An den Tag im Jahr 1995 erinnert sich Yvonne Kunz noch ganz genau. Sie tigerte unruhig durch ihre Weinhandlung in Teufen AR und wurde das Gefühl nicht los, dass «am Internet etwas dran sein muss». Plötzlich fiel der Groschen, erinnert sie sich, und sie wusste: «Meine geschäftliche Zukunft liegt im Netz.» Sie beschloss, sich eine eigene Website einrichten zu lassen, und reservierte «in einer hellen Stunde» jenen Namen, um den sie ihre Konkurrenz ewig beneiden wird: www.weine.ch. Yvonne’s Weinkabinett war die erste virtuelle Weinhandlung in der Schweiz. Ihre Kundschaft kann rund um die Uhr von jedem Standort auf der ganzen Welt zwischen Rioja, Bordeaux und vielen anderen Spezialitäten wählen, die gewünschte Stückzahl bestellen und sich ins Haus liefern lassen. Auch wenn sich der Internethandel zunächst nur zögerlich anliess, war Kunz überzeugt davon, dass er ihr über kurz oder lang die angestrebte Steigerung an Umsatz, Effizienz und Reichweite bringen würde: «Weine», konstatiert sie, «gehören zu jenen Produkten, die sich im Netz anschaulich präsentieren, ohne Risiko kaufen und auch sicher versenden lassen.» Auf Visitenkarten, Briefpapier und in ihren Prospekten stand von jetzt an auch der Name ihrer Website. Sie machte auf den Homepages anderer Kleinunternehmen Werbung für ihre Domain und platzierte im Gegenzug deren Links bei sich. Inzwischen erwirtschaftet sie fünf Prozent ihres Umsatzes via Internet. Im Verlauf des kommenden Jahres will sie bereits jede zehnte Flasche auf virtuellem Weg absetzen.

Ihr Fazit: «Meine Website ist eine perfekte Ergänzung meines Ein-Frau-Unternehmens und ermöglicht mir zu wachsen, aber dennoch individuell und unverwechselbar zu bleiben.» Gisèle Rufer produziert und vertreibt Schmuckuhren der Marke Delance, die zwischen 1100 und 65 000 Franken das Stück kosten. Auch sie erkannte bereits 1995, dass der Einstieg ins Internet ein Gebot der Stunde war, umso mehr, als sie den grössten Teil ihres Umsatzes in den USA und seit neuestem auch im Nahen Osten macht. Ein globaler Auftritt, sagt sie, sei für ein Geschäft wie das ihre unerlässlich: «Wo kann ich mein Sortiment besser präsentieren als in einem virtuellen, weltweit einsehbaren Schaufenster?» Anders als Weinhändlerin Kunz rechnet Rufer allerdings nicht damit, grosse Mengen über das Internet abzusetzen. Eine Swatch lasse sich via Website vertreiben, aber nicht eine Luxusuhr. Wer eine Delance kaufe, wolle sie vorher sehen und anprobieren. Bisher hat sie denn auch erst fünf virtuelle Verkaufsabschlüsse zu verzeichnen. Für die Uhrenfabrikantin, die kürzlich von der Schweizerischen Gesellschaft für Ideen- und Innovationsmanagement mit dem Goldenen Ideen-Oskar 2000 ausgezeichnet worden ist, ist die Website www.delance.ch in erster Linie «ein PR-Instrument, das dazu beiträgt, unsere Marke bekannter zu machen und ihr ein Image von Modernität und Zukunftsorientiertheit zu verleihen». Yvonne Kunz und Gisèle Rufer gehören einer verschwindend kleinen Minderheit an. Sie zählen zu den Internetpionierinnen, jenen raren weiblichen Exemplaren, die hier zu Lande ihre eigene Website betreiben und damit auch noch Geld verdienen wollen. Ihre Zahl wird von Szenenkennern auf maximal tausend geschätzt, denen zwischen 20 000 und 50 000 von Männern bewirtschaftete Homepages gegenüberstehen. Dabei bietet eine eigene Website Vorteile, die sich insbesondere auch kleine und mittlere Firmen, die zunehmend mehr von Frauen geführt werden, sehr wohl zu Nutze machen können. Gudrun G. Vogt, Alleininhaberin von The Next Step, einer Firma, die sich auf Planspiele zur Einübung von unternehmerischem Denken und Handeln spezialisiert hat, registriert jede Woche «mindestens drei qualifizierte Kundenkontakte, die über meine Homepage generiert werden». Darunter befinden sich immer mehr Interessenten auch aus Deutschland, Österreich und kürzlich sogar aus Südafrika. Vogt ist