Die grosse Koalition in Deutschland hat ein beneidenswertes Problem: Hohe Steuereinnahmen und niedrige Zinsen haben Finanzminister Wolfgang Schäuble 2016 einen Haushaltsüberschuss von 6,2 Milliarden Euro (etwa 6,7 Milliarden Franken) beschert. Nun muss geklärt werden, was mit dem Geldregen geschehen soll. Zur Debatte stehen vor allem drei Vorschläge: Investieren, Schulden tilgen oder Steuern senken. Alle drei Optionen haben ihr Für und Wider:

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Investieren - Deutschland fährt auf Verschleiss

Seit Jahren wird über einen Investitionsstau bei Strassen, öffentliche Gebäuden oder der Internetanbindung geklagt. Die Kommunen, auf die mit Abstand die meisten staatlichen Investitionen entfallen, beziffern ihren Ausgabenstau auf über 130 Milliarden Euro. Allein bei der Modernisierung von Schulen fehlen rund 35 Milliarden Euro. Mehr Investitionen in Bildung, Infrastruktur und Sicherheit fordert die SPD, die Grünen haben ausserdem den Klimaschutz im Blick.

Auf der anderen Seite der Medaille steht, dass die Kommunen das bereits vorhandene Geld gar nicht verbaut bekommen. Ihnen fehlen Personal und Kapazitäten. Beispiele gibt es zuhauf: 2016 stellte der Bund 3,5 Milliarden Euro in einem Fonds zur Förderung kommunaler Investitionen bereit. Mit einem Schulsanierungsprogramm wird der Fonds demnächst auf sieben Milliarden Euro verdoppelt. Aus dem Topf abgerufen haben die Kommunen im vergangenen Jahr aber lediglich 146 Millionen Euro.

Auch aus dem Fluthilfefonds mit 4,3 Milliarden Euro sind nur 773 Millionen Euro abgeflossen, aus dem Energie- und Klimafonds nur 1,6 Milliarden Euro von 3,4 Milliarden Euro. «Es gibt ein Kapazitätsproblem», sagt der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher. Dass die Mittel nicht genutzt würden, bedeute aber nicht, dass es keine Investitionslücke gebe. Der DIW-Präsident schlägt daher vor, den Überschuss in einem Fonds zu parken. Dort könnten er bleiben, bis die Bauämter in einigen Jahren neue Kapazitäten aufgebaut haben.

Tilgen - Der Schuldenberg soll kleiner werden

Schäuble will mit dem Überschuss Schulden tilgen. Dabei wird er von Kanzlerin Angela Merkel und Haushaltsexperten der Unionsfraktion unterstützt. Wer Schulden zurückzahlt, zahlt auf diese keine Zinsen mehr - davon profitiert letztlich jeder. Die Befürworter der Tilgungsidee sehen darin ausserdem ein Signal für die Solidität der Staatsfinanzen.

Angesichts der Höhe des in über vier Jahrzehnten angehäuften Schuldenbergs fiele eine Tilgung allerdings nicht ins Gewicht: Schliesslich sitzt der Bund auf Schulden von 1300 Milliarden Euro - auf 6,2 Milliarden Euro mehr oder weniger kommt es da kaum an. Wegen der starken Nachfrage nach seinen Staatsanleihen und des Zinstiefs muss Schäuble ausserdem gerade bis zu acht Jahre lang keine Zinsen auf neue Schulden zahlen. Wo wäre die Ersparnis?

Aus Fratzschers Sicht ist das Ziel, den Schuldenberg zu verkleinern, zwar löblich, aber nur, wenn es nichts Sinnvolleres zu tun gibt. Das sei wegen der Investitionslücke nicht der Fall. Weil der Bund keine neuen Schulden macht, die Wirtschaft aber wächst, verbessert sich die Lage ausserdem auch so: Nach jetziger Planung sinkt der Schuldenstand des Gesamtstaats aus Bund, Ländern, Gemeinden und Sozialkassen bis 2020 von knapp 70 Prozent des BIP unter die EU-Obergrenze von 60 Prozent. Für Volkswirte ist das wichtiger als die nominelle Schuldenhöhe.

Steuersenkungen - Die Bürger haben das Geld verdient

Wann, wenn nicht jetzt, sei die Zeit, den Bürgern etwas zurückzugeben, fragen Befürworter der Idee, etwa Bayerns Finanzminister Markus Söder (CSU). Seit Jahren warten die Bürger auf ihre Aufschwungsdividende - eine echte Entlastung bei der Einkommensteuer über die Korrektur von schleichenden Steuererhöhungen («kalte Progression») hinaus gab es nicht.

Gegner wie Schäuble halten davon nichts. Denn der Überschuss 2016 ergebe sich aus Einmaleffekten wie niedrigen Zinsen - mit ungewisser Wiederholung. Bei Steuersenkungen würde der Staat aber dauerhaft auf Einnahmen verzichten. Steuerentlastungen will Schäuble dennoch, aber erst in der nächsten Wahlperiode. Den Spielraum dafür sieht er bei 15 Milliarden Euro. Damit könnte die langsam steigende Steuerquote stabilisiert werden, also das Verhältnis des Steueraufkommens zum BIP. Ob dies eine Steuersenkung wäre, kann man bestreiten.

Experten wie Fratzscher halten Steuersenkungen auch nicht für die oberste Priorität. Denn im internationalen Vergleich seien weniger die Steuern als vielmehr die Sozialabgaben das Problem. Hinzukommt: Nur die Hälfte der Steuerpflichtigen zahlt überhaupt Steuern, die andere Hälfte verdient so wenig, dass bei ihnen nichts zu holen ist. Sie hätten von Entlastungen nichts.

(reuters/ccr)

Sehen Sie in der Bildergalerie unten, wer die zehn reichsten Deutschen in der Schweiz sind: