Im Internet geht es zu wie auf einem Jahrmarkt. Eine grosse und wachsende Zahl von Unternehmen kämpft vehement um die Gunst potenzieller Kunden. Doch von denen will bisher nur eine verschwindend kleine Minderheit nach den Angeboten greifen. Die meisten potenziellen Kunden sind hingegen noch immer nicht so recht mit der E-Shopping-Materie vertraut. Sie staunen im besten Falle nur, aber kaufen nichts.
Leider tun eine Menge E-Commerce-Unternehmen nur wenig, um dies wirklich zu ändern. Gelegentlich scheint es, als handelten sie einzig nach der Devise «Im E-Commerce ist der Schnellere, der Lautere und der Frechere auch der Erfolgreiche».
Wie die neueste Studie von Grey Strategic Planning zum Thema «Führung von Internetmarken» zeigt, verstossen viele dieser E-Commerce-Unternehmen gegen die grundlegenden Regeln des Offline-Markenaufbaus. Und so ist es kein Wunder, wenn viele der neu gestarteten Sites bald nach ihrem hoffnungsvollen Start wieder aus der virtuellen Welt verschwinden.
Internet-User verhalten sich wie Touristen
Im Rahmen einer qualitativ-tiefenpsychologischen Wirkungsanalyse ermittelte Grey erstmals, wie sich Konsumenten im Bezug auf Internetmarken verhalten. Die Analyse zeigt, dass es im Verhalten der Internetnutzer durchaus Analogien zu Touristen gibt. Einige begeben sich auf weite Reisen, um etwa neue Kulturen und fremde Menschen kennen zu lernen. Andere hingegen bleiben möglichst in ihrer gewohnten Umgebung oder reisen nur vollkommen organisiert in die Ferne. Vier verschiedene Typen von Internet-Usern gibt es demnach:
Wer eine neue Marke im E-Commerce etablieren will, sollte sicher zuerst bei den «Weltbürgern» und «Globetrottern» beginnen. Denn ihre Aufmerksamkeit ist am leichtesten zu gewinnen. Da sie in der Regel aufgeschlossener als andere Zielgruppen sind, lassen sie sich häufig auch relativ einfach – beispielsweise über positive Kauferlebnisse – emotional binden.
Die beiden anderen Zielgruppen – die «Wohnwagentouristen» und die «Clubtouristen» – sind jedoch wichtiger, denn sie machen rund 80 Prozent der Internetanwender und damit der potenziellen Kunden aus. Sie sind jedoch misstrauisch und deshalb schwieriger zu gewinnen. Mit Botschaften zur Aufmerksamkeitserzeugung alleine ist bei ihnen kein Blumentopf zu gewinnen. Erfolg hat bei den «Wohnwagen-» und «Clubtouristen» nur, wer die AIDA-Formel (Attention, Interest, Desire, Action) systematisch und vollständig umsetzt und seiner Marke Emotionalität verleiht. Emotionalität ist das Treibmittel zur Schaffung von Wünschen (Desire). Und diese erst erzeugen die Action.
Zwischenfazit: Marketing im E-Commerce ist nicht etwas total Neues. Es orientiert sich vielmehr an bereits Bestehendem, an unverändert Gültigem. Will heissen: Marketing im E-Commerce lehnt sich eng an das Offline-Marketing an. Es orientiert sich an existenten Kunden, an deren Verhaltensmustern, an bestehenden Markenbildungsregeln und am existierenden Markt der «alten» Marken. Jedoch: Die emotionale Besetzung der Marke muss das Online-Marketing noch konsequenter systematisch, stringent und vollständig realisieren als das Offline-Marketing. Denn Marken im E-Commerce geniessen in der Regel im Vergleich zu konventionellen Marken auf Grund neuer technischer (Einkauf per Internet ist vielen fremd), logistischer (Distribution) und prozesstechnischer Herausforderungen (Bestell-, Abwicklungs-, Abrechnungsprozesse usw.) bisher weniger Vertrauen als die etablierten Offline-Marken.
Hinweise für den Markenaufbau von reinen Internetfirmen
Beim Aufbau einer mit positiven Emotionen behafteten Marke ist wie erwähnt kompromisslose Systematik, Stringenz und Vollständigkeit (AIDA) vonnöten. Diese drei Faktoren stellen jedoch keine Regeln dar, sondern dienen vor allem der Selbstdisziplinierung.
Hilfreich in diesem Prozess ist sicher auch ein hohes Mass an Ausdauer und eine hohe Toleranz gegenüber Rückschlägen. Dies liegt vor allem in der herrschenden Instabilität des Online-Marktes begründet.
Wer darüber hinaus folgende Hinweise beherzigt, hat gute Chancen, nicht nur die Hirne, sondern auch die Herzen seiner potenziellen Kunden zu gewinnen:
Hinweis 1: «Verstehe deine Zielgruppe und betrachte sie in der realen Welt.» Dieser Leitsatz hat uneingeschränkte Gültigkeit. Denn alle (potenziellen) Kunden befinden sich im normalen Alltag, nicht in irgendwelchen virtuelle Welten. Vor dem Computer sitzen Menschen mit gewöhnlichen oder ungewöhnlichen Bedürfnissen und Sättigungsempfinden, mit Freuden und Nöten. Ob ein Unternehmen eine Online-Marke oder eine Offline-Marke aufbaut: Es kann die potenziellen Kunden nur dann gewinnen, wenn es ein grundsätzliches Verständnis für die Bedürfnisse, Wünsche, für Lebenseinstellungen und Lebensstile der Zielgruppe hat und dieses Verständnis mit adäquaten Lösungen, Dienstleistungen oder Produkten belegt.
Hinweis 2: «Profiliere deine Marke, indem du dich fragst: Was macht meine Marke einzigartig?» Das Branding, also der Markenaufbau, erfolgt zum einen über verbale (Name, erklärender Claim usw.) und visuelle (Logo, Signet usw.) so genannte Brand-Value-Signals. Ein zweites Branding-Element ist die Definition des Anwendernutzens (welche einzigartigen Vorteile bietet das E-Commerce-Angebot gegenüber dem Offline- und Online-Wettbewerb?). Wirklich wunschauslösend ist meist erst die emotionale Differenzierung. Denn Gefühle sind langlebig und mehr oder minder unverwechselbar. Deshalb stellt die emotionale Differenzierung in der Markenbildung gewissermassen den Erfolgsfaktor schlechthin dar. Die Brand-Value-Signals mögen unzureichend und der Anwendernutzen im Vergleich zur Konkurrenz unterdurchschnittlich sein: Wer längerfristig vor allem die emotionale Differenzierung beherrscht und in den anderen Disziplinen (Signals und Nutzen) gleichzeitig unterdurchschnittlich abschneidet, kann dennoch über intakte Marktchancen verfügen.
Hinweis 3: «Schaffe Vertrauen, beweise Potenz durch Werbung in der realen Welt.» Erneut wird deutlich, dass die konventionelle Welt, also die klassischen Märkte, wichtige Bezugsgrössen für die neue Wirtschaft sind. Wer sich der klassischen Werbeinstrumente und -methoden bedient, beweist finanzielle Stärke (Vertrauensfaktor: Glaubwürdigkeit) und erbringt quasi über die gängigen Medien den Beweis, dass seine Internetseite für eine real existierende Firma (=Seriosität) steht.
Hinweis 4: «Gehe Kooperationen und Cross-Marketing mit grossen, anerkannten Marken ein.» Es geht also darum, Brücken zur analogen Welt zu schlagen, zum Beispiel durch Präsenz in der realen Welt oder durch Vermenschlichung.
Hinweis 5: «Vermeide Effekthascherei.» Nackte Hintern oder explodierende Kaffeemaschinen schaffen zwar Aufmerksamkeit, geben aber keinen Hinweis auf ein Nutzenversprechen und tragen schon gar nichts zur langfristigen Emotionalisierung und Differenzierung einer Marke bei.
Hinweis 6: «Fokussiere deine Kommunikation.» Internetwerbung muss fokussiert und einfach sein. Nur dann funktioniert sie auch im Sinne des springenden Funkens. Sinnvoll sind wenige Botschaften, welche den Namen und die Markenhaltung einprägsam machen.
Hinweis 7: «Achte auf die Online-Offline-Kongruenz deiner Marke.» Online- und Offline-Auftritt müssen die gleiche Markenpersönlichkeit und die gleichen Werte ausstrahlen.
Hinweis 8: «Achte auf eine internet- und imagekompatible Nutzungsdramaturgie.» Das Internet ermöglicht die personifizierte Kundenansprache: One-to-one-Marketing ist möglich – aber nur mit Einverständnis des Anwenders. Interaktivität ist attraktiv – aber nur unter der Prämisse, dass der (potenzielle) Kunde tatsächlich einen Mehrwert erhält. Und einmal registrierte, loyale Kunden müssen gepflegt werden – aber nur mit echten, nicht mit vermeintlichen Nutzen.
