anderthalb Stunden Reisezeit von Zürich entfernt ist, kann man Kundinnen und Kunden nur dann nahe sein – und sie wirklich verstehen –, wenn man sie persönlich trifft. Es geht darum, zusammen Kaffee zu trinken, gemeinsam zu Mittag oder zu Abend zu essen. Daraus ergibt sich einfach eine ganz andere Art von Geschäftsbeziehung.

Wann haben Sie Ihre Büros in Zürich eröffnet?

Ich bin im Februar dieses Jahres mit meiner Frau in die Schweiz gekommen. HarbourVest hat zuerst ein temporäres Büro bezogen, während wir uns nach langfristigen, dauerhaften Räumen umgesehen haben. Und seit August dieses Jahres sind wir nun in der Claridenstrasse, direkt am Bleicherweg, in der Nähe des Paradeplatzes. Wir sind also sozusagen mitten im Geschehen: jede Menge Kunden um uns herum.

Sie kennen Zürich ja bereits aus Ihrer Zeit bei der UBS. Wie war die Rückkehr?

Das Zürcher Finanzviertel hat eine überschaubare Grösse. Ich treffe viele alte UBS-Kollegen. Einige von ihnen habe ich seit dreissig Jahren nicht mehr gesehen. Die scherzen dann: «Simon, du hast ja gar keine Haare mehr!» Das ist lustig. Und es ist schön, wieder hier zu sein.

Nun richten Sie den neuen Standort von HarbourVest in Zürich ein.

Ja, wir wollen unter all den Banken sein, unter all den institutionellen Kunden, die in Zürich ansässig sind, ob es sich nun um Versicherungsgesellschaften oder Pensionsfonds handelt. Wir werden im kommenden Januar unsere offizielle Büroeröffnung feiern.

Wie stellen Sie sicher, dass die Expertise Ihrer globalen Spezialisten und Spezialistinnen in die hiesige Kundenberatung einfliesst?

Wenn wir ein Geschäft in der Schweiz abwickeln, ziehen wir Investmentexperten aus all unseren relevanten Standorten weltweit hinzu. So erhalten Kunden und Kundinnen Zugang zum gesamten Netzwerk von HarbourVest. Aber das passiert nicht jede Woche. Wir sind in ganz Europa auf dem Gebiet der Investitionen tätig. Der Hauptzweck des Zürcher Büros – und der meisten anderen Büros – besteht darin, mit den Kundinnen und Kunden zusammenzuarbeiten.

Wie sucht HarbourVest seine Investments aus? Was sind die Kriterien?

Das ist eine gute Frage. Wir machen drei Arten von Investitionen. Die erste Art nennen wir Primärinvestitionen, bei denen wir vom ersten Tag an in den Private-Equity-Fonds eines anderen Unternehmens investieren. Dieser Fonds hat in der Regel eine Laufzeit von zehn Jahren, und der Fondsmanager zieht Kapital ab und investiert in die betreffenden Unternehmen. Das nennt man eine primäre Fondsinvestition. Wir nennen es das Primärgeschäft.

Zu Simon Jennings und HarbourVest

HarbourVest, ein globaler und unabhängiger Vermögensverwalter, ist nun unter der Leitung von Simon Jennings auch in Zürich präsent. Zürich ist der fünfte EMEA-Standort von Harbourvest und das 14. Büro weltweit. Mit der Expansion will HarbourVest der wachsenden Nachfrage institutioneller und privater Kundinnen und Kunden nach Anlagelösungen gerecht werden. Harbourvest ist seit fast 40 Jahren auf dem Schweizer Markt aktiv.

Simon Jennings, Managing Director von HarbourVest in der Schweiz, kam 2017 zu HarbourVest. Er verfügt über mehr als dreissig Jahre Erfahrung in diesem Sektor, unter anderem bei UBS und HSBC. Zuletzt war er an der Lancierung der offenen Private-Equity-Evergreen-Lösung des Unternehmens beteiligt, die sich an institutionelle und vermögende Anleger und Anlegerinnen ausserhalb der USA richtet.

