Nach «Gewinn» ist «Wachstum» der am häufigsten verwendete Begriff in der Wirtschaft. So wichtig Wachstum heute auch ist: Solange man nicht zwischen gesundem und krankem Wachstum unterscheidet, ist es ein gefährlicher Begriff. Nicht ohne Grund ist deshalb die Vorstellung von nachhaltigem Wachstum aufgekommen. Was das genau ist und wie man es erkennt, ist weithin ungeklärt.

Die Zusammenbrüche im Finanzsystem haben bewiesen, dass viele Wachstumsstrategien der Boomzeiten lediglich zu krankem Wachstum führten. Selbst von Experten hochgelobte und mitgestaltete Wachstumsstrategien waren häufig direkte Wege in den Firmenuntergang. Was als Strategie ausgegeben wurde, war meistens nicht mehr als die lineare Extrapolation einer scheinbar erfolgreichen Vergangenheit, die in sich aber bereits das Programm des Scheiterns barg. Mit herkömmlichen Indikatoren war dieses aber nicht zu erkennen, noch viel weniger konnten herannahende Schwierigkeiten mit finanziellen Kennziffern aufgespürt werden, weil diese mit Strategie nur wenig zu tun haben, sondern eher mit einem Blick in den Rückspiegel zu vergleichen sind.

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Die hohe Schule der Strategieplanung kommt erst zum Tragen, wenn gesundes von krankem Wachstum zuverlässig unterschieden wird, denn Wachstum führt zwar zu Grösse, aber nicht notwendigerweise auch zu Stärke. Wer sich an der Grösse orientiert, erliegt zwangsläufig einer optischen Täuschung und kann zwischen Muskeln und Fett nicht unterscheiden.

Wachstum von Umsatz und Gewinn ist, wie die jüngste Vergangenheit gezeigt hat, relativ leicht zu haben, wenn an sich vielversprechende Manöver – zum Beispiel Akquisitionen und Fusionen, geografische Ausdehnung und Sortimentsexpansion – ohne strategische Fundierung erfolgen. Die Konsequenzen sind eine explodierende Komplexität und der Rückgang der Ertragskraft. Zwar steigen die absoluten Zahlen, was im herkömmlichen Denken als Erfolgsausweis gewertet wird. Die Relationen zwischen Grösse und Stärke hingegen können sich bei fortgesetztem Wachstum verschlechtern, was aber unbeachtet bleibt, wenn man die richtigen Indikatoren nicht kennt.

Der wichtigste Indikator für ein gesundes Wachstum ist die Gesamtproduktivität aller wesentlichen Ressourcen. Viele Firmen haben dafür kein genügendes Instrumentarium. Im Gegenteil: Produktivität wird oft entweder vernachlässigt oder falsch definiert und falsch gemessen. Die Methode der Total Factor Productivity ist einer der wenigen zuverlässigen Wegweiser zur Beurteilung von Wachstum.

Die Grundregeln sind klar und einfach: Solange mit wachsenden Umsätzen auch die Gesamtproduktivität steigt, wächst man gesund. Medizinisch gesprochen, ist das der Zuwachs von Muskelkraft und Stärke. Stagniert hingegen mit dem Umsatzwachstum die Gesamtproduktivität, dann ist das Unternehmen auf dem Weg zur Fettleibigkeit. Damit kann man zwar bis zu einem gewissen Grad leben, aber es ist ein ernstzunehmendes erstes Warnsignal. Wenn die Gesamtproduktivität hingegen bei wachsenden Umsätzen zurückgeht, dann leidet das Unternehmen an Krebs. In frühem Stadium entdeckt, lässt er sich kurieren. In der Medizin wie auch in der Wirtschaft allerdings nur bis zu einem gewissen Stadium. Auf dieser Basis kann ein zuverlässiges Productivity Tracking aufbauen, das zu gesundem Wachstum, zu kerngesunden Unternehmen und zu einer funktionierenden Wirtschaft führt.

Fredmund Malik, Management-Experte, ist Unternehmer, habilitierter Professor, Gründer und Chef von Malik Management sowie Autor mehrerer Fachbücher-Bestseller.