überzeugt, dass ihre Anmeldung bei internationalen Suchmaschinen, die bei Eingabe entsprechender Suchbegriffe wie «Unternehmenssimulation», «Planspiel» oder «interaktives Lernen» auch auf www.the-next-step.ch verweisen, ein entscheidender Beitrag zur Steigerung ihres Bekanntheitsgrades und letztlich auch ihres Umsatzes gewesen sei. Die unter Werbung verbuchte Investition von 6000 Franken in den Aufbau ihrer eigenen Page habe sich also inzwischen mehr als gelohnt. Wer wie Lilian E. Krauthammer eine Webagentur führt, ist geradezu gezwungen, auch eine eigene Business-Site zu betreiben: «Auf diesem Weg zeigen wir eins zu eins, was wir alles können und anzubieten haben», sagt die gelernte Printdesignerin. Immerhin setzt sich das Auftragsvolumen ihrer inzwischen neunzehn Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen beschäftigenden Agentur zu zwei Dritteln aus der Entwicklung von Websites zusammen. Darüber hinaus werden bei der Network AG auch Spiele entworfen, die Krauthammer im Wissen um deren Anziehungskraft ebenfalls auf www.network-ag.com präsentiert und damit pro Woche mehrere Tausend Besucher anlockt. Referenzlisten und ein Porträt ihres Teams runden die virtuelle Firmenvisitenkarte ab. Im Sinne eines modernen, transparenten Managements will man den Kunden möglichst bald via Website den passwortgeschützten Zugang zu ihren laufenden Aufträgen eröffnen. Doch Krauthammer geht noch einen Schritt weiter. Auf der Suche nach einem Instrument, das nicht nur bestehende Geschäftskontakte zu optimieren und neue herzustellen vemag, sondern selber auch Umsatz erzeugt, hat ihr Team kürzlich www.futuretown.com vollendet, eine Portal-Website, die zur Bildung einer Cyber-Community führen soll. Deren Mitglieder, erklärt Krauthammer, zeichneten sich durch ihre gemeinsame Lust am Spielen und damit durch ein mehr oder weniger einheitliches, klar analysierbares Persönlichkeitsprofil aus. Sobald die virtuelle Gemeinschaft eine gewisse Grösse erreicht habe, werde die Agentur gezielt Unternehmen ansprechen, die ihre Produkte im Rahmen von «futuretown» anbieten, bewerben und absetzen können. Diese Art, Business zu generieren, sei neu und spezifisch auf die Möglichkeiten des Internets zugeschnitten. An einer Technoparty wurde die «Zukunftsstadt» kürzlich aus der Taufe gehoben. Im Vergleich zu Krauthammer setzen die beiden Zürcher Projektmanagerinnen Irène Meier und Lynn Blattmann ihre Website auf geradezu konventionelle, aber dennoch Erfolg versprechende Art ein. Schliesslich registrieren sie rund 150 Besuche pro Monat, was sie angesichts von fünf bis sechs Grossaufträgen pro Jahr für eine zufrieden stellende Zahl halten. Die Angebote, die von der Kommunikationsberatung im Zürcher Sozialdepartement über den Aufbau des Netzwerks Frauenunternehmen bis hin zur Mitlancierung des Zürcher Frauenhotels reichen, leben stark vom Persönlichkeitsprofil der beiden Frauen und den von ihnen vertretenen Inhalten. Deshalb ist www.meierblattmann.ch auch deutlicher als andere Sites auf die biografisch-beruflichen Hintergründe ihrer Betreiberinnen ausgerichtet, unterlegt mit einer Prise Selbstironie und Humor. Projektbeschreibungen, eine virtuelle Agenda ihrer öffentlichen Auftritte und eine Liste von Links ergänzen die Homepage, der die beiden einen «Multiplikator-Effekt und die Ausdehnung unserer Reichweite» zuschreiben. Vertragsabschlüsse via Internet erwarten sie allerdings nicht: «Je individualisierter und massgeschneiderter eine Dienstleistung ist», sagt Meier, «umso unerlässlicher sind die persönlichen Kontakte mit den Kundinnen und Kunden.» Werbung ist so gesehen eine Branche, die sich nicht optimal für das Internetbusiness eignet. Diese Einschätzung wird nicht zuletzt von einer Frau vertreten, die mit ihrem eigenen Geschäft das Gegenteil beweist: Liliane Lerch, Besitzerin der offenbar erfolgreichen virtuellen Werbeagentur www.lilianelerch.com. Per