Können Sie etwas über die Auswahlkriterien sagen?

Wir achten darauf, ob der betreffende Fondsmanager eine gute Erfolgsbilanz vorweisen kann. Hat er in früheren Konjunkturzyklen investiert und gute Renditen erzielt? Ist das Team stabil? Ist die Strategie kohärent? Verfügt er über einen Vorteil, sei es Branchen- oder Länderkenntnis? Oder ist er in einer bestimmten Art von Investitionen aktiv, zum Beispiel in Turnarounds oder Notlagen? Ein Blick auf die Strategie ist also sehr wichtig.

Aber nicht alles. Sie checken noch mehr ab …

Das Schöne an Private Equity ist, dass wir uns jede einzelne Investition des Managers ansehen können. Wenn er also bereits zehn Fonds aufgelegt hat, können wir 25 Jahre zurückblicken und uns jede einzelne Investition ansehen.

Und wir können nicht nur sehen, wie jeder Fonds abgeschnitten hat, sondern auch, wie jede einzelne Unternehmensinvestition abgeschnitten hat. Die Performance ist das Kernstück der Analyse. Und dann geht es um eine subjektive Beurteilung der Mitarbeitenden, der Strategie und des Investitionsprozesses. 

Was hat es mit KI in diesem Zusammenhang auf sich?

Wir nutzen KI. Wir haben KI schon genutzt, bevor es KI überhaupt gab. (Lacht) KI nimmt viele Formen an. Einer unserer Vorteile: Weil wir über vierzig Jahre Cashflow-Daten verfügen, können wir diese analysieren.

Haben Sie da einen Vorteil gegenüber Mitbewerbern?

Die meisten Private-Equity-Firmen haben keine Daten über einen so langen Zeitraum. Und da HarbourVest auch in andere Private-Equity-Fonds investiert, haben wir sogar Daten, die die gesamte Branche abdecken. Mit diesen Daten führen wir mittels KI systematisch Monte-Carlo-Simulationen und Backtests durch, um zu sehen, wie sich die Investitionen in früheren Zyklen entwickelt haben und wie die Leistung dieses Managers im Vergleich zum Rest des Marktes in früheren Zyklen war.

Wie Private Equity von einer exklusiven Assetklasse zum Massenprodukt wurde

Private Equity erlebt einen Boom. Da diese direkten, ausserbörslichen Investitionen in Unternehmen für immer mehr Personen möglich gemacht werden. Der Grund? Der Eintritt wird niederschwelliger – nicht zuletzt wegen der Evergreen Fonds. Da das dazu erforderliche Kapital für diese Investitionen mit immer kleineren Summen ermöglicht wird.

Private Equity als Assetklasse für Megareiche

In den späten 90er Jahre investierten einzig institutionelle Kunden in Private Equity. Es gab einige grosse Family Offices, die in Private Equity investieren konnten, aber die Mindestsumme für einen Private-Equity-Fonds betrug stattliche 10 Millionen Dollar.

Wenn man also bedenkt, dass selbst eine grosse Familie, wenn sie in 10 Fonds investiert, 100 Millionen Dollar investiert, sind das hohe Summen. «Und wenn Private Equity 10 Prozent ihres Portfolios ausmacht, bedeutet das, dass die Familie 1 Milliarde Dollar an Vermögen besitzen muss», rechnet Simon Jennings, Landeschef Schweiz, Europa und Asien von HarbourVest vor. Logischerweise investierten zu dieser Zeit selbst wenige Milliardärsfamilien in Private Equity.

