Nasskalte Böen fegten am Zürcher Mythenquai um den Konzernsitz von Swiss Life. Stürmische Hektik herrschte auch im Innern: Knall auf Fall war Carsten Maschmeyer am 7. Dezember aus dem Verwaltungsrat zurückgetreten. Den ganzen Tag über rangen Anwälte um die Formulierung der Medienmitteilung.

Der konkrete Anlass freilich blieb unerwähnt: Gegen den schillernden Gründer des Allfinanzvertriebs AWD ermittelt die Wiener Staatsanwaltschaft wegen Verdacht auf schweren gewerbsmässigen Betrug. Die 83-seitige Strafanzeige hatte kein Leichtgewicht eingereicht, sondern Österreichs halbstaatliche Konsumentenorganisation VKI. Das fuhr Maschmeyer offenbar derart in die Knochen, dass er kurz entschlossen sein Verwaltungsratsmandat bei Swiss Life niederlegte.

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Maschmeyer hinterlässt ein Minenfeld

«Hinter Maschmeyers emotionalem Akt steht Kalkül, denn er ist zu gleichen Teilen Bauch-und Kopfmensch», kommentiert Maximilian von Ah. Der langjährige Weggefährte des deutschen Unternehmers und Bonvivant lebt seit seinem Ausstieg bei AWD unter diesem Pseudonym. Er war Kronzeuge bei den Wiener Strafermittlungen und er kennt sowohl den AWD als auch dessen Gründer sehr genau. Maschmeyers Rückzug aus dem Swiss-Life-Verwaltungsrat solle ein positives Signal setzen, so von Ah. Gleichzeitig nehme sich Maschmeyer aus der Öffentlichkeit und er gewinne Zeit, um im Stillen seine Verteidigung und Gegenstrategie aufzubauen.

Maschmeyer hinterlässt bei Swiss Life ein juristisches und finanzielles Minenfeld. Juristisch, weil zusammen mit Maschmeyer 19 weitere AWD-Manager angeklagt sind - zum Teil solche, die noch immer für Swiss Life arbeiten. Finanziell, weil sich die Klagen gegen AWD auf rund 200 Millionen Euro summieren.

So geht der österreichische VKI nicht nur strafrechtlich vor. Parallel fordert er in einer zivilvrechtlichen Sammelklage 40 Millionen Euro, weil AWD-Kunden angeblich zu wenig über die Risiken von verkauften Immobilienaktien aufgeklärt worden seien. In Deutschland drohen derweil Einzelklagen von Fondsanlegern im Gesamtumfang von 150 Millionen Euro.

Swiss Life hat im 3. Quartal zusätzliche Rückstellungen für AWD-Prozessrisiken in Deutschland und Österreich gebildet. Über die aktuelle Höhe schweigt Swiss Life aus prozesstaktischen Gründen. Am Konzernsitz erklärt man die zusätzlichen Polster damit, dass die Zahl der Klagen gestiegen sei. «Ende dieses Jahres läuft in Deutschland die zehnjährige Verjährungsfrist für Zehntausende von Fällen ab, in denen der AWD beim Fondsverkauf mehr als die gesetzlich zulässigen 15 Prozent Provision kassiert hat», erklärt Rolf W. Thiel. Der Hamburger Anwalt vertritt aktuell rund 1100 Mandanten. «Bis Ende Jahr werden es über 2000 Kläger sein, und die Klagesumme dürfte sich schätzungsweise auf 120 bis 150 Millionen belaufen», so Thiel.

Weitere rund 10 Millionen Euro Schadenersatz machen Mandanten der deutschen Kanzlei Hahn Rechtsanwälte Partnerschaft geltend. Bis zum Jahresende werden hier rund 400 Klagen und Mahnanträge eingereicht sein, weitere rund 200 Betroffene leiten Schlichtungsverfahren ein. «Wir berufen uns dabei nicht nur auf die Provision in Höhe von mehr als 15 Prozent, sondern beanstanden auch die mangelhafte Beratung durch AWD-Mitarbeiter. Wir erwarten demnächst ein erstes positives Urteil eines Oberlandesgerichts in Sachen eines Medienfonds», so Hahn-Rechtsanwältin Petra Brockmann.

Hoffen auf aussergerichtliche Lösung

«Der Markt hat diese ausländischen Schadenersatzforderungen noch nicht vollumfänglich in die Gewinnschätzungen und in den Aktienkurs von Swiss Life eingepreist, insbesondere nicht die Klagen aus Deutschland», glaubt Vontobel-Analyst Stefan Schürmann. Er begrüsst den Rücktritt von Maschmeyer: «Nach der Trennung kann Swiss Life nun leichter in Vergleichsverhandlungen mit AWD-Klägern treten.»

