Ich kann mich nicht an viele demokratischen Vorgänge während meines Berufslebens erinnern, aber die Geschichte mit dem Vertrieb habe ich nicht vergessen. Es ging um die Frage, ob wir für den Vertrieb zusätzlich externe Partner suchen oder die eigene Vertriebsstruktur ausbauen sollten. Es gab mehrere Diskussionen, und die Debatte wurde jedes Mal gehässiger und unversöhnlicher.
Schliesslich hatte unser Chef die Nase voll und sagte: «Gut, dann stimmen wir halt ab.» Jeder schrieb nun entweder «extern» oder «intern» auf einen Zettel und warf diesen in eine Schachtel. Die externe Lösung siegte knapp.
Das demokratische Vorgehen wurde ein Debakel, aber darauf kommen wir später zurück.
Effizienteste Art Konflikte zu lösen
Abstimmungen sind, zumindest ausserhalb von Unternehmen, eine unverzichtbare Prozedur. Abstimmungen sind die effizienteste Art, Unstimmigkeiten und Konflikte in sozialen Gruppen zu lösen. Die Familie stimmt darüber ab, welchen Film sie gemeinsam am Sonntagnachmittag besucht. Der Gemeinderat stimmt darüber ab, ob er ein neues Feuerwehrauto kauft. Und das Rudel der Afrikanischen Wildhunde stimmt darüber ab, ob man lieber auf die Jagd geht oder auf der faulen Haut liegt.
Abstimmungen sind biologisch universell. Menschen wie Tiere stimmen permanent ab.
Niesen, singen und locken
Wenn die Afrikanischen Wildhunde abstimmen, gibt es ein einfaches System. Diejenigen Hunde, die auf die Jagd gehen wollen, geben ein Niesgeräusch von sich. Wenn die Mehrheit niest, geht es los, sonst bleibt das Rudel zu Hause.
Bei den Meerkatzen ist es vergleichbar. Wenn einer der Affen den Standort der Futtersuche wechseln möchte, gibt er ein singendes Geräusch von sich. Wenn die Mehrheit der Gruppe den Singsang wiederholt, zieht das Affenrudel weiter, sonst nicht.
Steinameisen wiederum entscheiden sich häufig für einen Wechsel des Nests, um zu mehr Futter zu kommen. Sie schicken darum Kundschafter aus, die neue Wohnorte erkunden. Wenn die sich nicht einigen können, beginnt der Abstimmungskampf. Die rivalisierenden Kundschafter-Parteien laufen zurück zur Kolonie und versuchen, möglichst viele Ameisen zu ihrem bevorzugten Standort zu locken. Sobald eine Mehrheit sichtbar wird, ist das Resultat offiziell.
Tierische Abstimmungen sind immer offen
Es gibt allerdings einen entscheidenden Unterschied zwischen der tierischen und der menschlichen Demokratie. Im Tierreich sind alle Abstimmungen offen. Geheime Abstimmungen gibt es hier aus logischen Gründen nicht.
Bei offenen Abstimmungen sind die Verlierer persönlich bekannt. Sie haben darum keine andere Wahl, als das Resultat demokratisch zu akzeptieren und sich in die Herde einzufügen.
Abstimmungen der humanen Wesen hingegen werden oft geheim durchgeführt. Von Parlamenten über Fussballvereine bis Generalversammlungen gilt das Wahlgeheimnis.
Kurt W. Zimmermann ist Verlagsunternehmer, Kolumnist und Buchautor zu den Themen Medien, Biologie und Outdoor-Sport.
Bei geheimen Abstimmungen sind die Verlierer nicht persönlich bekannt. Das führt dazu, dass sie das Resultat oft nicht demokratisch akzeptieren und sich nicht in die soziale Gruppe reintegrieren. Sie versuchen stattdessen, den Entscheid rückgängig zu machen und zu unterlaufen.
Zusammenarbeit wurde sabotiert
Damit sind wir zurück bei unserer damaligen Abstimmung, unseren Vertrieb vermehrt über externe Partner abzuwickeln. Die Unterlegenen im Geschäftsbereich akzeptierten den Entschied nie. Sie sabotierten aus der Deckung stattdessen die Zusammenarbeit mit den Vertriebspartnern. Die Koordination und die Kommunikation klappten nie, die ganze Übung wurde ein Fiasko, das nach fünfzehn Monaten abgebrochen wurde.
Die Demokratie wurde im Tierreich erfunden, Millionen von Jahren bevor es die ersten Menschen gab. Die Tiere sind bis heute die besseren Demokraten geblieben.