Der Frauenanteil in Schweizer Chefetagen ist auch heute noch gering. Experten und Medien versuchen seit Jahren, den Ursachen auf den Grund zu gehen. Insead-Professorin Herminia Ibarra hat dafür einen eigenen Erklärungsansatz.

Frau Ibarra, wieso schaffen es nach wie vor so wenig Frauen in die Teppichetagen?
Herminia Ibarra*: Die meisten höheren Positionen sind von Männern besetzt. Frauen arbeiten also in einem Umfeld, in dem die meisten Leute ihnen nicht sehr ähnlich sind. Das ist ihr fundamentale Dilemma. Denn Ähnlichkeit ist das Hauptelement in Beziehungen. Ist man sich ähnlich, schafft das Vertrauen. So entsteht die Basis dafür, sich für jemanden einzusetzen und diese Person fördern. Das funktioniert leichter unter Männern. Frauen stellen sich die Frage: Wie lerne ich Leute in Machtpositionen gut genug kennen, damit diese ihre Macht für mich einsetzen?

Was hilft Frauen, diese Beziehungen aufzubauen: Networking oder Mentoring-Programme?
Beides hilft meistens wenig, vor allem weil sich diese Programme oft auf Themen wie Selbstvermarktung beschränken. Es reicht nicht, wenn Frauen sich mehr reinhängen. Die Verantwortung für wirkliche Veränderungen liegt bei den Unternehmen. Sie müssen weiter gegen Diskriminierungen im System vorgehen.

Was für Diskriminierungen?
Wenn Frauen aufsteigen, tun sie das meistens in unterstützenden Bereichen wie Personal, Public Relations oder Kommunikation. Diese nennt man auch «pinke Ghettos». Männer hingegen besetzen Positionen, die dem Unternehmen Erträge generieren, wie Sales oder Produktion. Diese Positionen bieten von Anfang an bessere Aufstiegschancen. Frauen müssen also in diese Positionen befördert werden.

Wie geht das?
Es muss klar sein, welche Aufgaben wichtig für die Ausbildung einer Führungskraft sind, also in welchen Bereichen die Person mit den Einnahmequellen des Unternehmens, den strategisch wichtigen Märkten und Kernprodukten in Berührung kommt. Dann geht um Talent-Management: Wie man High-Potentials, auch Frauen, in diese Schlüsselpositionen bekommt und sie dort weiterentwickelt. Hier muss das Mentoring ansetzen.

Ihrem Buch «Act like a leader, Think like a Leader» sprechen Sie von Authentizität bei Führungskräften. Fällt es Frauen in einem männerdominierten Umfeld schwerer, authentisch zu sein?
Ja. Um aufzusteigen beobachten wir, wie erfolgreiche Personen aussehen, wie sie sich bewegen, sich ausdrücken. Die meisten dieser Vorbilder sind in unserer Arbeitswelt Männer. Darum fällt es Frauen schwerer, sich von ihnen etwas abzuschauen. Sie müssen mehr rumprobieren, sich selbst erfinden. Das ist ein längerer Lernprozess als für Männer. Mangels Vorbildern fragen sich viele Frauen: «Was muss ich dafür opfern, um an die Spitze zu gelangen und ist es das wert?»

Was ist Ihr bester Rat an die Frauen?
Beziehungen sollten sich nicht auf die eigene Firma oder Industrie beschränken. Obwohl der Fortschritt nur langsam ist, gibt es Frauen in Führungspositionen, die als gutes Vorbild fungieren können - auch wenn sie vielleicht in einer anderen Industrie tätig sind.

* Die Kubanerin Herminia Ibarra ist Ökonomin und unterrichtete 13 Jahre an der Elite-Uni Harvard. Heute ist sie Professorin am Insead. Sie wurde als eine der weltweit 50 einflussreichsten Denker im Bereich Management ausgezeichnet.

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