Ist die Krise in Kürze vorbei, wie offizielle Instanzen, viele Ökonomen und Medien meinen? Mehr als 90 Prozent der befragten Investoren sind derzeit optimistisch, eine Rekordzahl. Und die vom «Wall Street Journal» regelmässig konsultierten 45 Ökonomieprofessoren sind sogar ausnahmslos zuversichtlich und prognostizieren für 2010 ein vergleichsweise starkes Wirtschaftswachstum von rund drei Prozent – was sie allerdings auch drei Monate vor dem Ausbruch der Krise taten.
Oder tritt das Gegenteil ein, nämlich die Wiederholung eines scheinbar rätselhaften Musters im Verlauf von grossen Finanzkrisen? Auf den ersten Absturz der Aktienkurse folgte regelmässig ein fulminanter Aufschwung, aber dieser brachte nicht das Ende der Krise, wie man geglaubt hatte, sondern jeweils ihren eigentlichen Beginn.
Welches dieser beiden Szenarien tatsächlich eintrifft, wird sich bald entscheiden. Das zweite ist wahrscheinlich, wenn die im System wirkenden Steuerungsgesetzmässigkeiten nicht durch finanzökonomische und politische Massnahmen wesentlich verändert werden. Denn nicht Geld regiert die Welt, sondern die Kybernetik der Regelkreise im System, wie Ingenieure wissen. Ändert man diese, funktioniert oft schlagartig alles besser. Man erreicht das oft schneller oder überhaupt erst mit weniger Geld als mit mehr – eine Zauberlösung für verschuldete Staaten.
Finanzökonomische Massnahmen können zwar Soforthilfe und Zeitgewinn bringen, aber sie können keine nachhaltigen Lösungen bewirken, solange die bisherigen Strukturen und Systeme durch Geld eher zementiert als geändert werden. So konnten die mit Geld geretteten Banken zwar wieder bilanzieren, ihre frühere Funktionsweise haben sie bisher aber kaum geändert. Wohlgemeinte finanzielle Massnahmen bewirken so oft das Gegenteil der Absichten und verlängern die Krise oder tragen zur Programmierung des nächsten Absturzes bei.
Nicht nur Geld und niedrige Zinsen sind also für eine anhaltende Erholung nötig, sondern auch ein grundlegend anderes Funktionieren vieler Organisationen in der Wirtschaft und der meisten im Staat. Ihre Lenkungs- und Führungssysteme, die noch weitgehend auf überholten Denkweisen des vorigen Jahrhunderts beruhen, sind von der heutigen Systemkomplexität schlichtweg überfordert.
Daraus resultierende Fehlsteuerung, falsche Strategien, unwirksames Risikomanagement, starre Organisationsstrukturen sowie komplizierte und langsame Entscheidungsprozesse haben nicht nur zur Entstehung der Krise beigetragen, sondern verhindern heute auch ihre Lösung, wie beispielsweise das Scheitern von Finanzgipfeln beweist. Ebenso mangelt es vielen Organisationen an Umsetzungskraft, was unter anderem der Grund dafür ist, dass von den rund 1000 Milliarden Dollar der amerikanischen Regierung bisher kaum zehn Prozent in der realen Wirtschaft angekommen sind. Die Gelder verpuffen in umsetzungsschwachen Organisationen.
Das nötige Wissen für ein anderes Funktionieren von Organisationen kommt heute kaum noch aus Ökonomie und Business Administration, sondern vielmehr aus den Erkenntnissen der Bio- und Neurowissenschaften über das Funktionieren natürlicher Organismen. Die sachkundige Übertragung auf soziale Organisationen ermöglicht die Einführung von Managementsystemen, mit denen Komplexität durch biokybernetische Funktionsgesetze gemeistert werden kann. Dadurch können Organisationen bereits heute doppelt so gut funktionieren wie bisher – und sie brauchen dafür nur noch die Hälfte des Geldes.
Fredmund Malik, Management-Experte, ist Unternehmer, habilitierter Professor, Gründer und Chef von Malik Management sowie Autor mehrerer Fachbücher-Bestseller.