BILANZ: Als Chairman von Accenture sind Sie für die internationale Strategie des Beratungsunternehmens zuständig und bereisten auch schon mehrmals Afrika. Ist Ihnen aufgefallen, dass dieser Kontinent technologisch brachliegendes Land ist?
Vernon Ellis:
Ich war mehrmals in Nigeria und Südafrika. Mehr als 37 Prozent aller US-Amerikaner surfen regelmässig im Internet, während in Afrika nur 0,1 Prozent Internetzugang haben. Ich habe aber auch gesehen, dass Südafrika weiter entwickelt ist als Nigeria und deshalb für Accenture ein sehr interessantes Land ist. Wir haben mit der südafrikanischen Regierung einige gute Projekte verfolgt.

Worum geht es in diesen Projekten?
Wir haben Terminals in Dörfern installiert. Die Menschen können sich nun via Internet informieren und beispielsweise alles über Politik und Gesellschaftsfragen erfahren. Ausserdem arbeiten wir an einem elektronischen Abstimmungssystem, das über die erwähnten Terminals die Dorfbevölkerung erreichen soll.

Was haben Sie gelernt, was sich in den Projekten anwenden liesse, um die existierende digitale Spaltung der Welt zu überbrücken?
Man muss in den Ländern Afrikas eine kritische Masse an Internetbenutzern erreichen, bevor eine Änderung der Digital Divide erreicht werden kann.

Was verstehen Sie genau unter der Digital Divide, der digitalen Spaltung?
Die Digital Divide ist nicht ein isoliertes Problem. Ansonsten hätten all die Vertreter der Entwicklungsländer recht, die fragen: Weshalb soll ausgerechnet Digital Divide unser Problem sein, wenn unsere Bevölkerungen an Aids sterben oder zu wenig Bildung geniessen?

Weshalb also ist die Digital Divide das Problem eines Entwicklungslandes?
Reden wir lieber von den digitalen Möglichkeiten oder den digitalen Brücken: Die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien (ICT) sind kraftvolle Stimulatoren für die Wirtschaft. ICT ermöglichen die Globalisierung, indem sie deren Triebkräfte unterstützen – zum Beispiel die Liberalisierung der Märkte, den freien Handel, wenig staatliche Eingriffe, Privatisierungstendenzen, Shareholder-Value-Denken. Ohne die neuen Technologien wären die Verteilung von Gütern, die globale Kundenbetreuung oder etwa das Ein- führen von neuen Produkten unvorstellbar.

Gibt es Beweise für diese Aussage?
In den USA lässt sich belegen, dass dank ICT die Produktivität gestiegen ist.

Wo sehen Sie Vorteile, wenn die Entwicklungsländer ihre ICT-Kompetenzen ausbauen könnten?
ICT bieten einen Ansatz für die Lösung der Bildungsprobleme in diesen Ländern. Immer mit der Einschränkung, dass ICT niemanden von Krebs oder Aids heilen und für sich selbst genommen auch niemanden lehren können, ein besserer Mensch zu sein. Aber ich kenne genug Beispiele, wie ICT im Kampf gegen Meningitis oder gegen andere Krankheiten eingesetzt und wie internetbasierte Ausbildungszentren als probate Hilfsmittel für die Schulen genutzt werden könnten. Alle Lösungen hängen fundamental mit wirtschaftlichem Wachstum und Wohlstand zusammen. Besser wäre es deshalb, von einer gesellschaftlichen und ökonomischen als von einer digitalen oder elektronischen Spaltung der Welt zu sprechen.

Was tun Sie mit dem Beratungsunternehmen Accenture, um die Digital Divide zu überbrücken?
Wir tun zwei Dinge. Wir engagieren uns in der Dot.force, und wir haben eine so genannte Opportunity-Initiative gestartet, die eine Zusammenarbeit zwischen der Uno und Accenture ist. Darin untersuchen wir Projekte in den Entwicklungsländern und wollen herausfinden, wie diese zu verbessern wären. Wir haben uns gegenüber unserem Partner dazu verpflichtet, Ressourcen im Gegenwert von 3,5 Millionen Dollar kostenlos für die Opportunity-Initiative zur Verfügung zu stellen. Accenture-Teams in Indien, Indonesien, Russland, Südafrika und Japan arbeiten an diesem Programm.

Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Opportunity-Initiative und der Arbeit der Dot.force?
Bisher noch nicht. Es wäre aber das Beste, wenn das Resultat unserer Zusammenarbeit der Dot.force zugute kommen könnte.

Ganz selbstlos befasst sich Ihr Unternehmen aber wohl nicht mit der Digital Divide?
Wir tun das sicherlich auch mit einer kommerziellen Absicht. Wir sind grundsätzlich interessiert an Wertschöpfung in der Welt, denn würden die Märkte arm bleiben, so würden sie auch nicht nach den Produkten oder Serviceleistungen fragen, die wir für sie erbringen können.

Die G-8-Staaten und Unternehmen wie Accenture bauen also an einem Programm zur Bekämpfung der Digital Divide, in Tat und Wahrheit aber haben sie das Vorzugsrecht im Auge, dereinst als Erste in die sich entwickelnden Märkte vordringen zu können.
Das ist ein sehr heikles Thema. Manchmal sind die Leute in der Tat sehr argwöhnisch, wenn Anwender und Anbieter von ICT aktiv werden und über Digital Divide sprechen.

Zu Recht – oder sind Sie anders?
Dieses Profitdenken, dass Sie mir unterstellen, wäre ein sehr kurzfristiges Denken. Ich glaube, dass die richtige Betrachtung der vielen Probleme in dieser Welt auf einem langfristigen Denken basieren muss, und ich versichere Ihnen: Unser Unternehmen hat keine kurzfristigen Interessen, sich gute Konditionen in einem armen Land zu schaffen.

