Der Bundesrat fordert seit Jahren eine Frauenquote in Verwaltungsrat und Geschäftsleitung. Die Wirtschaft ist skeptisch. Sie auch?

Nein. Ich halte regelmässig Seminare an der Hochschule und Referate zum Thema. In den letzten Jahren bekam ich viele kritische Töne zu hören, mittlerweile sind sie fast vollständig verstummt. Das heisst, ich habe mich nicht verändert, aber in der Gesellschaft hat ein Umdenken stattgefunden.
 
Sie arbeiten in der Kanzlei Walder Wyss. Wie viele Frauen sind bei Ihnen in der Geschäftsleitung?

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Keine. Wir haben aber diverse Frauen, die Partner sind. Und wir stellen viele Frauen ein und hoffen, dass sie ebenfalls in die Partnerschaft aufsteigen. Und was die Ambitionen für die Geschäftsleitung angeht: Man darf nicht glauben, dass diese Kollegen die Kanzlei führen, sie sind eher an allem Schuld und müssen für alles hin stehen. Letzte Woche hatten wir kurz einen Server-Ausfall, auch daran waren die Kollegen der Geschäftsleitung schuld (lacht).
 
Die Rechtskommission des Nationalrates ist für eine Quote von 30 Prozent für den Verwaltungsrat und für 20 Prozent in der Geschäftsleitung. Sinnvoll?

Ja. Das Gleichbehandlungsprinzip ist einer der ältesten Rechtsgrundsätze der Schweiz. Das Frauenstimmrecht wurde aber erst 1971 auf nationaler Ebene eingeführt, im Kanton Appenzell-Innerrhoden dauerte es noch länger. Da führte man das Frauenstimmrecht erst 1990 auf Anordnung des Bundesgerichts ein. Ich könnte weitere Beispiele aufzählen. Das heisst: Die Frauen kommen aus vielen Jahren der Diskriminierung. 

Sie argumentieren politisch.

Ich kann auch ökonomisch antworten: Es gibt eben soviel Männer wie Frauen, die einen ausgeprägten Geschäftssinn haben. Weil wir diesen Pool nicht voll ausschöpfen, gelangen Männer in Positionen, die sie bei voller Konkurrenz nicht erreichten. Durch den faktischen Ausschluss von Frauen aus Verwaltungsrat und Geschäftsleitung wird das Potenzial des weiblichen Bevölkerungsanteils nicht voll genutzt. 

Besteht nicht die Gefahr, dass bei Quoten erfolgreiche Frauen als Quotenfrauen abgetan werden?

Man kann es auch anders sehen: Die heutige Praxis gibt zweitbesten Männer oder dem «Zweitklass-Mann» eine Chance. Dabei suchen wir die Besten – Mann oder Frau. 

Sie sind seit Jahren vehement für Quoten. Weshalb eigentlich?

Meine Mutter war promovierte Juristin und selbständige Rechtsanwältin. Einmal unterbrach der Richter einen Prozess, bis sie die schriftliche Bewilligung meines Vaters zur Berufsausübung vorlegen konnte.  Bis Januar 1988 benötigten Frauen diese Einwilligung des Ehemannes. Das ist gar nicht so lange her. Das hat mein Denken mitgeprägt. Aber ich plädiere nicht für harte Quoten, sondern für Quoten und für ein Comply or explain. Man soll sich erklären, wenn man die Quoten verpasst. 

Die Wirtschaft ist skeptisch

Der «Comply or Explain»-Ansatz lässt Firmen genügend Spielraum, um einen besser qualifizierten Mann auch dann anzustellen, wenn man die Geschlechterquote nicht erfüllt. Es werden also auch keine Männer diskriminiert oder ihren Karrierechancen beraubt. Ich bin kein Rebell, aber wir müssen einen Schritt machen.  

Ist dies nicht ein Schritt zur weiteren Verrechtlichung und damit zu Mehrkosten für Unternehmen?

Diese Kosten sollten überschaubar sein. Wenn wir nichts unternehmen, wird sich auch nichts ändern. Der Schilling-Report zeigt es jedes Jahr: Wir kommen im Verwaltungsrat oder in den Geschäftsleitungen mit einer vernünftigen Repräsentanz nicht weiter. 

Wollen sich Frauen dies überhaupt antun?

Die lange Zeit der Diskriminierung hat in den Köpfen von Frauen Spuren hinterlassen, indem man die eigenen Ambitionen nicht auslebt. Die Glas Ceiling, die gläserne Decke, die gibt es. Viele Frauen, die über eine Karriere nachdenken und entscheiden müssen, wieviel sie investieren wollen, haben oft den Eindruck, sie seien ohnehin chancenlos und ein MBA oder ein Auslandaufenthalt wäre wegen einem schlechten Kosten-Nutzen-Verhältnisses wenig hilfreich. Mir geht es also darum, dass man dieses Denken aufbricht. 

Mit Bestimmungen, die verhältnismässig sind?

