BILANZ: In der Eidgenössischen Steuerverwaltung (ESTV) wird wegen schweren Korruptionsverdachts bei einem Informatikprojekt untersucht. Wie konnte das jahrelang unbemerkt bleiben?
Michael Alkalay: Das überrascht mich nicht. Das IT-Beschaffungsbusiness ist anfällig dafür, es ist schnelllebig, und der Bundesbetrieb ist schwerfällig. Da entsteht oft eine Kultur der Regelverletzung, weil die Regeln als Blockade empfunden werden. So kann sich im IT-Einkauf ein gefährliches Eigenleben entwickeln. Das schafft Verlockungen.
ESTV-Direktor Urs Ursprung wurde freigestellt, ebenso der Chef der IT-Beschaffung. Ist das nicht übertrieben?
Nun muss erst gründlich ermittelt werden. Die Bundesanwaltschaft hat Durchsuchungen vorgenommen, sie untersucht wegen des Verdachts der ungetreuen Amtsführung gegen den Beschaffungschef und gegen eine unbekannte Täterschaft. Für beide gilt die Unschuldsvermutung. Solche Verfahren sind oft langwierig.
Der verantwortliche IT-Beschaffer soll schon 2001 Geräte über eine Firma eingekauft haben, an der er selbst finanziell beteiligt war. Warum wurde er nicht gestoppt?
Vermutlich weil die Beschaffungskultur damals ziemlich korrupt war.
Wie bitte?
In den ersten Jahren des Computereinkaufs waren Geschenke durchaus üblich. Der Beschaffer bekam einen Rechner «zum Testen» für sich nach Hause, wenn er 200 Stück für die Verwaltung bestellte. Das waren damals beachtliche Werte.
Ein interner Bericht spricht von einem «korruptionsanfälligen Umfeld» bei der ESTV. Ein Einzelfall?
Leider nicht. Seit Herbst 2010 wird auch gegen einen IT-Beschaffer beim Bundesamt für Umwelt ermittelt.
Was haben die mutmasslichen Täter zu erwarten?
Das kann heute niemand seriös einschätzen. Bei der EPFL Lausanne wurde ein Beschaffungschef 2006 zu einer unbedingten Gefängnisstrafe von zwei Jahren verurteilt. Dieser hatte sich immerhin 20 Jahre lang schmieren lassen.
Wie lange dauern diese Verfahren?
Im Fall der EPFL Lausanne wurde drei Jahre lang ermittelt – es gab elf Angeklagte. Ich erinnere mich aber noch gut an eine Untersuchung in den neunziger Jahren gegen den ehemaligen IT-Chef der ETH Zürich, die nach sechs Jahren eingestellt wurde.
Michael Alkalay ist Studienleiter des Masterlehrgangs Economic Crime Investigation an der Hochschule Luzern. Im Auftrag von multinationalen Konzernen hat er grosse Bestechungsfälle untersucht.