Transformation von bestehenden Marken in den E-Commerce
Wie erwähnt: Offline-Marken geniessen bei (potenziellen) Kunden mitunter mehr Vertrauen als Online-Marken. Sie verkörpern häufig quasi sichere Werte.
Ein im Offline-Markt bereits erfolgreiches Unternehmen, das sich mit dem Gedanken trägt, das neue Geschäftsfeld E-Commerce zu erschliessen, muss zunächst einen strategischen Entscheid fällen: Soll für den E-Commerce eine neue Marke etabliert werden, oder soll die bereits erfolgreiche Marke in die Welt des E-Commerce übertragen werden?
Vorab dazu: Regeln zur Lösung dieser Frage gibt es nicht, aber Entscheidungshilfen im Sinne von Leitplanken:
Für die Markenneubildung spricht, wenn im Internet eine andere Zielgruppe als bisher anvisiert werden soll, welche nicht mit dem etablierten Image der Marke in der Offline-Welt kompatibel ist. In diesem Fall gelten für das Branding die oben genannten Hinweise der reinen Online-Marken.
Eine zweite wichtige Frage ist: Soll das bereits etablierte Unternehmen als Urheber und damit als Vertrauensfaktor erkennbar die neue Online-Marke repräsentieren oder nicht? Es gibt gleichermassen gute Gründe für ein Ja und für ein Nein. Letztlich kommt die Diskussion darüber einer Gratwanderung gleich.
Einerseits: Die Nutzung der etablierten Marke verschafft einem Anbieter einen Vertrauensvorschuss beim Internetpublikum. Das bringt neue Kunden.
Andererseits: Das Internet und seine Anwendungsmöglichkeiten sind labil. Kommt es zur Krise – etwa durch einen Skandal im Zahlungsverkehr –, droht die etablierte Marke massiven Schaden zu nehmen. Das verschreckt bestehende Kunden. Letztlich ist deshalb im Einzelfall zu entscheiden.
Ohnedies ist die Entwicklung neuer Internetmarken durch etablierte Unternehmen eher die Ausnahme. Meist übertragen gestandene Unternehmen ihre Marken aus der realen Welt in die Internetwelt, um eben vom erwähnten Vertrauensbonus zu profitieren. Hier einige Hinweise für die Transformation bestehender Marken in den E-Commerce:
Hinweis 1: «Nutze den grossen Präferenzvorteil deiner schon etablierten Marke.» Das in der realen Welt geschaffene Vertrauen ist die beste Voraussetzung, um auch im E-Commerce das Vertrauen der (potenziellen) Kunden zu gewinnen.
Hinweis 2: «Übertrage eins zu eins deine aufgebaute Markenwelt und Markenpersönlichkeit in den E-Commerce.» Wer im Internet dasselbe Gesicht zeigt, beweist Selbstvertrauen. Und dies ist wiederum wichtig für die Schaffung von Vertrauenswachstum im Offline- wie im Online-Markt.
Hinweis 3: «Nutze deinen Internetauftritt als wirklich neue Chance zur Kundenansprache und Kundenbindung.» Der Internetauftritt sollte einen internetspezifischen Service anbieten. Ein Kunde, der die Marke im Internet aufsucht, soll dafür mit einem sinnvollen Mehrwert belohnt werden.
Fazit: Auch wenn heute Begriffen wie beispielsweise «Marketing», «Market» oder «Wirtschaft» häufig das Attribut «New» vorangestellt wird, bleiben notabene funktionierende Regeln und Mechanismen der Old Economy weiterhin in Kraft. Wer im E-Commerce Geld verdienen will, sollte das Rad nicht neu erfinden, sondern die alten Regeln und Mechanismen beherzigen und in das neuartige Geschäftsfeld transformieren.
Die Studie
Dieser Artikel bezieht sich auf die Studie «dot com jungle: brand or die». Die empirische Studie wurde im Sommer 2000 durch ein Team um Richard Tejeda-Schmitz von Grey Strategic Planning in Düsseldorf durchgeführt.
Leider tun eine Menge E-Commerce-Unternehmen nur wenig, um dies wirklich zu ändern. Gelegentlich scheint es, als handelten sie einzig nach der Devise «Im E-Commerce ist der Schnellere, der Lautere und der Frechere auch der Erfolgreiche».
