Das ist mein Fernsehen der Zukunft: Es wird von einem gigantischen Archiv mit dem Content sämtlicher grossen Hollywoodstudios gespeist, aber auch fremdsprachige und exotische Programme aus aller Welt sind zu haben. Die Plattform ist konvergent und verbindet alle meine Geräte – Fernseher, Computer, Mobiltelefon, Spielkonsole, E-Book.
Das hilflose Zappen durch Hunderte von Kanälen und Angeboten wird ersetzt durch eine smarte Suchfunktion und einen auf Profiling basierenden EPG (Electronic Program Guide). Inhalte finde ich schnell und einfach, und sie entsprechen meinem Geschmack. Schalte ich abends den Fernseher ein, schlägt mir der Programmführer aktiv Sender vor, die mir gefallen könnten. Die Plattform bietet Hunderte von bestehenden, aber auch explizit auf bestimmte Zielgruppen zugeschnittenen TV-Kanälen sowie Video on Demand (VOD). Das System geht natürlich über reine Videodienste hinaus. Ich kann auch Musik oder Games downloaden, über einen Rückkanal einkaufen, Bank- und Börsengeschäfte betreiben oder mit anderen Nutzern interagieren.
So einfach und schön könnte Internet-Protokoll-Fernsehen (IPTV) sein. Die Wirklichkeit ist aber weit komplizierter: Es gibt ein Nebeneinander verschiedenster Konzepte unterschiedlichster Anbieter. Einige kommen meiner Vision schon nahe, aber noch hat sich kein Konzept und auch kein Geschäftsmodell durchgesetzt.
Bereits sehr erfolgreich unterwegs ist Apple mit ihren pay-basierten iTunes. Auch Hulu, das 2008 von News Corp. und NBC gestartete Webvideo-Portal, bietet ganze Serien und Spielfilme zum freien Download an, ist aber im Gegensatz zu Apple ein rein werbefinanziertes Angebot und für den User kostenlos. Kein Wunder, dass das Portal so erfolgreich ist. Innerhalb kürzester Zeit stieg Hulu zu einer der meistgenutzten Videoseiten in den USA auf, und längst bieten auch Konkurrenten von News Corp. ihre Top-Programme dort zum Download an. Das Konzept von Hulu ist revolutionär. Es ist das erste Portal, das erfolgreich Fernsehen im Internet betreibt. Die Frage wird aber sein, wie weit ein rein werbefinanziertes Modell langfristig und strategisch Sinn ergibt (man denke an die jetzige Werbekrise) und was ein solches Modell für andere pay-basierte Dienste wie Apple bedeuten könnte.
Einen Schritt weiter gehen will Zillion TV, ein neues Start-up aus Silicon Valley. Das Angebot ist ebenso erstklassig wie bei Hulu – Partner sind NBC Universal, Disney, 20th Century Fox, Warner Brothers und Sony Pictures. Der Konsument kann zwischen verschiedenen Modellen wählen. Möglich ist eine einmalige Mitgliedschaftsgebühr von 50 US-Dollar. Der Nutzer kann jedoch auch, ähnlich wie bei Apple, für einzelne Downloads bezahlen, oder er kann Programme gratis anschauen. Diese enthalten dafür zielgruppenspezifische Werbung. Visa, der Partner von Zillion TV, stellt die E-Commerce-Plattform zur Verfügung.
Hulu, Apple oder Zillion sind Beispiele dafür, wie sich Fernsehen und Konsumverhalten entwickeln und wohin die Reise führen kann. Konvergent ist keines dieser Angebote, da sind andere weiter. Aber beim Vergleich all dieser Modelle wird klar: Wer den Content besitzt, wird künftig das Sagen haben.
Für den Konsumenten ist dies alles positiv. Eine schöne, neue Fernsehwelt kommt auf ihn zu, in der alles möglich und verfügbar sein wird: vom indischen Bollywood-Movie über die exklusive Vorpremiere der nächsten «Lost»-Staffel bis hin zum Fussballspiel oder zur Dokumentation über das kirgisische Hinterland.
Wenn mein Nachbar sein Fernsehgerät einschaltet, wird er nicht mehr von RTL oder SF begrüsst, sondern von «My TV» beziehungsweise «Müller TV» oder wie immer man es beliebt zu bezeichnen.
Catherine Mühlemann war Geschäftsführerin bei MTV Networks in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Sie sitzt u.a. im Swisscom-VR und lebt in Berlin.