Der Skyrunner Christian Stangl wollte mit «neuem Denken und Kreativität» ins neue Jahrzehnt eintreten. Dafür rannte er auf ausgetretenen Pfaden schneller als die meisten anderen auf einige der ganz hohen Gipfel der Welt, möglicherweise auch auf den Mount Everest. Besonders kreativ war er diesen August am K2, dem schwierigsten und gefährlichsten der Achttausender: Statt den beschwerlichen Weg zum Gipfel zu nehmen, machte er sich ausser Sichtweite des Basislagers davon und verbrachte einige Tage lesend in seinem Zelt. Nach der Rückkehr liess er seinen Sieg bejubeln. Die Geschichte flog auf, niemand hatte seine Spuren gesehen, das Gipfelfoto war plump gefälscht. Den Druck und den Neid der Konkurrenten machte Stangl für den Schwindel verantwortlich.

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Geschichten dieser Art gab es im heroischen Bergsport schon früher. 1906 behauptete Dr. Frederick Cook, als Erster den 6194 Meter hohen Mount McKinley bestiegen zu haben. Zwei Jahre später beanspruchte er das erstmalige Erreichen des Nordpols für sich. Da ihm das niemand glaubte, wurde auch die McKinley-Geschichte recherchiert. Cook war dem Berg bis auf 20 Kilometer nahe gekommen, das Gipfelfoto wurde auf einem Hügel in der Höhe von 6000 Feet (1830 Meter) gemacht.

Da war Cesare Maestri 1959 am Cerro Torre, dem schwierigsten Berg der Welt, schon raffinierter: Er kehrte verletzt und am Ende seiner Kräfte nach einer Woche von der Erstbesteigung zurück, der Kamerad Toni Egger war samt Kamera und Gipfelfotos von einer Eislawine in den Abgrund gerissen worden. Maestri behauptet noch heute, dass er und Egger den Gipfel erreicht hätten, nur glaubt ihm das fast niemand mehr. Die Route konnte von niemand vollständig wiederholt werden, Begehungsspuren wie Haken wurden nie gefunden.

Der Slowene Tomo Cesen ist der Rekord-Münchhausen der Bersteigerszene. Er behauptete schon vor 25 Jahren, die schwierigsten Touren der Alpen im Winter allein durchklettert und am 7711 Meter hohen Jannu die Nordwand allein gemeistert zu haben. Niemand hatte ihn dabei beobachtet. Er gab Bescheidenheit vor und dass er die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit meide. 1990 löste er – erneut allein – das «letzte Problem des Himalaja», die 3000 Meter hohe Südwand des Lhotse (8516 Meter). Der als bergsteigerisches Genie Gefeierte war aber nicht weit über sein Basislager hinausgekommen, die Beweisfotos vom Gipfel hatte er einem Kollegen entwendet.

Und nun scheint das Betrugsvirus auch Frauen infiziert zu haben. Von zahlreichen Experten und selbst vom südkoreanischen Bergsteigerverband wird bezweifelt, dass Oh Eun Sun wirklich als erste Frau alle Achttausender bestiegen hat. Ihr Gipfelfoto auf dem Kangchendzönga (8586 Meter) wurde zweifelsfrei einige hundert Höhenmeter tiefer aufgenommen, die Sherpas, die sie begleiteten, gaben an, dass Oh den Gipfel nicht erreicht habe.

Aus recht obskuren Gründen galten Bergsteiger bislang als besonders ehrliche und faire Menschen, möglicherweise weil da im Gegensatz zum Agieren in Finanzwelt, Politik und Velofahren nicht viel Geld zu holen ist. Darum werben Banken neuerdings mit muskelbepackten Kletterern. Eine strahlende Bergsteigerin vor makelloser Eiskulisse soll neues Vertrauen in eine Grossbank schaffen. Aber Achtung: Auch einige Bergsteigermuskeln haben von Viehmastmitteln profitiert, und manche Stuten beissen ziemlich ungehemmt, wenn die eigene Gloriole verblasst.

Prof. Dr. med. Oswald Oelz war bis Ende Juli 2006 Chefarzt für Innere Medizin am Triemli-Spital Zürich. Der Bergsteiger und Buchautor liess sich mit 63 Jahren pensionieren.