Wie die neueste Studie von Grey Strategic Planning zum Thema «Führung von Internetmarken» zeigt, verstossen viele dieser E-Commerce-Unternehmen gegen die grundlegenden Regeln des Offline-Markenaufbaus. Und so ist es kein Wunder, wenn viele der neu gestarteten Sites bald nach ihrem hoffnungsvollen Start wieder aus der virtuellen Welt verschwinden.
Internet-User verhalten sich wie Touristen
Im Rahmen einer qualitativ-tiefenpsychologischen Wirkungsanalyse ermittelte Grey erstmals, wie sich Konsumenten im Bezug auf Internetmarken verhalten. Die Analyse zeigt, dass es im Verhalten der Internetnutzer durchaus Analogien zu Touristen gibt. Einige begeben sich auf weite Reisen, um etwa neue Kulturen und fremde Menschen kennen zu lernen. Andere hingegen bleiben möglichst in ihrer gewohnten Umgebung oder reisen nur vollkommen organisiert in die Ferne. Vier verschiedene Typen von Internet-Usern gibt es demnach:
- Der «Weltbürger-Typ» gilt als sehr aufgeschlossen und nimmt gegenüber dem Internet eine aufgeklärte Haltung ein. Er fungiert als Trendsetter.
- Der ebenfalls selbst bestimmte, jedoch erlebnisorientierte «Globetrotter» ist sehr sprunghaft und besitzt kaum Loyalität zu Marken im Internet. Er fungiert aber als Opinionleader und kann sich mit der Zeit zum «Weltbürger» entwickeln.
- Der fremdgeführte «Wohnwagentourist» übernimmt die Loyalität aus der realen Welt. Er steht virtuellen Marken misstrauisch gegenüber, kann aber über Empfehlungen zu ihnen geführt werden.
- Der «Clubtourist» schliesslich ist gegenüber dem Internet unsicher. Er benötigt die Hilfe eines Portals. Mit der Zeit unternimmt er aber selbstständig Ausflüge und besitzt das Potenzial, um sich zum Globetrotter oder Weltbürger zu entwickeln.
Wer eine neue Marke im E-Commerce etablieren will, sollte sicher zuerst bei den «Weltbürgern» und «Globetrottern» beginnen. Denn ihre Aufmerksamkeit ist am leichtesten zu gewinnen. Da sie in der Regel aufgeschlossener als andere Zielgruppen sind, lassen sie sich häufig auch relativ einfach – beispielsweise über positive Kauferlebnisse – emotional binden.
Die beiden anderen Zielgruppen – die «Wohnwagentouristen» und die «Clubtouristen» – sind jedoch wichtiger, denn sie machen rund 80 Prozent der Internetanwender und damit der potenziellen Kunden aus. Sie sind jedoch misstrauisch und deshalb schwieriger zu gewinnen. Mit Botschaften zur Aufmerksamkeitserzeugung alleine ist bei ihnen kein Blumentopf zu gewinnen. Erfolg hat bei den «Wohnwagen-» und «Clubtouristen» nur, wer die AIDA-Formel (Attention, Interest, Desire, Action) systematisch und vollständig umsetzt und seiner Marke Emotionalität verleiht. Emotionalität ist das Treibmittel zur Schaffung von Wünschen (Desire). Und diese erst erzeugen die Action.
Zwischenfazit: Marketing im E-Commerce ist nicht etwas total Neues. Es orientiert sich vielmehr an bereits Bestehendem, an unverändert Gültigem. Will heissen: Marketing im E-Commerce lehnt sich eng an das Offline-Marketing an. Es orientiert sich an existenten Kunden, an deren Verhaltensmustern, an bestehenden Markenbildungsregeln und am existierenden Markt der «alten» Marken. Jedoch: Die emotionale Besetzung der Marke muss das Online-Marketing noch konsequenter systematisch, stringent und vollständig realisieren als das Offline-Marketing. Denn Marken im E-Commerce geniessen in der Regel im Vergleich zu konventionellen Marken auf Grund neuer technischer (Einkauf per Internet ist vielen fremd), logistischer (Distribution) und prozesstechnischer Herausforderungen (Bestell-, Abwicklungs-, Abrechnungsprozesse usw.) bisher weniger Vertrauen als die etablierten Offline-Marken.
