Wir leben in bewegten Zeiten. Dass alte Gewissheiten nicht mehr gelten, ist inzwischen eine Binsenweisheit. Jetzt, da der Sommer langsam dem Ende entgegengeht, wissen wir zudem: Nicht einmal auf das Sommerloch ist noch Verlass. Bisher galt: Wenn alle in den Sommerferien sind, beginnt die nachrichtenarme Zeit. Schlagzeilen müssen dann aus Nichtigkeiten gemacht werden – oder aus Evergreens, die bei Bedarf jederzeit aus dem Ärmel gezogen werden können.

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Über den Autor

Jörn Quitzau ist seit April 2024 Chief Economist bei der Schweizer Privatbank Bergos AG.
 

Politisches Drama in Frankreich und in den USA 

Doch dieses Jahr war alles anders. Lassen wir die letzten drei Monate kurz Revue passieren. Nach der Europawahl hat der französische Präsident Emmanuel Macron Parlamentsneuwahlen ausgerufen. Die Parteien am linken und rechten Rand hatten starke Ergebnisse eingefahren. Macrons Reformpolitik geriet in Gefahr. Die Angst vor steigenden französischen Staatsschulden und vielleicht sogar vor einer Neuauflage der Euro-Krise machte die Runde. Die Risikoprämien auf französische Staatsanleihen stiegen.

Kurze Zeit später diskutierte die Welt über den verpatzten Auftritt von US-Präsident Joe Biden bei der TV-Debatte mit Donald Trump: Ist Biden gesundheitlich noch in der Lage, für eine weitere Amtszeit zu kandidieren? Es folgte das Attentat auf Donald Trump. Die meisten Beobachterinnen und Beobachter waren sich danach einig: Jetzt ist dem vitalen Trump der Wahlsieg gegen den gesundheitlich angeschlagenen Biden nicht mehr zu nehmen. Doch kurz darauf der nächste Paukenschlag: Joe Biden zieht sich zurück. Stattdessen tritt Vizepräsidentin Kamala Harris für die Demokraten gegen Donald Trump an. Plötzlich war die Wahl wieder offen.

Börsenbeben in Japan

Auch die Börse gönnte den Menschen keine Auszeit. Anfang August brach der japanische Aktienmarkt ein und zog die internationalen Börsen in Mitleidenschaft, um sich kurz darauf fast ebenso rasant zu erholen. Auslöser für die Turbulenzen waren eine Leitzinserhöhung der Bank of Japan und ein enttäuschender Arbeitsmarktbericht aus den USA. Der Stellenzuwachs in den USA war schwächer ausgefallen als erwartet, und die Arbeitslosenquote stieg überraschend von 4,1 auf 4,3 Prozent. Schon zuvor waren einige US-Konjunkturdaten eher enttäuschend ausgefallen. Mit den neuen Daten vom Arbeitsmarkt drehte nun die Stimmung. Die Sorge, die amerikanische Wirtschaft könnte in eine Rezession abrutschen, machte sich einmal mehr breit. Damit einher ging die Erwartung, die amerikanische Notenbank würde die Leitzinsen nun schneller beziehungsweise stärker senken müssen. 

War da was?

Ende August hat sich viel von dem Rauch der Ereignisse verzogen. Über Frankreich wird kaum noch gesprochen – und wenn, dann eher über die Olympischen Spiele in Paris. Präsident Joe Biden ist fast schon zu einer Randfigur der US-Politik degradiert. Selbst das Attentat auf Donald Trump ist weitgehend im Schatten der Nominierung von Kamala Harris verschwunden. Der Japan-Crash entpuppte sich als kleines Zwischentief, das die Aktienmärkte schnell hinter sich liessen. Und ein paar positivere Konjunkturdaten reichten aus, den Konjunkturpessimismus zu stoppen: Für die US-Konjunktur erwarten die meisten Beobachter und Beobachterinnen nun wieder eine weiche Landung, aber keine Rezession.

Mit ruhiger Hand durch stürmische Zeiten

Was lernen wir daraus? Ist alles nur halb so wild? Nein, das ist es nicht. Vielmehr belegen die Ereignisse des Sommers – jedes für sich mit potenziell grosser Tragweite –, in welch rasanter Zeit wir leben. Die Folgen der politischen Ereignisse lassen sich oft nur erahnen, und das Prinzip Hoffnung spielt eine wichtige Rolle. 

Interessant ist aber auch manche Reaktion der Finanzmärkte. Die Sorge um die französischen Staatsfinanzen und damit einhergehend die Angst vor einer Neuauflage der Euro-Krise sind im Verlauf des Sommers wieder in den Hintergrund gerückt. Die Risikoaufschläge auf französische Staatsanleihen sind deutlich gesunken. 

Trotzdem ist das Thema nicht vom Tisch. Die Marktakteure können es jederzeit wiederentdecken. Die Stimmung kippt mal in die eine, mal in die andere Richtung. Dies zeigte sich eindrücklich auch bei der Interpretation der schwachen US-Arbeitsmarktdaten Anfang August. Es war schon erstaunlich, wie schnell die Beobachterinnen und Beobachter Argumente für eine bevorstehende Rezession in den USA zur Hand hatten, die dann auch niedrigere Aktienkurse rechtfertigen würde. Und genauso schnell wurden anschliessend Argumente herumgereicht, weshalb die Rezession wohl doch nicht kommen werde und der Rücksetzer am Aktienmarkt deshalb übertrieben gewesen sei. 

Solche Episoden zeigen, dass die alte Börsenweisheit – «Der Markt hat immer recht» – auf wackeligen Beinen steht. Märkte sind nicht immer rational. Sie sind oft getrieben von Stimmungen, von Narrativen und von Herdenverhalten. In so einer Zeit ist es besonders wichtig, die fundamentale Lage und die volatile Stimmung auseinanderzuhalten. Es gilt, eine ruhige Hand zu behalten und den Aufgeregtheiten des Marktes, aber auch denen der Medienlandschaft zu widerstehen. Keine leichte Aufgabe, wie die letzten Monate gezeigt haben – und auch die nächsten Monate dürften nicht frei von Aufregern bleiben.

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