Es ist Ferienzeit, und an den Schweizer Flughäfen herrscht Hochbetrieb. Wenn es zu einer Störung im Flugbetrieb kommt, sind die Probleme programmiert. Und doch wollten Genfer Fluglotsen n den Streik treten. Am Montag, 23. Juli, wollten sie um sechs Uhr erstmals während vier Stunden die Arbeit stoppen. Am Tag darauf war ein achtstündiger Streik geplant, für den Mittwoch stellen sie einen ganztägigen Ausstand in Aussicht.
Jetzt sind die Pläne vorerst revidiert: Der Streik am 23. Juli ist abgesagt. Arbeitgeber Skyguide hat die Schlichtungsstelle in Genf angerufen. Während der Schlichtungsphase darf weder gestreikt noch kommuniziert werden. Die Gespräche sind für kommenden Dienstag angesetzt.
Hätte der Streik stattgefunden, hätte er Folgen gehabt. Hunderte von Passagieren hätten sich auf Verspätungen und Ausfälle gefasst machen müssen: Schätzungsweise 50 Flüge und 3500 Flugbewegungen über der Schweiz hätten pro Tag vom Streik betroffen sein können – die Fluglotsen überwachen unter anderem die Airports Genf, Sitten, Bern-Belp, Grenchen und Emmen.
Neuer GAV stösst auf Widerstand
Mit dem Streik wollte die Gewerkschaft Skycontrol gegen den neuen Gesamtarbeitsvertrag protestieren, den Arbeitgeber Skyguide mit Gerkschaften ausgehandelt hat: «Ein Schein-GAV» sei das Papier, sagte Skycontrol-Präsident Maximilien Turrettini der Zeitung Le Temps. Seine Organisation fordert unter anderem jährlich 125 Ruhetage und eine Lohnerhöhung über drei Jahre von jeweils 1,8 Prozent. Skyguide offeriert hingegen nur eine Erhöhung von 0,5 Prozent sowie einen Inflationsausgleich. Im Schnitt verdienten die Lotsen letztes Jahr 205'194 Franken.
Mit der Aktion präsentierte sich Skycontrol als Splittergruppe: Sie hat als einzige von vier Gewerkschaften den neuen GAV abgelehnt. Bei den Kollegen stösst ihre Aktion denn auch auf Unverständnis, etwa am Zürcher Flughafen. Stefan Lischka, Sprecher der Gewerkschaft Aerocontrol, sagte «Le Temps», dass er die Streikabsichten nicht verstehe. Aerocontrol halte den GAV für vorteilhaft. Nicht einmal alle Genfer Gewerkschaften stehen hinter dem Streikaufruf – APTC hat den neuen Vertrag anders als «Skycontrol» angenommen. Die Politik hatte sich eingeschaltet, der für den Flughafen zuständige Genfer Staatsrat Pierre Maudet bietet sich als Vermittler an.
Vorerst ist der Streik abgewendet, Skyguide-Chef Alex Bristol hatte eine harte Haltung angekündigt. Aus Sicht des Unternehmens war die geplante Arbeitsniederlegung «ungerechtfertigt und verantwortungslos», sagt er im Interview, das vor der Rücknahme des Streiks geführt wurde:
Die Gewerkschaft Skycontrol nennt den neuen GAV eine Farce. Sind Sie überrascht?
Alex Bristol: Eher enttäuscht. Es war schon seit einiger Zeit klar, dass die Gewerkschaft Skycontrol im Gegensatz zu allen anderen Gewerkschaften nicht zu Kompromissen mit der Unternehmensleitung bereit war.
Am Flughafen Genf ist die Zahl der Flüge explosionsartig gestiegen (+5,8 Prozent im Jahr 2017) und am Flughafen Sitten ist die Belegschaft unterbesetzt. Gibt es in der Westschweiz nicht ein spezifisches Problem, das eine Antwort erfordert?