Sehr verhältnismässig. Eine Firma muss ja nur offenlegen und erklären, weshalb man diese Quoten nicht erreicht. Als kotiertes Bauunternehmen müsste man zum Beispiel erklären: Das Bauingenieur-Studium scheint Frauen leider wenig zu interessieren,, weshalb wir keine geeigneten Frauen mit dieser Ausbildung finden konnten. Deshalb können wir die Quote nicht erfüllen.

Was sagen Ihre Kollegen über Sie, den Frauenförderer?

Ich versuche nur die Chancen von Frauen zu verbessern. Und was meine Kollegen betrifft: Viele sind meiner Meinung, vor allem, wenn sie in Begleitung ihrer Frauen sind. 
 
Sie sind mit Ihrer Haltung auf der Linie von SP-Frau Simonetta Sommaruga. Kein Problem?

Wenn man eine Position hat, die auch von einer sozialdemokratischen Partei vertreten wird, darf man sich deswegen nicht irritieren lassen. Ich wäre auch dafür, wenn die Linke dagegen wäre. Ich nehme für mich in Anspruch, liberal zu sein und kapitalistische Grundsätze zu verteidigen. Liberal beinhaltet auch das Ausmerzen eines Unrechts aus dem letzten Jahrhundert. Heisst auch, allen dieselben Chancen zu geben. Liberal ist auch ein Comply or Explain, weil sie niemandem Personalentscheide aufzwingt. Es geht nur darum, dass die Firme ihren Eigentümern erklärt, weshalb man etwas nicht macht oder nicht erreicht. Und wenn man mit seinen Argumenten die eigenen Aktionäre überzeugt, dann ist ja alles bestens. Wenn man sie aber nicht überzeugt, muss man vielleicht die Beförderungspolitik überdenken. Und vielleicht fürchten Kritiker um ihre VR-Sitze.

Sie sind Anwalt, nicht Unternehmer. Da lässt sich gut reden.

Ich bin selber Unternehmer und habe mit meiner Frau eine Immobiliengesellschaft aufgebaut. Eine Firma, an der einst meine Mutter schon beteiligt war. Die Firma hält heute ein Immobilien-Portfolio von über 250 Millionen Franken. Auch aus dieser Optik bin ich dafür. Ich würde aber sicher nie hinter einem Zwang stehen, indem eine Quote aufgrund eines Gesetzes angewandt werden müssen. Damit täte man niemandem einen Gefallen, weder den Frauen noch den Unternehmen. Es würde mir komplett widersprechen, wenn der Gesetzgeber den Aktionären, die immerhin ihr Geld riskieren, vorschreiben würde, wie viele Frauen sie für die Geschäftsleitung oder den VR einstellen müsste – Comply or Explain heisst nur dass man den Aktionären erklären muss, weshalb man die Quote nicht erreicht ; die Aktionöre entscheiden dann, ob dies Konsequenzen hat. . 
 
Sie würden das Comply or Explain nur auf kotierte Firmen anwenden?

Nein. Ich würde auch KMUs ab einem Schwellenwert bei Umsatz und Mitarbeiterzahl einbeziehen. 
 
Der Code of Best Practice der Schweizer Wirtschaft redet von einer «angemessene Vertretung» von Frauen in den Führungsgremien. Das genügt nicht? 

Mit einem Code will man gesetzgeberische Schritte verhindern, aber nüchtern betrachtet ist dies in der Vergangenheit nie gelungen. Man hat bei der Kompensation jahrelang an die Vernunft der Firmen appelliert, aber am Schluss hat die Mehrheit die Minder-Initiative mit einer strengen Regulierung durchgesetzt.
 
Eine beliebte Erklärung: Wir haben zwar aufwändige Frauenförderprogramm, aber man findet sie leider nicht.

Wer diese Erklärungen oder Ausreden bringt, wird früher oder später unter Druck geraten. Sie unterschätzen Frauen, die Aktien halten. Wir haben unter den Aktionären viele Frauen – man darf gerade die Zahl  der Witwen, die Aktienpositionen halten nicht unterschätzen. Zudem sind Frauen für die meisten Unternehmen eine sehr wichtige Kundengruppe. Ich bin gespannt, wie der Verwaltungsrat reagiert, wenn eine Aktionärin an der GV aufsteht und sagt: Diese Erklärung zum Frauenanteil habe man jetzt bereits zum dritten Mal lesen dürfen – und ob man auch die Erklärungen zu Corporate Governance oder zur Nachhaltigkeit derart schlecht umsetze. Ich vermute, mit routinemässigen Erklärungen wäre es dann schnell vorbei. Ein Letztes: Über 50 Prozent des Stimmvolkes an der Urne sind Frauen. An diesen Fakten kann man heute nicht vorbei schauen. 
 
Sie kennen viele VR-Präsidenten. Wie würden sie stimmen?

Von allen VR-Präsidenten in grossen oder kleineren Firmen weiss ich, dass Frauenförderung ein grosses Thema ist. Der Fisch stinkt vom Kopf her, aber er strahlt auch vom Kopf her. Und wenn die Mitarbeiterinnen überzeugt sind, dass der VR-Präsident Frauen fördert, dann strahlt diese Haltung in die Organisation ab. Und motiviert Frauen wie Männer.