Klar, in Deutschland sind die Steuern höher. Richtig, die Unfreundlichkeit der Berliner, die Berliner Schnauze, ist sprichwörtlich. Und niemand bezweifelt es: Die deutsche Bürokratie ist gewaltig und kompliziert, sie ist wenig hilfsbereit und unfreundlich. Es bestehen viele Doppelstrukturen, es nerven mehrfache Zuständigkeiten. Deshalb habe ich mit dem deutschen System ab und an meine liebe Mühe. Im Vergleich dazu schneidet die Schweiz viel besser ab. Grundsätzlich.

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Wahr ist aber auch: Gerade in Berlin sind die Kosten der Lebenshaltung – trotz höheren Steuern – sehr viel niedriger. Ein Haus in Zürich zu kaufen, ist für Familien mit einem mittleren Einkommen deutlich schwieriger als in Berlin. Und dass einem in Deutschland die Steuern direkt vom Gehalt abgezogen werden, ist sehr angenehm. Mühsam wird es allerdings – siehe oben –, wenn man Geld zurückfordert und es dauert, bis man es über verschlungene Wege wirklich zurückerhält.

Seit neun Jahren lebe ich nun in Deutschland. Schweizer fragen mich oft verwundert, weshalb ich dort Steuern bezahle. Nun ja, grundsätzlich habe ich nichts gegen eine Steuerpflicht, trage ich damit doch zu einem sozialen Ausgleich und zu einer funktionierenden Infrastruktur bei.

Andere Länder, andere Geschichte. Die Demokratie in Deutschland ist nicht einmal hundert Jahre alt. Freiheit gibt es erst seit knapp sechzig Jahren. Der deutsche Staat war immer mächtig und bestimmend: während des deutschen Kaiserreichs, während des Nationalsozialismus und während des Kommunismus in der DDR. Die Weimarer Republik als Gegenentwurf zum starken Staat war von den Deutschen nie wirklich gewollt.

Dieses Erbe des starken Staats zeigt sich in jeder Krise deutlich. Der Deutsche ruft reflexartig nach dem Staat, sobald die Lage unsicher wird. Nach dem Kollaps der Wirtschaft im Herbst 2008 erklang der Ruf nach umfassender Staatshilfe. Der Staat habe die Pflicht, die deutschen Banken und die deutsche Autoindustrie zu retten.

Es ist diese historische Prägung, die mich seit meinem Wegzug aus der Schweiz immer wieder beschäftigt. Auf der einen Seite sind Deutsche unserer Kultur so nahe – auf der anderen gibt es fundamentale Differenzen des Systems.

Ein deutlicher Unterschied liegt beispielsweise im Verständnis der Schweizerinnen und Schweizer, dass das Volk bestimmt, was zu tun ist, und der Staat dann für die Umsetzung zu sorgen hat. Die Schweiz ist in dieser Hinsicht dem angelsächsischen Prinzip der Selbstverantwortung viel näher.

Im Gegensatz dazu sind die Deutschen überzeugt, dass der Staat sich um das Schicksal seiner Bürger kümmern muss. Ausdruck dieser Überzeugung ist, dass eine Mehrheit der Deutschen sich in Umfragen nicht für eine Senkung der Steuern ausspricht, sondern für deren Erhöhung.

Dabei geht Staatsgläubigkeit einher mit Rechtsgläubigkeit. Wer an den Staat glaubt, der vertraut dem Rechts- und dem Steuersystem, welche diesen Staat unterhalten. Das tun die meisten Deutschen. Vollkommen nachvollziehbar, dass die Mehrheit den Kauf der Steuersünder-CD unterstützt – und damit die Rechtssicherheit untergräbt! Das ist paradox.

Das Thema wird ebenso heftig diskutiert wie die Boni der Banker oder die Betrügereien von Arbeitslosen. Ob Steuerhinterziehung, Mithilfe zu Steuerhinterziehung oder Boni – all diesen Themen haftet etwas zutiefst Unmoralisches an. Die Frage ist nur, wie wir diese Probleme vernünftig, rechtens und ehrlich lösen.

Catherine Mühlemann war Geschäftsführerin bei MTV Networks in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Sie sitzt u.a. im Swisscom-VR und lebt in Berlin.