Die britischen Tories sind wieder einmal für eine Überraschung gut. Rasch, beherzt und taktisch geschickt schaffen sie sich ein missliches Personalproblem vom Hals. Nach den unseligen «Mutterschafts-Äusserungen» von Andrea Leadsom sah es noch am Wochenende nach einem schmutzigen Wahlkampf um die Nachfolge von Premier David Cameron aus. Doch das war gestern.
Ganz anders ist das Bild am Montag. Völlig überraschend tritt die Energiestaats-Sekretärin Leadsom vor die Kameras, lächelt etwas scheu ins Publikum und liest vom Blatt. Was das Land jetzt brauche, ist eine starke Regierung - kein monatelanges Ringen zwischen ihr und Innenministerin Theresa May um die Macht. Dann wünscht sie ihrer Konkurrentin alles Gute, zieht sich aus dem Rennen zurück. Die Botschaft: Der Machtkampf bei den Tories ist beendet.
Die Spekulationen überschlagen sich. Nur ein paar Stunden später gibt Premierminister David Cameron seinen Rücktritt für Mittwoch bekannt. Dann werde Innenministerin Theresa May das Amt übernehmen, kündigte er am Montag in London an.
Sehnsucht nach Ruhe
Die Tory-Parteimitglieder dürften aufatmen, dass der «Kampf unter Frauen» entscheiden ist, bevor er so richtig begonnen hat.
Die Partei ist seit dem Brexit-Votum tief gespalten, das Hauen und Stechen im Wahlkampf war schon schmerzhaft genug, die Partei sehnt sich nach Frieden und Ruhe - May, die flexible, kompromiss- und wendefähige Politikerin soll mit ihrer Versöhnungsarbeit so rasch wie möglich beginnen.
Chaos bei Labour
Versöhnung, Kompromiss - in der Labour-Partei sind das derzeit Fremdworte, die aus einer anderen Welt stammen. Hier sind Chaos-Tage angesagt. Im Zentrum des Dramas steht Parteichef Jeremy Corbyn - der alte Mann, der nicht weichen will.
Zunächst verliert der erklärte Linke bei Regionalwahlen, dann folgt die Schlappe beim Brexit-Votum, 80 Prozent der Labour-Abgeordneten spricht ihm offiziell das Misstrauen aus - doch der Mann will im Amt bleiben, «was immer geschehe». Wird Corbyn zur tragischen Figur, treibt er die Partei in die Spaltung?
Darling der Basis
Corbyn: Das ist ein Mann der Prinzipien, waschechter Labour-Mann der alten Schule, Kriegsgegner, Atomwaffengegner, Befürworter von Verstaatlichungen - Darling der Parteibasis. Kritik lässt er an sich abtropfen, er verweist darauf, dass die Basis ihn erst im September 2015 «mit sehr grosser Mehrheit» gewählt hat. Sein Credo: Rückzug wäre «Verrat».
Doch am Montag auch hier eine Wende. Die Abgeordnete Angela Eagle, der breiteren britischen Öffentlichkeit eher unbekannt, fordert den Chef offiziell heraus, will sich dem Votum der Parteibasis stellen.
Lange hatte sie mit dem Schritt gezögert, will nicht als Königsmörderin erscheinen, nicht die Rolle des Brutus übernehmen - das Risiko ist zu gross. Auch ihre Worte sind an diesem Montag kurz und schnörkellos. Sie holt tief Luft, dann spricht sie beherzt in die Kamera: «Ich bin bereit zu führen.»
Basis ist nicht Fraktion
Die Basis feierte Corbyn noch kürzlich als Lichtgestalt, als Linker der der Partei endlich wieder Rückgrat verleiht, den Jungen ein Ziel gibt, den Altlinken die Seele streichelt.
Doch die Krux: Die Abgeordneten in Westminister haben sich nie für den Neuen erwärmen können, wie ein Fremdkörper agiert Corbyn im Unterhaus, selbst äusserlich sticht er hervor, trägt beige Jacketts statt den obligaten dunklen Anzug. «Dem Labour-Führer mangelt es an Unterstützung und sogar am Respekt der Abgeordneten», kommentiert die «Times» - das ist milde ausgedrückt.
Wie riskant ein Putsch gegen den Parteichef ist, zeigen erste Breitseiten gegen Eagle. Noch bevor sie sich öffentlich erklärt, fällt ihr eigener Wahlkreis der 55-jährigen in den Rücken, stellt sich demonstrativ hinter Corbyn. Ein Gewerkschafter nennt ihr Handeln eine «feige Attacke». Während die Tories schon aufatmen können, stehen bei Labour schwere Zeiten bevor.
(sda/ccr)