Die Zunahme des Flugverkehrs ist nicht auf Genf beschränkt, sondern ist auch im Rest des Landes zu beobachten. Die aktuelle Situation ist die gleiche wie 2007, mit Technologien und Innovationen, die seitdem dazu gekommen sind und die Arbeit erleichtern. Im Jahr 2008 hatte die Krise den Verkehr deutlich reduziert. Wir haben erst jetzt den gleichen Punkt wie vor elf Jahren erreicht. Trotz des tieferen Verkehrsaufkommens hatte Skyguide übrigens die Löhne nicht gesenkt. In Sitten sind wir seit mehreren Jahren unterbesetzt, dass haben wir eingeräumt. Wir kämpfen darum, junge Leute anzuziehen, weil die Zukunft dieses Flughafens ungewiss ist.
Ich sehe niemanden, der sie unterstützt, weder die Öffentlichkeit, noch Passagiere, noch Politiker.
Skyguide erzielte im Jahr 2017 einen Umsatz von 470 Millionen Franken. Erlaubt dies keine Lohnerhöhungen?
Schätzungen zufolge werden wir das Jahr 2018 mit einem leichten Verlust abschliessen, sogar wenn wir die Gehaltssteigerungen ausklammern. Wir können also nicht grosszügiger sein. Wir sind bereit, die Mehreinnahmen zu teilen, solange dies nicht die Zukunft belastet. Wenn wir die Grundlöhne zu stark erhöhen, werden wir in Jahren, in denen die Geschäfte vielleicht nicht so gut laufen, mit Problemen konfrontiert sein. Wir haben eine Lösung gefunden, die für die Controller akzeptabel und zugleich auch für das Unternehmen nachhaltig ist.
Skycontrol hält die Ruhetage für schlecht verteilt. Sie sehen das anders?
Die Verteilung erfüllt immer noch die Anforderungen der unabhängigen Eurocontrol-Agentur in Brüssel. Die Fluglosten arbeiten heute bis zu 35 Stunden pro Woche. Vor drei Jahren, als der Verkehr noch geringer war, hatten sie nur 32 Stunden pro Woche gearbeitet – für das gleiche Gehalt, durchschnittlich 205'194 Franken pro Jahr. Deshalb haben gewisse Fluglotsen das Gefühl, die Belastung sei gestiegen.
Wie werden Sie auf diese Streikdrohung reagieren?
Skyguide bleibt standhaft. Alle anderen Gewerkschaften haben die Vereinbarung unterzeichnet, was beweist, dass unser Vorschlag richtig ist. Die Forderung einer Minderheit radikaler Gewerkschafter ist unrealistisch. Ich habe das Gefühl, dass diese Bewegung eher das Werk militanter Individuen ist, die Druck erzeugen und andere dazu zwingen, ihr zu folgen. Unterstützung erhalten wir von unseren Airline-Partnern Easyjet und Swiss sowie von Bundesrätin Doris Leuthard, die einen Brief an die Gewerkschaften geschrieben hat. Wir hoffen, dass die meisten der Controller, die derzeit aufgebracht sind, ihre Entscheidung überdenken mit Blick auf die Reaktionen der anderen Gewerkschaften. Ich sehe niemanden, der sie unterstützt, weder die Öffentlichkeit, noch Passagiere, noch Politiker.
Zählen Sie auf die Hilfe von Staatsrat Pierre Maudet?
Wir sind in Kontakt mit ihm, er ist immer auf dem Laufenden. Deshalb werden wir diesen Dialog fortsetzen.
Denken Sie über Sanktionen nach?
Es ist zu früh, um das zu sagen. Klar ist jedoch, dass wir auch eine Sozialpartnerschaft mit den Mitgliedern von Skycontrol aufbauen müssen, und ich sehe nicht, wie dies mit den derzeitigen Mitgliedern des Ausschusses erreicht werden kann.
(mbü, Interview von Laure Lugon, «Le Temps»)