Tritt ein neuer CEO in ein Unternehmen ein, wird sie oder er von allen Seiten genau beobachtet. Die Verwaltungsräte fragen sich, ob sie sich für den richtigen Kandidaten oder die richtige Kandidatin entschieden haben. Die amtierenden Mitglieder der Geschäftsleitung evaluieren die Vor- und Nachteile für ihre eigenen Karrieren.
Die Mitarbeitenden warten auf willkommene oder unliebsame Überraschungen. Sie alle sowie die Kundinnen, Kunden, Geschäftspartner und Wirtschaftsmedien analysieren und werten die ersten Wortmeldungen des neuen CEO.
Kein Wunder also, dass sich die Verantwortlichen gerne auf intern aufgebaute Kandidatinnen und Kandidaten verlassen und einen neuen CEO ernennen, der oder die das Unternehmen und dessen Umfeld bereits kennt.
Pfeiler der Unternehmenskultur
Die aktuelle Ausgabe unserer Studie «Route to the Top» unter weltweit mehr als 600 CEO zeigt denn auch, dass letztes Jahr 66 Prozent von ihnen bereits in ihren jeweiligen Firmen tätig waren (und zwar im Durchschnitt 14 Jahre), bevor sie zur Chefin, zum Chef ernannt wurden.
Selbstverständlich gehört die interne Entwicklung von Führungskräften bis hin zu CEO-Kandidaten zu den Pfeilern der Unternehmenskultur und zu den zentralen Erfolgsfaktoren einer Firma. Intern ernannte CEO verfügen über profunde Kenntnisse des Unternehmens und seiner Besonderheiten. Sie können gleich loslegen, benötigen keine Einarbeitungszeit.
Oliver Schiltz (45) studierte an der Queen Mary University of London Rechtswissenschaften (LL.B) und schloss an der der Columbia University in New York einen LL.M (Master of Laws) ab. Nach Tätigkeiten als Anwalt bei der europäischen Gesundheitsorganisation EMA in London sowie bei zwei grossen US-Anwaltskanzleien in London und New York stiess er 2011 zum Schweizer Büro von Heidrick & Struggles. Er zeichnet verantwortlich für die Healthcare & Life Sciences, Legal Officers und Start-up Practices. Vor seiner Zeit bei Heidrick & Struggles war er bei zwei weiteren internationalen Executive Search-/Rekrutierungs-Firmen mit Fokus auf Healthcare & Life Sciences tätig.
Trotzdem ist es überraschend, dass nicht mehr Unternehmensverantwortliche die Chance ergreifen, geeignete externe Kandidatinnen und Kandidaten zu berücksichtigen. Vor allem dann, wenn sich das jeweilige Unternehmen mit einer besonderen Herausforderung konfrontiert sieht: Ist der Interne wirklich nicht befangen, wenn 20 Prozent der Belegschaft in seiner Bank abgebaut werden müssen?
Verfügt die interne Favoritin für den Chefposten eines Pharmakonzerns nicht nur über Branchenkenntnisse, sondern auch über profunde Erfahrungen in der Digitalisierung, welche das Geschäftsmodell dieses Unternehmens gerade auf den Kopf stellt?
In den nächsten Jahren werden mehr Externe zu Chefinnen ernannt
Bereits vor Ausbruch der Corona-Pandemie sahen sich viele Unternehmen und Branchen mit fundamentalen Umwälzungen konfrontiert. Deren gibt es derzeit viele: Digitalisierung, neue Arbeitsmodelle («New Work») oder die zunehmende Notwendigkeit, die Legitimation des Unternehmens der Gesellschaft gegenüber zu rechtfertigen.
Jetzt, mitten drin und auch nach Covid-19, werden sich die ökonomischen, ökologischen, sozialen und politischen Umwälzungen akzentuieren. Deshalb sei die These gewagt, dass in den nächsten Jahren vermehrt neue CEO von «aussen» rekrutiert werden.
Vielleicht ist dies sogar eine Chance für weibliche Führungskräfte, sich als geeignete und bestens qualifizierte CEO zu positionieren? Gemäss der erwähnten Studie verfügen 71 Prozent der weiblichen CEO über eine höhere Ausbildung wie einen Master-Abschluss. Fast ein Drittel ist unter fünfzig Jahre alt ist. Bei den männlichen Chefs verfügen nur 58 Prozent über eine höhere Ausbildung und nur 15 Prozent sind jünger als fünfzig.
Kurzum: Verwaltungsratspräsidentinnen und -präsidenten sollten weibliche Führungskräfte ausserhalb ihres Unternehmens im engsten Kandidatenfeld haben, wenn es um die CEO-Nachfolge geht.