Globale Banken steigen ein

Damals waren die globalen Grossbanken Pioniere bei der Einführung dieses Geschäfts, erinnert sich Jennings. Die global agierenden Grossbanken schafften ein Vehikel für Private-Banking-Kunden. Statt 10 Millionen konnten nun viel kleinere Beträge investiert werden, etwa 250.000 Dollar. Schon bald bekundeten kleinere Family Offices und sehr vermögende Anleger grosses Interesse an dieser Assetklasse. Dieses Modell hielt sich etwa 20 Jahre lang und hat sich nicht verändert.

Kleinere Tranchen, grösseres Geschäft

Das war die in der Branche als Demokratisierung 1.0 bezeichnete, erste Öffnung hin zum Massenmarkt, erreichte aber erst das obere Ende des Privatkunden- oder Private-Banking-Segments. Vor etwa acht Jahren begannen Fintech-Plattformen sich zu einer Art externer Feeder-Vehicle-Builder zu entwickeln. Nun stiegen auch unabhängige Unternehmen, neue Player, ein. Dadurch erhöhte sich der Prozentsatz der Kunden, die sich an Private Equity beteiligten: die Demokratisierung 2.0 war vollzogen.

Zehnjahresfrist fällt

«Was sich in den letzten fünf Jahren verändert hat, ist ziemlich dramatisch», meint Jennings. Nämlich die Schaffung offener Vehikel. Offene Evergreen-Vehikel geben Anlegerinnen und Anlegern die Möglichkeit, zum Nettoinventarwert ohne Abschlag, auszusteigen. Das macht Sinn, wenn sich die Lebensumstände wegen Tod, Scheidung, Krankheit, Nachlassplanung etc. verändern. «Manchmal müssen Kunden ihre Position zurückgeben. Bis vor fünf Jahren war das bei Private Equity nicht möglich, jetzt schon», so Jennings.
 
Diese Innovation führte zur Demokratisierung 3.0. «Ich glaube, dass sich der Prozentsatz der Privatanleger, die in Private Equity investieren, ziemlich dramatisch verändern wird», meint Simon Jennings. Während es bei den Feeder-Vehikeln vielleicht 2 oder 3 Prozent waren, könnten nun 10 oder 20 Prozent der Privatkunden in Private Equity investieren. «Das ist ein grosser Zuwachs. Das sind Billionen von Dollar.»

Verstehen, was man kauft

Es sei eine grosse Verantwortung, alles richtig zu aufzugleisen, um sicherzustellen, dass die Kundinnen und Kunden verstehen, was sie kaufen. «Wir arbeiten oft mit Privatbanken zusammen und stellen sicher, dass die Privatbanken über gute Systeme und Prozesse verfügen, um sicherzustellen, dass die Kunden verstehen, was sie kaufen. Auch hier gehen wir also Partnerschaften mit Privatbanken ein, um ihren Kunden Zugang zu diesen Evergreen-Vehikeln zu verschaffen.»

KI verändert die ganze Branche rasant, oder?

(Nickt) KI wird viele Auswirkungen auf unsere Branche und auf den Bankensektor haben. Und wenn ich mir anschaue, wie sich unsere Kunden entwickeln, dann setzen Banken und Vermögensverwalter zunehmend KI ein, um Portfolios für ihre Kunden zu erstellen. Die meisten Kunden würden gerne Private Equity in ihrem Portfolio haben, aber sie sind nicht immer in der Lage, auf diese zuzugreifen. KI wird es ermöglichen, einem Kunden nicht nur ein Produkt zu verkaufen, sondern es in sein Portfolio einzubinden, als Teil einer strategischen Asset-Allocation.

Und die anderen zwei Investitionsmodelle?

Die Sekundärinvestition. Diese startet, fünf bis sieben Jahre nachdem ein Fondsmanager die Investitionen getätigt hat. Wir schauen uns jedes einzelne Unternehmen an und erstellen Finanzmodelle, in denen wir simulieren, was unserer Meinung nach mit jedem einzelnen Unternehmen passieren wird. Wir bewerten das Portfolio als Ganzes.

Und das dritte Modell?

