Nur hohe ESG-Ratings als gut zu bezeichnen, sei Unsinn. Ulrik Fugmann, Co-Chief Investment Officer der Environmental Strategies Group bei BNP Paribas Asset Management (BNPP AM), führt auf Nachhaltigkeit getrimmte Fonds. Seine dezidierte Aussage hat einen Grund. Denn Greenwashing besteht nach wie vor, uneinheitliche ESG-Kriterien auf der ganzen Welt sorgen für Verwirrung bei den Anlegerinnen und Anlegern. Dabei gibt es weitaus griffigere Kriterien für nachhaltige Investments auch jenseits der ESG-Taxonomie. Im Interview mit HZ Banking erklärt Fugmann, wo es harzt und wo er Lösungsansätze sieht.

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Ulrik Fugmann, warum sind die Anlagemöglichkeiten nach Artikel 9 der ESG-Taxonomie derzeit so dünn gesät auf dem Markt?

Artikel 9-Investmentfonds haben strenge Kriterien bei der Auswahl der Investitionen. Das Ziel eines Artikel-9-Fonds ist eine nachhaltige Investition oder eine Reduzierung der Kohlenstoffemissionen, die mindestens einem Kriterium der EU-Taxonomie entspricht, bei gleichzeitiger Einhaltung aller anderen Kriterien der Taxonomie. Dies erhöht die Komplexität bei der Portfoliokonstruktion und den Arbeitsaufwand bei der Risikobewertung. Zudem sind Artikel 9-Fonds oft volatiler, und die Performance weicht häufig von breiteren Wirtschaftsmarktindizes ab.

BNP Paribas Asset Management hat es verstanden, solche Fonds zu konstruieren. Warum haben Sie es getan und die anderen Anbieter nicht?

Mein Co-CIO und langjähriger Geschäftspartner Edward Lees und ich haben ein Team aufgebaut, das unseren Kunden Anlagestrategien anbietet, die ausschliesslich in Unternehmen mit Umweltlösungen investieren und dies unabhängig von breiteren Benchmarks tun. Das gibt unserem Team eine grössere Freiheit, Überzeugungen und Themen durch den Zyklus hindurch zu verfolgen. Gleichzeitig erfordert es ein industrielles und technologisches Know-how, eine starke Betonung der Portfoliokonstruktion und einen sehr aktiven Managementstil angesichts des technologischen Wandels. Aufgrund unserer Erfahrung mit Investitionen in die Dekarbonisierung und in die Wiederherstellung von Ökosystemen sind wir dafür besonders gut aufgestellt.

Sogenannte ESG-Anlagen sind nicht immer wirklich «grün».

Nach wie vor herrscht grosse Verwirrung, was ESG leistet und was nicht. Der Begriff wurde zu einem Marketinginstrument, um Vermögenswerte und Kundschaft anzuziehen. Dies hat zu einer Politisierung und Polarisierung von ESG geführt. ESG-Investitionen müssen nicht «grün» sein. Der Begriff beschreibt lediglich einen Prozess, um die ausserfinanziellen Risiken jeder Investition zu verstehen.

Steuern wir auf eine weitere Energiekrise zu?

Durch die Elektrifizierung der Gesellschaft wird die Stromnachfrage bis 2050 um 100 Prozent zunehmen und gleichzeitig die Ölnachfrage stagnieren. Die Stromerzeugung muss über die volatilen Kohle- und Gasmärkte hinausgehen, um diesen enormen Anstieg zu bewältigen und die finanziellen Auswirkungen des Klimawandels umzukehren. Wenn wir dies nicht deutlich beschleunigen, stehen wir nicht nur vor einer Energiekrise, sondern auch vor einer erheblichen Wirtschaftskrise aufgrund der finanziellen Verluste, ausgelöst vom Klimawandel.

Was wäre die Lösung?

Weltweit müssen Regierungen längerfristige politische Massnahmen ergreifen, die eine deutliche Beschleunigung der sauberen Energietechnologien fördern. Während die Ausgaben laut Bloomberg NEF bis 2023 um 17 Prozent auf 2,8 Billionen Dollar steigen werden, benötigt die Welt eher 5 Billionen Dollar pro Jahr, um bis 2050 «Netto-null» zu erreichen. 

Ich habe in den 90er-Jahren in Solarworld, einen Solarpanelhersteller aus Deutschland, investiert. Die Firma gibt es nicht mehr. Sie ging bankrott. Es gibt Verlierer. Es gibt Gewinner. Und es ist schwer zu erkennen, in welche Richtung es geht.

Wie andere Branchen ist auch die saubere Energie nicht immun gegen wirtschaftliche Zyklen und technologische Veränderungen. Unsere Aufgabe in der Environmental Strategies Group bei BNPP AM ist es, durch ein aktives Management die Gewinner von morgen auszuwählen. Damit stellen wir sicher, dass unsere Kunden und Kundinnen in die Technologien und Bereiche mit der grössten Gewinnwahrscheinlichkeit investiert sind. 

China überschwemmt die Märkte mit subventionierten Solarmodulen. Das macht Unternehmen in Europa sehr zu schaffen, oder?