E-Mail teilt Lerch aus Los Angeles mit: «Dass der Internethandel bei mir so gut funktioniert, ist wohl deshalb, weil ich nicht anonym bin. Die Leute wissen, wer am anderen Ende sitzt.» Und es sei ja auch nicht so, dass man sich nie persönlich treffe oder telefoniere. Dennoch hätten das Internet und ihre Homepage einen zentralen Stellenwert in ihrem Firmenalltag. Das Internet sei Eingangstür, Konferenzzimmer und Kommunikationszentrum in einem. Es erlaube ihr, in Kalifornien zu leben und dennoch weiterhin auch für Europa zu arbeiten. Ihre Homepage sei ihre Agentur und gleichzeitig deren Aushängeschild, die ihren Kunden zeige, wie sie denke, aber auch was sie von ihren Auftraggebern erwarte. Dank einer Livecam könne man sie bei der Arbeit beobachten. Dazu würden Spass und Tipps zu Dingen geliefert, die sie gerade interessant finde. Lerchs Begeisterung für das neue Medium müsste eigentlich unzählige Geschlechtsgenossinnen zum Sprung ins Web animieren. Trotzdem dürfte es noch geraume Zeit dauern, bis die Frauen ihren gravierenden Rückstand bei den Business-Websites verringern können. Expertinnen gehen davon aus, dass viele Frauen die Angst vor den Kosten eines Internetauftritts zurückhalte. Andere lähme die Scheu vor der als zu komplex wahrgenommenen Technik. Die Psychologin und Webredaktorin Annette Kielholz ist zudem überzeugt, dass zahlreiche Frauen auf Distanz bleiben, weil ihnen «der Mut fehlt, sich in einem weltweit einsehbaren Medium zu exponieren». Ruth Frehner, gelernte IT-Service-Technikerin TS und heute Unternehmerin im Bereich Hard- und Softwareberatung und Internetinstallationen, zeigt ein gewisses Ver- ständnis für diese weibliche Zurückhaltung. Die Betreiberin von www.goeast.ch/rfrehner spürt rings um die Themen Internet und insbesondere E-Commerce «eine männliche Turmbau-zu-Babel-Stimmung», die sie als weit entfernt von der Realität wahrnimmt und die offenbar auch andere Frauen als unvereinbar mit ihren Bedürfnissen empfinden. So relativiert Frehner auch die Bedeutung ihrer eigenen Website: «Ich könnte problemlos ohne eigenen Auftritt im Netz, aber nicht länger ohne Internet und vor allem ohne E-Mail leben.» Auch so zählt Frehner noch immer zu einer Minderheit. Gemäss unterschiedlichen Studien stellen die Frauen nämlich erst zwischen 20 und 34 Prozent der Internet-User, wobei ihr Anteil in den letzten Jahren allerdings kontinuierlich im Steigen begriffen ist. Nach Angaben der Wemf AG für Werbemedienforschung nutzen die 500 000 von ihr ermittelten Frauen das Netz primär zu folgenden Zwecken: Sie rufen Zeitschriften- und Zeitungsinhalte ab (39 Prozent); sie durchstöbern Stellen- und Wohnungsinserate (22); sie betreiben Internetbanking (15) und praktizieren Onlineshopping (10). In allen Bereichen lassen sich mehr oder weniger deutliche Aufwärtstrends beobachten. So hat man bei der Migros im Verlaufe der letzten eineinhalb Jahre eine klare Zunahme der weiblichen Onlinekundschaft festgestellt. Betrug deren Anteil Ende 1998 erst 30 Prozent, so ist er im März 2000 bereits auf 50 Prozent geklettert und macht gar 60 Prozent des gesamten E-Commerce-Umsatzes aus. Grund genug, so heisst es bei der Migros, die Frauen als besonders interessante Zielgruppe im Auge zu behalten. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass sich das Internetgeschäft der Migros mit vier Millionen Franken erst im Promillebereich des Gesamtumsatzes bewegt. Auch die von der BILANZ befragten Website-Pionierinnen nutzen das Internet gern und häufig, um Bücher zu bestellen, Blumen oder Pralinés verschicken zu lassen, Flüge zu buchen und Hotelzimmer zu reservieren, Fahrpläne zu lesen oder Reiserouten zu ermitteln. Zum Standard einer Geschäftsfrau gehört inzwischen das E-Mailing. Einen Alltag ohne kann sich keine mehr vorstellen. Irène Meier fragt sich manchmal irritiert, «wie ich früher ohne existieren konnte». Das