Hinweise für den Markenaufbau von reinen Internetfirmen
Beim Aufbau einer mit positiven Emotionen behafteten Marke ist wie erwähnt kompromisslose Systematik, Stringenz und Vollständigkeit (AIDA) vonnöten. Diese drei Faktoren stellen jedoch keine Regeln dar, sondern dienen vor allem der Selbstdisziplinierung.
Hilfreich in diesem Prozess ist sicher auch ein hohes Mass an Ausdauer und eine hohe Toleranz gegenüber Rückschlägen. Dies liegt vor allem in der herrschenden Instabilität des Online-Marktes begründet.
Wer darüber hinaus folgende Hinweise beherzigt, hat gute Chancen, nicht nur die Hirne, sondern auch die Herzen seiner potenziellen Kunden zu gewinnen:
Hinweis 1: «Verstehe deine Zielgruppe und betrachte sie in der realen Welt.» Dieser Leitsatz hat uneingeschränkte Gültigkeit. Denn alle (potenziellen) Kunden befinden sich im normalen Alltag, nicht in irgendwelchen virtuelle Welten. Vor dem Computer sitzen Menschen mit gewöhnlichen oder ungewöhnlichen Bedürfnissen und Sättigungsempfinden, mit Freuden und Nöten. Ob ein Unternehmen eine Online-Marke oder eine Offline-Marke aufbaut: Es kann die potenziellen Kunden nur dann gewinnen, wenn es ein grundsätzliches Verständnis für die Bedürfnisse, Wünsche, für Lebenseinstellungen und Lebensstile der Zielgruppe hat und dieses Verständnis mit adäquaten Lösungen, Dienstleistungen oder Produkten belegt.
Hinweis 2: «Profiliere deine Marke, indem du dich fragst: Was macht meine Marke einzigartig?» Das Branding, also der Markenaufbau, erfolgt zum einen über verbale (Name, erklärender Claim usw.) und visuelle (Logo, Signet usw.) so genannte Brand-Value-Signals. Ein zweites Branding-Element ist die Definition des Anwendernutzens (welche einzigartigen Vorteile bietet das E-Commerce-Angebot gegenüber dem Offline- und Online-Wettbewerb?). Wirklich wunschauslösend ist meist erst die emotionale Differenzierung. Denn Gefühle sind langlebig und mehr oder minder unverwechselbar. Deshalb stellt die emotionale Differenzierung in der Markenbildung gewissermassen den Erfolgsfaktor schlechthin dar. Die Brand-Value-Signals mögen unzureichend und der Anwendernutzen im Vergleich zur Konkurrenz unterdurchschnittlich sein: Wer längerfristig vor allem die emotionale Differenzierung beherrscht und in den anderen Disziplinen (Signals und Nutzen) gleichzeitig unterdurchschnittlich abschneidet, kann dennoch über intakte Marktchancen verfügen.
Hinweis 3: «Schaffe Vertrauen, beweise Potenz durch Werbung in der realen Welt.» Erneut wird deutlich, dass die konventionelle Welt, also die klassischen Märkte, wichtige Bezugsgrössen für die neue Wirtschaft sind. Wer sich der klassischen Werbeinstrumente und -methoden bedient, beweist finanzielle Stärke (Vertrauensfaktor: Glaubwürdigkeit) und erbringt quasi über die gängigen Medien den Beweis, dass seine Internetseite für eine real existierende Firma (=Seriosität) steht.
Hinweis 4: «Gehe Kooperationen und Cross-Marketing mit grossen, anerkannten Marken ein.» Es geht also darum, Brücken zur analogen Welt zu schlagen, zum Beispiel durch Präsenz in der realen Welt oder durch Vermenschlichung.
Hinweis 5: «Vermeide Effekthascherei.» Nackte Hintern oder explodierende Kaffeemaschinen schaffen zwar Aufmerksamkeit, geben aber keinen Hinweis auf ein Nutzenversprechen und tragen schon gar nichts zur langfristigen Emotionalisierung und Differenzierung einer Marke bei.
Hinweis 6: «Fokussiere deine Kommunikation.» Internetwerbung muss fokussiert und einfach sein. Nur dann funktioniert sie auch im Sinne des springenden Funkens. Sinnvoll sind wenige Botschaften, welche den Namen und die Markenhaltung einprägsam machen.
Hinweis 7: «Achte auf die Online-Offline-Kongruenz deiner Marke.» Online- und Offline-Auftritt müssen die gleiche Markenpersönlichkeit und die gleichen Werte ausstrahlen.