Absolut, und es ist ein grosses Problem für die europäischen Hersteller, wettbewerbsfähig zu sein. Es ist für sie attraktiv, ihre Produktion in die USA zu verlegen, wo die Wahrnehmung und das regulatorische Umfeld mehr Vorteile bieten. Mit der Zunahme des geopolitischen Risikos und der restriktiveren Geldpolitik hat Europa seine Prioritäten verschoben. In den jüngsten Kommentaren aus Deutschland wurde eine stärkere Unterstützung gefordert, nachdem Unternehmen mit der Schliessung und Verlagerung der Produktion in die USA gedroht hatten.

Das Bruttoinlandprodukt (BIP) der Schweiz ist so hoch wie die Summe, die wir bis 2050 in der Schweiz investieren müssen, um den grünen Übergang zu schaffen. Das sind über 750 Milliarden Franken.

Die erforderlichen Investitionen für die Umstellung sind in der Tat erheblich. Damit verbunden ist die Schaffung von Arbeitsplätzen und neuen Märkten – und letztlich niedrigere Stromkosten. Die Alternative wäre, Wachstumsimpulse zu verpassen, Konkurrenzfähigkeit zu verlieren, mit höheren Strompreisen konfrontiert zu werden und die astronomischen Kosten des Klimawandels zu tragen. Es gibt nichts umsonst.

Wir befinden uns bereits im Prozess des Klimawandels. Was braucht es jetzt?

Wissen Sie, was? Ich rede nicht mehr über den Klimawandel, niemand will das mehr hören. Man sollte nicht wegen des Klimawandels in saubere Energie investieren. Das ist nur ein zusätzlicher Nutzen. Das bessere Argument ist, dass saubere Energie auf lange Sicht billiger ist als fossile Brennstoffe.

Hier in der Schweiz wird oft erwähnt, dass man in ESG-Fonds investieren sollte.

Die Leute denken, dass nur hohe ESG-Ratings gut sind. Doch das ist Unsinn. ESG sind nur drei Buchstaben – mehr nicht. Und ich erkläre Ihnen auch, warum ich so denke.

Da bin ich aber gespannt.

Die ESG-Integration ist nur ein Instrument. Wichtig ist, wie es der Vermögensverwalter einsetzt, welche Auswirkungen es auf die Performance haben kann und wie es bei der Portfoliokonstruktion eingesetzt wird. ESG-Ratings dienen dazu, die Risiken zu beleuchten, denen ein Unternehmen oder eine Branche ausgesetzt sein kann. Die Herausforderung besteht darin, dass es sich dabei zwar um sehr reale und bedeutsame Langzeitrisiken handelt, die über bestimmte Zeithorizonte oder in bestimmten Marktumgebungen für Unternehmen mit schlechten ESG-Bewertungen jedoch «übersehen» werden können und vorübergehend zu einer Outperformance der Märkte führen können. Allerdings sollten Kundinnen und Kunden mit einem langfristigen Anlagehorizont in die Aktienmärkte investieren. Vor diesem Hintergrund ist es wahrscheinlicher, dass die Vermeidung von Unternehmen mit erheblichen ESG-Risiken zu einer besseren risikobereinigten Performance führt.

Ist das System unfair?

Es stellt nicht den Nutzen für einen Umbau zu grüner Ökonomie dar. Es kann unbeabsichtigte Folgen haben, wenn nur der ökologische Fussabdruck eines Unternehmens betrachtet wird. Derzeit wird bei den meisten Bewertungen der Kohlenstoffausstoss berücksichtigt. Dies kann jedoch zu falschen Schlussfolgerungen führen. Betrachtet man den Technologie-, Medien- und Finanzsektor, so haben diese einen strukturell niedrigen CO2-Ausstoss und damit eine bessere Umweltbewertung. Unternehmen aus dem Bereich der sauberen Energien, wie die Hersteller von Windturbinen, Solarpaneelen oder Energiespeicher, haben einen relativ hohen Kohlenstoffausstoss und somit eine schlechtere Umweltbewertung.

Sie sagen, ESG vermittle die falschen Anreize?

Ich will damit sagen, dass man verstehen muss, was das eigene Bewertungssystem tatsächlich misst, und dass man potenzielle Verzerrungen bei der Bewertung von nicht finanziellen Informationen berücksichtigen muss. Dafür haben wir bei BNP Paribas Asset Management sehr viel Zeit und Ressourcen aufgewendet. ESG bildet die notwendige Realität hin zu einer nachhaltig organisierten Wirtschaftsweise nicht ab. Wir sind besessen davon, wie viel Kohlenstoff ein Unternehmen produziert. Der Ansatz mit Scope 4 ist da erfolgversprechender. Scope 4 misst die Emissionen, die Sie durch die Nutzung eines Produkts oder einer Dienstleistung vermeiden. Und langfristig wird das meiner Meinung nach der einzig richtige Weg sein, um unsere globale Wirtschaft nachhaltiger zu machen.

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Karin Bosshard, Chefredaktorin von HZ Banking, und ihr Bankenexpertenteam liefern Ihnen die Hintergründe zu Themen, welche die Schweizer Bankenszene bewegen. Jeden Tag (werktäglich) in Ihrem E-Mail-Postfach. Jetzt anmelden!
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