E-Mailing mache die Kommunikation so viel schneller, effizienter, auch praktischer und formloser und schaffe Zeitinseln für diejenigen Kontakte, die unbedingt eine persönliche Begegnung erforderten. Das Beispiel des E-Mail-Gebrauchs zeigt auf eindrückliche Art, wie Frauen mit dem Netz umgehen. Sie sind in hohem Masse nutzenorientiert, suchen gezielt nach Lösungen für ein Problem, setzen also die Technik als Mittel zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse und nicht zum Selbstzweck ein. Nächtelanges Herumsurfen ist nicht ihr Ding, und das nicht zuletzt deshalb, so Unternehmensberaterin Vogt, weil «es Frauen, die meistens unter der Doppelbelastung von Beruf und Familie stehen, schlicht an der nötigen Zeit fehlt». Gemäss Claudine Traber, Leiterin von Internetkursen, sind Frauen dem neuen Medium gegenüber sehr viel kritischer eingestellt als Männer. Das überrascht insofern nicht, als die überwältigende Mehrheit der Inhalte des World Wide Web von Männern produziert und damit klassischen Männerthemen wie Gewalt, Pornografie und Rechtsradikalismus überproportional viel Platz eingeräumt wird. Was Frauen hingegen zu begeistern vermag, sind Angebote, die der Interaktivität einen grossen Stellenwert einräumen. So gelang es kürzlich der Zürcher Kantonalbank, mit ihrem Online-Game «zoink» 40 Prozent Frauen anzusprechen. Die Mischung aus einem niedlichen Schwein, das auf verschiedene Art angezogen werden konnte, Glücksspielen und der Möglichkeit, Freunde einzubeziehen, traf offensichtlich den Nerv des weiblichen Publikums. Beliebt sind auch all jene Websites, die einen Mix aus spezifischen Frauenthemen mit der Möglichkeit zur Kontaktpflege kombinieren. Beispiele dafür sind die beiden deutschen Sites www.muetter-mit-modem.de und www.hausfrauenseite.de. Das Bedürfnis zur Vernetzung bildet eines der wichtigsten Motive von Frauen bei der Aufschaltung von Websites: www.frauen-unternehmen.ch, www.fembit.ch oder www. nefu.ch sind Ausdruck davon, dass Frauen sich gern unter einem gemeinsamen Dach versammeln, um von Grösse, Bekanntheit, Ressourcen und informellen Kontakten eines Kollektivs zu profitieren. Kritische Geister mahnen jedoch an, dass «sich die Frauen ewig vernetzen, während die Männer die neuen Geschäftsfelder beackern und Geld verdienen». Auch für Margit Osterloh, Professorin der Betriebswirtschaftslehre an der Universität Zürich, birgt der weibliche Rückzug auf die eigenen Netzwerke die Gefahr in sich, «dass die Frauen den Anschluss an die nach wie vor männlich beherrschte und mit mehr Macht und Geld ausgestattete Geschäftswelt endgültig verlieren.» Die Ordinaria hält das Internet grundsätzlich für ein Instrument, das den Frauen zahlreiche Chancen eröffnet. Fasziniert ist sie beispielsweise von der These, dass der Verkehr per E-Mail die bei persönlichen Kontakten zentralen Bewertungskategorien wie Geschlecht und sozialen Status ein Stück weit nivellieren könnte. Eine E-Mail, sagt Osterloh, sei nämlich nichts anderes als ihr Inhalt, häufig nicht einmal einem Mann oder einer Frau zuzuordnen, vollständig standardisiert, ohne individuelles Briefpapier und lokalisierbaren Absender. In Ländern wie den USA und Deutschland liegt der Anteil der weiblichen Internetnutzer bereits bei 40 bis 50 Prozent. Optimistinnen wie Webredaktorin Annette Kielholz sind überzeugt, dass sich die Frauen auch hier zu Lande auf dem Vormarsch befinden: «Je benutzerfreundlicher die Computer werden, umso intensiver werden sich Frauen ihrer bedienen.» Webagentur-Besitzerin Lilian E. Krauthammer plädiert auch deshalb für den Einsatz des Internets, weil es sogar das Potenzial habe, die fest gefügten wirtschaftlichen Machtverhältnisse etwas zu verschieben: «Egal, ob ich vom Weltkonzern Novartis oder von der Network AG in Schlieren bin, auf der ersten Seite im Netz sind alle gleich gross.»

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