Trotz Strafanzeige ist die Türe für eine aussergerichtliche Einigung nicht grundsätzlich zu. Zwar wäre gewerbsmässiger Betrug ein Offizialdelikt, bei dem die Behörden von sich aus ermitteln müssen. Käme es aber zu einer aussergerichtlichen Einigung mit den geschädigten Anlegern, dann sollte -so Insider - auch die Behörde wenig Interesse haben, dennoch Anklage zu erheben. «Viele Geschädigte sind schon betagt, und dem VKI war und ist zu jeder Zeit des Verfahrens daran gelegen, einen Vergleich auszuhandeln», berichtet VKI-Chefjurist Peter Kolba.

Bislang bietet der AWD aber keine Hand dazu. Stattdessen streitet er vor österreichischen Gerichten über formale Details der Sammelklage. Swiss-Life-Sprecher Christian Pfister stellt klar: «Mit dem Rücktritt von Carsten Maschmeyer ändert sich an unserer Haltung grundsätzlich nichts.» Die AWD-Mutter vertritt weiter den Standpunkt, dass keine systematische Fehlberatung von Kunden stattgefunden habe. "Dieser Vorwurf ist unhaltbar. Wir sind jedoch bereit, jeden Einzelfall separat zu prüfen", so Pfister.

Das dauert länger als eine Pauschallösung. Die Kläger warten zum Teil schon mehr als ein Jahrzehnt auf eine Entschädigung. «Die Fälle, die unseren Klagen zugrunde liegen, haben sich 1999 bis 2008 zugetragen. Der Schwerpunkt liegt vor der Übernahme durch Swiss Life im Frühjahr 2008», erklärt VKI-Mann Kolba. Daher richte sich die Sammelklage nicht gegen Swiss Life, sondern die österreichische AWD-Vertretung. Auch in Deutschland steht nicht Swiss Life im Fokus: «Die Klagen unserer Mandanten zielen gegen die deutsche AWD-Ländergesellschaft», so Anwalt Thiel. Swiss Life sei keine ungetreue Geschäftsführung nachzuweisen.

Aber zumindest seien Verwaltungsrat und Geschäftsführung von Swiss Life leichtgläubig gewesen, meint der Ex- AWD-Manager von Ah. Im Verwaltungsrat sei man stets sehr pfleglich und unkritisch mit Maschmeyer umgesprungen. Dies, obwohl sich nach dem Verkauf von AWD an Swiss Life Preis und Risiko als hoch herausstellten.

Beobachter fragen sich deshalb, warum Swiss Life nicht gegen Maschmeyer klage. Sprecher Pfister: «Für eine Klage unsererseits gegen Carsten Maschmeyer besteht kein Grund.» Swiss Life habe beim AWD-Kauf eine eingehende Buchprüfung durchgeführt. Man sei daher über das Unternehmensprofil von AWD von Anfang an im Klaren gewesen. Tatsächlich berichteten schon vor der AWD-Übernahme deutsche Medien über diverse Prozesse gegen AWD. Die Swiss-Life-Führung musste also wissen, worauf sie sich einliess.

Maschmeyers Nebelpetarden

Ungewiss bleibt dagegen, was Maschmeyer nun plant. Er hat kurz nach seinem Abgang bei Swiss Life 5 Prozent der deutschen Industrie-und Investmentgesellschaft GCI für rund 2,5 Millionen Euro erworben. Man solle sich von solchen "Nebelpetarden" nicht ablenken lassen, sagen Leute, die Maschmeyer kennen.

Der Manager eines grossen Schweizer Mitbewerbers von Swiss Life hält es für möglich, dass Maschmeyer insgeheim eine Übernahmeattacke gegen Swiss Life plant, um den Versicherer danach zu zerschlagen. Bereits 2008 wollte er Swiss Life benutzen, um die deutsche MLP zu übernehmen und mit AWD zum grössten Allfinanzvertrieb Europas zu fusionieren. Diese Vision hat Maschmeyer angeblich seither in Gesprächen mit AWD-Managern immer wiederholt.

Auch von Ah bezweifelt, dass Maschmeyer sein gut 5-prozentiges Swiss-Life-Paket durch Verkäufe auf unter 3 Prozent reduziert habe, wie Maschmeyer dieser Tage verlauten liess. Stattdessen glaubt von Ah, dass die Aktien irgendwo in Maschmeyers grossem Beziehungsnetz parkiert seien. Maschmeyer hat also kaum zum letzten Mal für stürmische Tage am Zürcher Mythenquai gesorgt.

Dieser Artikel erschien erstmals am 15. Dezember 2011 in der Printausgabe der «Handelszeitung».