Hinweis 8: «Achte auf eine internet- und imagekompatible Nutzungsdramaturgie.» Das Internet ermöglicht die personifizierte Kundenansprache: One-to-one-Marketing ist möglich – aber nur mit Einverständnis des Anwenders. Interaktivität ist attraktiv – aber nur unter der Prämisse, dass der (potenzielle) Kunde tatsächlich einen Mehrwert erhält. Und einmal registrierte, loyale Kunden müssen gepflegt werden – aber nur mit echten, nicht mit vermeintlichen Nutzen.
Transformation von bestehenden Marken in den E-Commerce
Wie erwähnt: Offline-Marken geniessen bei (potenziellen) Kunden mitunter mehr Vertrauen als Online-Marken. Sie verkörpern häufig quasi sichere Werte.
Ein im Offline-Markt bereits erfolgreiches Unternehmen, das sich mit dem Gedanken trägt, das neue Geschäftsfeld E-Commerce zu erschliessen, muss zunächst einen strategischen Entscheid fällen: Soll für den E-Commerce eine neue Marke etabliert werden, oder soll die bereits erfolgreiche Marke in die Welt des E-Commerce übertragen werden?
Vorab dazu: Regeln zur Lösung dieser Frage gibt es nicht, aber Entscheidungshilfen im Sinne von Leitplanken:
Für die Markenneubildung spricht, wenn im Internet eine andere Zielgruppe als bisher anvisiert werden soll, welche nicht mit dem etablierten Image der Marke in der Offline-Welt kompatibel ist. In diesem Fall gelten für das Branding die oben genannten Hinweise der reinen Online-Marken.
Eine zweite wichtige Frage ist: Soll das bereits etablierte Unternehmen als Urheber und damit als Vertrauensfaktor erkennbar die neue Online-Marke repräsentieren oder nicht? Es gibt gleichermassen gute Gründe für ein Ja und für ein Nein. Letztlich kommt die Diskussion darüber einer Gratwanderung gleich.
Einerseits: Die Nutzung der etablierten Marke verschafft einem Anbieter einen Vertrauensvorschuss beim Internetpublikum. Das bringt neue Kunden.
Andererseits: Das Internet und seine Anwendungsmöglichkeiten sind labil. Kommt es zur Krise – etwa durch einen Skandal im Zahlungsverkehr –, droht die etablierte Marke massiven Schaden zu nehmen. Das verschreckt bestehende Kunden. Letztlich ist deshalb im Einzelfall zu entscheiden.
Ohnedies ist die Entwicklung neuer Internetmarken durch etablierte Unternehmen eher die Ausnahme. Meist übertragen gestandene Unternehmen ihre Marken aus der realen Welt in die Internetwelt, um eben vom erwähnten Vertrauensbonus zu profitieren. Hier einige Hinweise für die Transformation bestehender Marken in den E-Commerce:
Hinweis 1: «Nutze den grossen Präferenzvorteil deiner schon etablierten Marke.» Das in der realen Welt geschaffene Vertrauen ist die beste Voraussetzung, um auch im E-Commerce das Vertrauen der (potenziellen) Kunden zu gewinnen.
Hinweis 2: «Übertrage eins zu eins deine aufgebaute Markenwelt und Markenpersönlichkeit in den E-Commerce.» Wer im Internet dasselbe Gesicht zeigt, beweist Selbstvertrauen. Und dies ist wiederum wichtig für die Schaffung von Vertrauenswachstum im Offline- wie im Online-Markt.
Hinweis 3: «Nutze deinen Internetauftritt als wirklich neue Chance zur Kundenansprache und Kundenbindung.» Der Internetauftritt sollte einen internetspezifischen Service anbieten. Ein Kunde, der die Marke im Internet aufsucht, soll dafür mit einem sinnvollen Mehrwert belohnt werden.
Fazit: Auch wenn heute Begriffen wie beispielsweise «Marketing», «Market» oder «Wirtschaft» häufig das Attribut «New» vorangestellt wird, bleiben notabene funktionierende Regeln und Mechanismen der Old Economy weiterhin in Kraft. Wer im E-Commerce Geld verdienen will, sollte das Rad nicht neu erfinden, sondern die alten Regeln und Mechanismen beherzigen und in das neuartige Geschäftsfeld transformieren.
Die Studie
Dieser Artikel bezieht sich auf die Studie «dot com jungle: brand or die». Die empirische Studie wurde im Sommer 2000 durch ein Team um Richard Tejeda-Schmitz von Grey Strategic Planning in Düsseldorf durchgeführt.
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