100 Jahre politisches Ringen, vier Abstimmungen, drei wuchtige Niederlagen: Die Einführung der Mutterschaftsversicherung war ein Kampf. Vor zehn Jahren ging er zu Ende. Massgeblich dazu beigetragen hat ein Mann, von dem es viele nicht erwartet hätten: Pierre Triponez.

Der damalige Gewerbeverbandspräsident und freisinnige Nationalrat hat jenen Vorschlag eingebracht, der noch heute gilt: 14 Wochen Mutterschaftsurlaub bei 80 Prozent des Einkommens - finanziert über die Erwerbsersatzordnung. 600'000 Frauen haben seit der Einführung davon profitiert. Heute ist die Mutterschaftsversicherung unumstritten. Das war lange anders.

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Erste Petition im Jahr 1904

Zwar reichte der Bund Schweizerischer Frauenvereine bereits 1904 die erste Petition für eine Mutterschaftsversicherung ein. 1945 wurde in der Bundesverfassung der Auftrag zur Einführung eines Mutterschaftsurlaubs verankert. Doch tatsächlich in Kraft trat dieser erst am 1. Juli 2005. Davor wurde das Anliegen mehrfach abgeschmettert.

1984, 1987, 1999: Immer wieder stimmten die Schweizerinnen und Schweizer über eine Mutterschaftsversicherung ab. Und immer wieder sagten sie Nein. Das Modell des männlichen Ernährers sei für die Schweizerische Familienpolitik bis in die 90er-Jahre prägend gewesen, schreiben die Professoren Silja Häusermann und Daniel Kübler von der Universität Zürich in diesem Zusammenhang.

«Viele haben das nicht erwartet»

«Die Vorschläge, die bis dahin kamen, waren zu teuer und nicht mehrheitsfähig», sagt Pierre Triponez der Nachrichtenagentur sda. Daher habe er einen eigenen, «pragmatischen» Vorstoss ausgearbeitet. Das dürfte einige überrascht haben: «Viele haben von mir einen solchen Vorschlag nicht erwartet», sagt Triponez: «Ich war nie Befürworter eines überrissenen Sozialausbaus.»

Vielleicht durchbrach der Vorschlag auch deshalb die Fronten: Die Zürcher SP-Nationalrätin Jacqueline Fehr engagierte sich für den Vorstoss. «Wir holten die damalige SVP-Nationalrätin Ursula Haller und die frühere CVP-Nationalrätin Thérèse Meyer ins Boot», sagt Fehr der sda. Diese sorgten in ihren Parteien für Unterstützung.

Das Gesetz kam durch. Die SVP ergriff zwar das Referendum. Doch am 26. September 2004 sagten die Schweizerinnen und Schweizer in der Referendumsabstimmung mit 55 Prozent Ja zu der Mutterschaftsversicherung. Das Kind war geboren.

«Das absolute Minimum»

Dessen Vater Triponez ist noch heute zufrieden damit: «Die damals eingeführte Variante ist auch heute noch eine gute Lösung», sagt er. Da gibt es andere Meinungen: 14 Wochen seien das absolute Minimum, sagt Valérie Borioli Sandoz, Leiterin Gleichstellungspolitik beim Arbeitnehmerverband Travail.Suisse.

In einer Umfrage des Bundesamtes für Sozialversicherungen aus dem Jahr 2012 gaben 60 Prozent der befragten Frauen an, länger als 14 Wochen der Arbeit ferngeblieben zu sein. Die Hälfte von ihnen nahm unbezahlte Ferien. «Nur die Angestellten mit mittlerem oder höherem Einkommen können sich das leisten», sagt Borioli Sandoz.

Der Schweizerische Gewerkschaftsbund kritisiert zudem die Höhe der Unterstützung. 80 Prozent des Lohnes sei für Frauen mit tiefen Löhnen klar zu wenig.

Kommt nun der Vaterschaftsurlaub?

Längst geht es jedoch nicht mehr nur um die Frauen: Auch Männer sollen einen Vaterschaftsurlaub erhalten, fordert etwa Travail.Suisse. Die Väter möchten bei der Geburt dabei sein, begründet der Arbeitnehmerverband die Forderung.

«Heute hat ein frischgebackener Vater gesetzlich lediglich Anspruch auf einen freien Tag - wie bei einem Umzug», sagt Borioli Sandoz. Viele nähmen deshalb Ferien. Manche häuften Überstunden an, um einige Tage frei nehmen zu können.

Thema ist auch in Bundesbern angekommen

Auch in Bundesbern ist das Thema angekommen: Voraussichtlich am 1. September wird die zuständige Ständeratskommission über eine parlamentarische Initiative des Bündner CVP-Nationalrates Martin Candinas beraten, die einen zweiwöchigen Vaterschaftsurlaub verlangt.

Auf längere Sicht fordert Travail.Suisse einen Elternurlaub, den Mütter und Väter unter sich aufteilen können. Dadurch könne die mit der Mutterschaft verbundene Diskriminierung der Frauen, die es in der Arbeitswelt immer noch gebe, am besten bekämpft werden, findet der Arbeitnehmerverband. Auch Fehr sieht den Elternurlaub als nächsten Schritt.

Triponez hätte daran keine Freude: «Ich bin ein grosser Gegner eines gesetzlich geregelten Vaterschaftsurlaubs», sagt er. Das sei etwas völlig anderes als der Mutterschaftsurlaub: «Mir ging es um eine Erwerbsersatzlösung», sagt er. Wenn man aus gesundheitlichen Gründen nicht arbeiten könne, solle man einen Schutz haben: «Wenn ein Mann Vater wird, ist dies nicht der Fall. Ein zwingender Vaterschaftsurlaub wäre eine Luxuslösung.»

(sda/ccr)