Und drittens investieren wir direkt in Unternehmen. Das nennt sich dann direktes Co-Investing. Dabei betrachten wir ein Unternehmen isoliert und arbeiten mit den Fonds, in die wir investieren, als Co-Investor zusammen. Dies geschieht in der Regel, wenn die Höhe einer Investition für den jeweiligen Fonds zu gross ist. Dann könnte ein Fondsmanager zu HarbourVest kommen und sagen: «Können Sie mir helfen, dieses Geschäft zu zeichnen? Können Sie die Due-Diligence-Prüfung mit mir durchführen?» Wir checken dann alles seriös ab, bevor wir investieren.

HarbourVest macht Ähnliches wie Blackrock oder KKR

Nein, wir haben eine ganz klare Philosophie, die sich meines Erachtens von anderen Multimanagern und Private-Equity-Gesellschaften unterscheidet. Wir sehen unsere Beziehung zu den Fondsmanagern, den Private-Equity-Managern und Kunden als Partnerschaft.

Welche Folgen hat das?

Wir stellen nicht nur am ersten Tag Kapital als Hauptinvestor zur Verfügung, sondern finden auch Lösungen, wenn ein Investor verkaufen möchte. Ausserdem finanzieren wir auch mit, etwa bei grösseren Geschäften, die ein Fondsmanager nicht alleine stemmen kann oder will. Wir sitzen zudem bei über 95 Prozent der Fonds, in die wir investieren, in den Beiräten.

Sie legen sehr viel Wert auf die Partnerkultur.

Ja. Das hat mich persönlich auch zum Einstieg bei HarbourVest bewogen. Alles dreht sich um den Austausch von Informationen, damit wir bessere Investitionsentscheidungen treffen. Es geht nicht um Beförderungen und Boni wie andernorts. Die Unternehmenskultur ist ganz anders als bei allen Finanzunternehmen, für die ich je gearbeitet habe.

Und nun wollen Sie in den Schweizer Privatmarkt einsteigen?

Ja. Harbourvest ist in der Private-Equity-Branche sehr gut bekannt, ausserhalb hingegen nicht. Das liegt daran, dass wir keine grosse Präsenz auf der Titelseite der FT oder des «Wall Street Journal» haben. Und das ist eines der Dinge, die wir gerne ändern würden, weil nicht viele Leute wissen, wer wir sind.

Warum?

Das ist eine gute Frage. In der Vergangenheit haben wir immer mit institutionellen Kunden gesprochen, mit Unternehmen, Pensionsfonds, Versicherungsgesellschaften, Stiftungen und Fonds. Und das haben wir 35 Jahre lang hauptsächlich getan.

Das ist heute anders?

Ja. Wir streben eine Öffnung für Privatanleger an. Als ich 2017 an Bord kam, lag das daran, dass ich mich mit der Schnittstelle von Privatanlegern und Privatmärkten auskenne. Ich wurde mit der Aufgabe betraut, unser Privatkundengeschäft aufzubauen, damit wir Lösungen nicht nur für institutionelle Anleger, sondern auch für Privatanleger anbieten können. Viele Privatpersonen haben zwar schon von den bekanntesten Private Equitys gehört, aber noch nichts von HarbourVest.

Das ist ein Nachteil. Mit Ihrem neuen Büro in Zürich starten Sie auch eine Werbekampagne?

Wir wollen nicht auf den Titelseiten der Presse stehen, unsere Marke aber besser bekannt machen. Eine Marke baut auf Vertrauen auf. Und wenn man keinen Zugang zu Endkunden hat? Wie sollen sie einem dann vertrauen?

Manche Leute werden sagen: Ich kenne HarbourVest nicht und kann sie nicht beurteilen. Deshalb versuchen wir nun, das Bewusstsein für das, was wir tun, zu schärfen. Genauer gesagt: Wir versuchen, unsere partnerschaftliche Ausrichtung und unsere Kultur der Zusammenarbeit bekannt zu machen und an Profil zu gewinnen.

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