Welche Interessen haben Sie?
Kurzfristigkeit ist keine gute Lösung für uns. Es gibt in diesen Ländern für uns keinen Markt. Es existieren keine Versorger für aussergewöhnliche ICT, die unsere Beratungen benötigen würden. Aber langfristig sind wir sehr wohl an diesen Märkten interessiert. Wir sind heute nicht deshalb in Südafrika, weil wir dort einen künftigen Markt von fünf Millionen Weissen sehen.

Aus welchem Grund also?
Wir sind in Südafrika, weil dort vierzig Millionen Menschen aller Hautfarben oder Rassen leben. Das ist unser künftiger Markt. Für Simbabwe und Tansania gilt dasselbe. Auch für China. Wir wissen, dass sich in diesen Ländern nicht sehr bald ein Markt für unser Unternehmen und unsere Dienstleistungen entwickeln wird. Für uns wären die Risiken einer unternehmerischen Offensive in diesen Ländern derzeit zu gross: Das Gefälle in den Gesellschaften ist zu ausgeprägt und der Weg, den es zu gehen gilt, zu weit. Wir sind aber überzeugt, dass dieser Weg nicht ohne Hilfe von aussen beschritten werden kann. Deshalb engagieren wir uns in Kooperationen, die sozial verantwortliche Engagements vorantreiben. Wir haben beispielsweise ein Geschäftsspiel entwickelt, das die London Business School heute anwendet und damit den Menschen aus Entwicklungsländern zeigt, was unternehmerische Verantwortung bedeutet.

Heute sind Kräfte am Werk, die vom gesellschaftlichen, edukativen, intellektuellen und monetären Auseinanderdriften der Welt profitieren. Wer sind diese Kräfte?
Diese Frage ist mir noch nie gestellt worden. Von der Digital Divide profitiert niemand. Alle leiden darunter.

Was ist denn mit den Monopolisten, die in einigen Entwicklungsländern den Zugang zum Internet so teuer halten, dass sich ihn nur die Reichsten leisten können?
Ein gutes Beispiel. Das sind grosse Probleme. In vielen Entwicklungsländern sind Telekom-Monopolisten tätig, die ein staatliches Einkommen garantieren. Alle haben ein Interesse daran, den gegenwärtigen Zustand zu bewahren. Das sind dieselben Symptome, die wir aus der Vergangenheit in Europa kennen. Allgemein wissen wir, dass die Digital Divide von Profiteuren aufrechterhalten wird, die Mitglieder korrupter Systeme sind, die diese Systeme nicht öffnen und nicht zu demokratischer Ordnung überführen wollen. Demokratische Ordnungen sind eine wichtige Voraussetzung für die Verminderung der Digital Divide, aber nicht die einzige. Wir in den entwickelten Ländern müssen den in den Entwicklungsländern bereits Mehrwert Schaffenden das geben, was sie brauchen und verlangen.

Das hätten wir gern konkreter.
Denken Sie an ein System, gebildet durch drei Säulen. Eine Säule enthält ICT, Infrastruktur, Inhaltanbieter. Eine steht für die Fähigkeiten der Menschen. Eine dritte steht für die Unternehmen. Alle drei Säulen sind direkt voneinander abhängig. Wir wissen zum Beispiel, dass ICT den Fortschritt ermöglichen. Wir haben erkannt, dass ICT Trainingsmethoden unterstützen und somit die Fähigkeiten der Menschen erhöhen. Diese drei Säulen bilden eine Gemeinschaft. Ich gebe Ihnen ein negatives Beispiel aus einem Entwicklungsland, wo die Balance zwischen den drei Säulen nicht stimmt. Kürzlich vernahm ich folgende Geschichte: Ein sich entwickelndes Land hatte sehr viel Geld zur Verfügung, um für das ganze Land ein staatliches Kommunikationssystem aufzubauen. Der Anbieter der Technik sagte den Verantwortlichen aus diesem Land: Ich glaube nicht, dass ihr das alles braucht, wenn ihr wollt, dass das System nachhaltig wirkt. Die Antwort der Regierung war: Wir wollen nur das Beste, und wir wollen nur das System, kein Training, keine nationalen oder regionalen Betreiber, keine private Aktivitäten. Komm, bau auf, und geh wieder!

Der Mann übernahm den Job nicht?
Würden Sie ablehnen, wenn Ihnen jemand Hunderte von Millionen Dollar für einen solchen Systemaufbau offeriert? Am Ende sagte er zu, realisierte das Kommunikationssystem, ging wieder, und das Ganze kollabierte nach zwei Monaten. Die Säulen aus meinem Konzept waren nicht aufeinander abgestimmt. ICT waren vorhanden, aber es fehlte an Unternehmen und an den menschlichen Fähigkeiten.

Das klingt alles sehr theoretisch.
Da gebe ich Ihnen recht. Deshalb müssen wir in den Entwicklungsländern jede Situation für sich betrachten.

Der Hauptvorwurf an die G-8-Staaten und deren Bemühungen mit der Dot.force lautet: Sie diskutieren, aber sie handeln nie. Was tut die Dot.force, um diese Kritik zu entkräften?
Es wird noch bewiesen werden müssen, was diese Gruppe zu Wege bringen kann. Vergessen Sie nicht, Dot.force kann nur empfehlen, die Regierungen müssen handeln. Mich überraschte an der Gründungsversammlung Ende November in Japan die Entschlossenheit aller Teilnehmer, zu Resultaten zu gelangen. Wir wollen es nicht bei einem weiteren Bericht bewenden lassen, der nie umgesetzt wird. Das verspreche ich Ihnen.
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