Es ist wie immer: Unsicherheiten erhöhen die Marktvolatilität. Die US-Präsidentschaftswahl vom 5. November birgt viele Risiken für die Finanzbranche – auch auf unserem Kontinent. Denn über Nacht, wenn Europa schläft, macht Donald Trump oder Kamala Harris das Rennen um die US-Präsidentschaft.
Wenn europäische Anlegerinnen und Anleger am nächsten Morgen – am 6. November – aufstehen, kann die Welt eine total andere sein. Eine brachial-kapitalistische mit Trump/Vance oder eine sozial-imperialistische mit Harris/Waltz, glaubt man den rhetorischen Übertreibungen im US-Wahlkampf.
Wer die Wirtschaftspresse verfolgt, hat in den letzten Wochen viele Artikel gelesen, die sich des Themas annahmen. Um es vorwegzunehmen: Vieles ist Kaffeesatzlesen. Doch ein paar Dinge lassen sich mit Gewissheit sagen.
US-Wahl als momentan grösstes Marktrisiko
Viele der befragten Assetmanagerinnen, Investmentofficer und Ökonomen schätzen die Situation ein wie Nadège Dufossé, Global Head of Multi-Asset bei Candriam. Sie sieht in den US-Wahlen das grösste Marktrisiko für die Weltwirtschaft. Auf die offen gestellte Frage von Cash-Redaktor Manuel Boeck («wie stehen Sie zu den aktuellen geopolitischen Risiken?») meinte Dufosée: «Die US-Wahlen sind das grösste Risiko. Die Wahl von Harris hat andere Auswirkungen auf Handel und Verteidigung als eine Wahl von Trump. Aber jedes Szenario wird die geopolitische Lage erheblich beeinflussen.»
Und: «Ein knappes Wahlergebnis könnte zu erhöhter Volatilität und kurzfristig negativen Marktreaktionen führen», folgert Assetmanagerin Dufosée.
Knapp ist es im Rennen um die US-Präsidentschaft seit Monaten. Trotzdem bleiben die Kurse vieler Börsen-Indizes auf Rekordhöhe, so legte der Dow Jones seit Anfang Jahr über 12 Prozent zu und behauptet sich jenseits der 40’000 Punkte.
Harris oder Trump? Es wird knapp. Und was bedeutet das für die Aktienkurse? Hier geht es zur Umfrage.
Bisher blieb die Volatilität grösstenteils aus
Die oft vor US-Präsidentschaftswahlen erhöhte Volatilität auf dem Aktienmarkt, wie sie etwa SRF-Börsenkorrespondent Jens Korte in den vergangenen Wahlkrimis beobachtete, blieb bisher aus. Im Vergleich zur EU brummt die Wirtschaft in den USA: Eine heftige Rezession wurde verhindert, die Inflation im Zaum gehalten. Der Jobmarkt präsentiert sich seit Monaten erstaunlich stabil. Doch die US-Staatsverschuldung steigt und steigt.
Das Einpreisen der kommenden Politik
Die Märkte preisen erwartete Entwicklungen ein. Darum blicken Investorinnen und Investoren momentan wie die Kaninchen vor der Schlange auf die beiden Kandidierenden und deren Programme.
Die Unternehmenssteuern sind hier ein Thema: Kamala Harris plant eine Erhöhung der Unternehmenssteuer von 28 auf 33 Prozent. Donald Trump will sie hingegen drastisch senken und auf 15 Prozent reduzieren. Das hat Folgen.
Bei einem Trump-Sieg würden die Unternehmensgewinne wohl steigen, was positiv für die Aktienmärkte wäre, doch für die Anleihenmärkte bedeutet dies eher eine Belastung. Mabrouk Chetouane von Natixis IM schätzt: «Trumps Massnahmen könnten die US-Schulden in den nächsten zehn Jahren um 500 Milliarden Dollar erhöhen.»
Staatsschulden werden immer dringender zum Thema
Harris will den US-Haushalt wieder sanieren und zahlreiche soziale Verbesserungen für die Bürgerinnen und Bürger der USA umsetzen. Ihre steuerlichen Massnahmen, so Chetouane, würden «eine Steigerung von 3500 Milliarden für den Staatshaushalt bewirken». Doch was heisst das für die Aktien- und Anleihenmärkte?
Bewahrheitet sich auch diesmal die alte Börsenweisheit «politische Börsen haben kurze Beine»? Chris Iggo von Axa Investment Managers glaubt offenbar daran: «Man wird viel über den Wahlausgang diskutieren – aber für Investoren zählt, ob US-Unternehmen weiterhin ordentliche Cashflows erzielen und man mit Anleihen und Aktien auch in Zukunft etwas verdienen kann.»
Für Monica Defend und Vincent Mortier von Amundi ist klar: «Der Aktienmarkt dürfte Trump gegenüber Harris vorziehen. Auch kleine US-Unternehmen favorisieren Donald Trump. Ein Grund dafür könnte die Angst vor Regulierung – oder die Hoffnung auf Deregulierung – sein.»
An den Aktienmärkten beginne sich diese Veränderung widerzuspiegeln. Trumps geplante Deregulierung könne die Banken unterstützen und die M&A-Aktivitäten ankurbeln. «Demgegenüber könnte eine Harris-Präsidentschaft saubere Energie und Elektrofahrzeuge sowie das Gesundheitswesen begünstigen», schätzen Mortier und Defend in ihrer Analyse.
So oder so: Dollar weiter auf dem absteigenden Ast
Die Amundi-Expertinnen und Experten glauben, dass der Dollar in einen strukturellen Abwärtstrend eingetreten ist. Damit sind sie nicht allein. Eine steigende Verschuldung und protektionistischere Wirtschaftspolitik könnte den Abwärtstrend des US-Dollar zudem beschleunigen. Trumps Abschottungspolitik gleicht einem merkantilistischen Ansatz. Er setzt auf den grossen Binnenmarkt. Während von Harris allgemein weniger Protektionismus erwartet wird.
Die Konsolidierung der Staatsfinanzen und eine weniger feindselige Haltung hinsichtlich Handel und Zöllen unter Harris – zusammen mit einer lockeren Geldpolitik – sprechen ebenfalls für eine Dollarabwertung. Der Abwärtstrend beim Dollar setzt sich also aller Wahrscheinlichkeit nach fort, egal wer neu ins Oval Office einzieht.
Je nachdem, wie heftig diese Abwertung weitergeht, kann das fatale Folgen für Investitionen in US-Titel nach sich ziehen. Denn US-Aktien sind bei stark sinkendem Dollarkurs für Investorinnen und Investoren aus der Schweiz und Europa nicht besonders attraktiv, da deswegen unter dem Strich die Performance in Euro und Franken währungsbereinigt leidet.
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