Wenn man Arbeitgeber befragt, was die vordringlichen Bedürfnisse ihrer Mitarbeiter seien, so werden – in dieser Reihenfolge – «gute Entlöhnung», «Sicherheit des Arbeitsplatzes» und «berufliche Entwicklungsmöglichkeiten» genannt. Stellt man die gleiche Frage an die Arbeitnehmer selber, so ergibt sich folgende Prioritätenliste: «interessante Arbeit», «Feedback für gute Arbeit» und «gute Informationen über das Firmengeschehen».

Die Favoriten der Arbeitgeber rangieren bei den Arbeitnehmern auf den Rängen fünf, vier und sechs; die Favoriten der Arbeitnehmer belegen bei den Arbeitgebern die Ränge fünf, acht und zehn. Die übrigen zur Auswahl angebotenen Mitarbeiterbedürfnisse (funktionierender Arbeitsplatz, Vertrauensklima, gute Führung und Unterstützung bei persönlichen Problemen) werden ähnlich, aber mit weniger hoher Priorität eingestuft.

Die Arbeitgeber glauben also, dass ihre Mitarbeiter in erster Linie Geld, Sicherheit und Karriere wünschen. Tatsächlich erwarten die Mitarbeiter aber gescheite Arbeit, Lob und Überblick über die ganze Firma. Dies sind die Ergebnisse einer Studie von Kenneth Kovach von der George Mason University in Virginia; sie betreffen die Bedürfnisse amerikanischer Arbeitnehmer. Dass Schweizer Arbeitnehmer ähnlich funktionieren, offenbart die Universum-Studie über die Berufswünsche von Hochschulabsolventen «Wo Studenten am liebsten Fuss fassen»: Danach spielen der Arbeitsinhalt und das Gleichgewicht zwischen Arbeit und Privatleben eine grössere Rolle als das Salär.

Offenbar denken die Arbeitnehmer unternehmerischer, als die Arbeitgeber das für möglich halten. «Interessante Arbeit» zu leisten, bedeutet, motivierter und ertragreicher zu arbeiten. «Feedback für gute Arbeit» bedeutet, dass die Arbeitnehmer die Beurteilung durch die Chefs wünschen. Und der Wunsch nach «guter Information über das Gesamtunternehmen» zeigt, dass die Arbeitnehmer sich mit dem Unternehmen identifizieren.

Umgekehrt offenbart die Einschätzung der Mitarbeiter durch ihre Arbeitgeber nicht nur eine verblüffende Unkenntnis, sondern auch ein recht verschrobenes Menschenbild. Wie kommt es, dass die Arbeitgeber ihren Mitarbeitern eine überaus materialistische Grundhaltung unterstellen, während diese selber eher die «weichen» Eigenschaften ihres Arbeitsplatzes in den Vordergrund rücken? Könnte es gar sein, dass die eine Seite von sich selber auf die andere schliesst?

Dabei könnte es sich für Arbeitgeber lohnen, die Bedürfnisse ihrer Mitarbeiter zum Nennwert zu nehmen. Selbst die Lohngespräche in diesem Herbst könnten dann friedlicher verlaufen. Ginge es nach der Einschätzung der Arbeitgeber (Lohn, Sicherheit, Karriere), dann wäre anhaltender Zoff angesagt. Denn die wirtschaftliche Lage vieler Unternehmen lässt wenig Spielraum für Leistungen, die etwas kosten. Da trifft es sich doch gut, dass die vordringlichsten Wünsche der Arbeitnehmer just solche sind, die nichts kosten – jedenfalls kein Geld. Den Mitarbeitern eine interessante Arbeit zuzuweisen, erfordert Gespräche und Fantasie und liegt im wohlverstandenen Interesse der Arbeitgeber. Einen Mitarbeiter gelegentlich zu loben, kostet ausser Selbstüberwindung gar nichts und kann auch für den Lobenden befriedigend sein. Seine Mitarbeiter über den Gang der Geschäfte zu informieren, ist ebenfalls gratis und wäre ohnehin selbstverständlich.
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