Die Briten haben sich in einem historischen Referendum für den Austritt aus der EU entschieden, doch seitdem tut sich fast nichts. Drei Monate nach dem Brexit-Votum befinden sich die Politiker in Brüssel und London nach wie vor im Wartemodus. Die Briten zeigen keinerlei Eile, den Wählerwillen umzusetzen.

Entgegen manchen Unkenrufen vor dem Votum am 23. Juni: Eine wirtschaftliche Katastrophe hat es seitdem nicht gegeben; die Märkte spielen nicht verrückt. Stattdessen banges Warten, wann es endlich losgeht.

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Noch ist alles in der Schwebe

Die Krux: Niemand vermag derzeit vorherzusagen, wie das mit dem Austritt genau gehen soll. Was wird im «Scheidungsvertrag» stehen? Gibt es eine einvernehmliche Trennung? Oder das grosse Fetzen, bei dem am Ende alle als Verlierer dastehen?

Die britische Premierministerin Theresa May bereitet ihre Landsleute schon mal darauf vor, dass sie womöglich bei Reisen nach Europa künftig ein Visum benötigen. Eine Ministerin warnt, EU-Bürger, die auf der Insel arbeiten wollten, müssten sich künftig vielleicht um eine Arbeitserlaubnis bemühen. Doch noch ist alles in der Schwebe.

Denn die «Scheidungsanwälte» haben sich noch nicht einmal zusammengesetzt. In London heisst es, die beiden Ministerien, die die Verhandlungen mit Brüssel führen sollen, hätten noch nicht die notwendigen Experten für die komplizierten Gespräche angeheuert.

Harter Ausstieg - weiche Landung?

Die Kreuzfrage, die alle umtreibt: Wird es einen «harten Ausstieg» oder eine «weiche Landung» geben? Zu deutsch: Behalten die Briten freien Zugang zum Binnenmarkt oder müssen sie künftig womöglich mit allen 27 Länder einzeln Handelsverträge abschliessen? Letzteres wäre ein Alptraum, der jede Menge Zeit und Geld verschlingen würde.

«Der Brexit ist ein britisches Problem, nicht ein EU-Problem», meint Michael Hüther, der Chef des Instituts der Deutschen Wirtschaft. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Schliesslich wollen die Europäer weiter freien Zugang zum britischen Markt haben, wollen die Deutschen ihre Autos, die Franzosen ihren Wein auf der Insel verkaufen, natürlich ohne Zölle.

Das wiederum legt nahe, dass beide Seiten eher auf eine einvernehmliche Trennung hinarbeiten dürften, statt einen grossen Krach zu riskieren. Für beide Seiten steht zu viel auf dem Spiel.

Streitpunkt Migration

Doch das eigentlich heisse Eisen heisst Migration. Die Kontrolle an den Grenzen zurückzugewinnen, zu entscheiden, wer auf die Insel kommt und wer nicht - das war das grosse Versprechen des britischen Brexit-Lagers. Da ist so gut wie kein Spielraum. Doch Brüssel gibt sich bis anhin hart. Freier Zugang zum Binnenmarkt nur bei ungehinderter EU-Migration.

Dies dürfte zum grössten Sprengstoff bei den Austrittsverhandlungen werden. Schon befürchtet der konservative EU-Abgeordnete Markus Ferber: «Die Briten waren ein Rosinen pickendes Mitglied. Jetzt werden sie wohl, so fürchte ich, ein Rosinen pickendes Nicht-Mitglied.»

Es dauert alles so lange

Doch in London nimmt die Unruhe über den schleppenden Fortschritt in Sachen Brexit zu. Brexit-Wortführer gründeten eine Initiative «Change Britain» - um den Druck auf die Regierungschefin zu erhöhen. Zu den Unterstützern zählt auch Aussenminister Boris Johnson, der grosse Zampano im Referendums-Wahlkampf. Die Brexit-Leute haben nicht vergessen, dass May im Wahlkampf für «Drinbleiben» plädierte hatte, wenn auch sehr verhalten.

Mit das schlimmste Problem: Es dauert alles so lange. May will erst Anfang 2017 die offiziellen Austrittsgespräche beginnen - zuvor muss sich die Regierung erst mal sortieren, die internen Kräfteverhältnisse abstecken. Und irgendwie die aufmüpfigen Schotten beruhigen, die unbedingt in der EU bleiben wollen.

Auch in Brüssel herrscht ein seltsamer Schwebezustand. Das grosse Warten, die grosse Unsicherheit. Doch für Unternehmer und Banker beiderseits des Ärmelkanals ist Unsicherheit reines Gift.

(sda/ccr)