«Es gehört wohl eine Art innerer Würde dazu, ein gusseiserner Halt im Charakter, verbunden mit einer ganz leisen, wehen Sehnsucht nach einem verhinderten Doktortitel … denn einen Titel muss der Mensch haben. Ohne Titel ist er nackt und ein gar grauslicher Anblick. Und Willy Eisenstein sah an sich hinunter, und siehe, er sah, dass er nackt war und bloss, an der Ecke lauerte das Schund- und Schmutzgesetz … und da bekleidete er sich und nahm das härene Gewand des Generaldirektors auf sich, und er ging herum und sah, dass alles gut war, und wenn die kleinen Hotelpagen nun im Hotel quäken: ‹Herr Generaldirektor Eisenstein!›, dann erhebt sich ein Generaldirektor und schreitet fürbass.»
Die Parodie auf die Diktion der Bibel, die Kurt Tucholsky in seiner Glosse «Wie wird man Generaldirektor?» aus dem Jahr 1930 benutzt, um die Ehrfurcht seiner Zeitgenossen vor allen Titeln zu verspotten, die sich aus der militärischen Hierarchie ableiten, ist durchaus angemessen. Denn der Umgang der Menschen mit Titeln – mit denen, die sie haben, ebenso wie mit denen, die sie gerne hätten – entzieht sich irgendwie der ernsthaften Betrachtung. Titel haben etwas Metaphysisches an sich. Sie haben mehr mit unserem Seelenleben zu tun, mit der Pflege unseres Egos als mit den objektiven Erfordernissen des politischen und wirtschaftlichen Lebens. Und weil das so ist, wirkt unser Umgang mit Titeln oftmals komisch. Das gilt aber nur für die jeweils anderen.
Wer sich die Stelleninserate zu Gemüte führt,
glaubt sich alsbald von Chiefs – Häuptlingen – aller Art umzingelt.
Die Komik der Titelsucht vermögen zum Beispiel wir Schweizer allenfalls bei den Österreichern zu erkennen. Bei denen ist «Herr Chef» noch eine durchaus übliche Anrede, auch wenn der so Betitelte lediglich ein Kaffeehaus gepachtet hat. Bei denen ist ein ganz normaler Universitätsabschluss ohne Doktorat Anlass genug, die entsprechende Person mit «Herr Magister» oder «Frau Magister» anzureden. Bei denen gibt es inoffiziell sogar noch den «Herrn Hofrat», obwohl es seit dem Ende des Ersten Weltkriegs weit und breit keinen Hof mehr gibt.
Wir sollten uns freilich über die Österreicher nicht lustig machen. Auch bei uns liegen die Zeiten, als die Ehefrau eines Akademikers Anspruch auf die Anrede «Frau Doktor» hatte, noch gar nicht so lange zurück. Und in meiner angeheirateten Familie gab es im Glarnerland eine vornehme ältere Dame, die in der ganzen weitläufigen Verwandtschaft als «Tante Ständerat» firmierte – noch bevor in der Schweiz das Frauenstimmrecht eingeführt wurde. Die Freude an skurrilen und unverdienten Titeln war also auch hier zu Lande ziemlich verbreitet.
Wer sich die Stelleninserate für mehr oder minder gehobene Kaderpositionen zu Gemüte führt, der wird feststellen, dass diese Zeit noch gar nicht vorbei ist. Er glaubt sich alsbald von Chefs aller Art umzingelt. Und er muss annehmen, dass die Schweiz bereits als 52. Bundesstaat den USA beigetreten sei: Der Chef ist zum «Chief» geworden (eine Bezeichnung, die in Amerika auch dem Häuptling eines Indianerstammes zukommt). Er ist nicht mehr der Kopf einer Organisation, sondern deren «Head». Er gibt sich nicht mehr damit zufrieden, seinen Zuständigkeitsbereich zu überwachen, sondern er gibt sich dem «Controlling» hin. Aber nicht in eigener Person, sondern in Gestalt ganzer Pulks von «Controllern», die von der «Quality» über das «Processing» bis zum «Financing» alles im Griff haben und zu diesem Behufe natürlich von einem «Head of Controlling» angeführt werden müssen.
Bei Durchsicht dieser englischsprachigen Berufsbezeichnungen kommt einen leicht einmal das Bedürfnis an, diese wortwörtlich zu übersetzen, um sie der Lächerlichkeit preiszugeben, die sie verdienen. Dass heute kaum ein Unternehmen mehr einen Generaldirektor hat, würde Kurt Tucholsky zwar freuen, aber nur so lange, bis er zur Kenntnis nehmen müsste, dass sein Generaldirektor Willy Eisenstein heute Bill Eisenstein, Chief Executive Officer, heisst. Dabei steht «Chief», wie wir gesehen haben, schlicht für Chef oder für Häuptling. «Executive» heisst, wenn es wie hier als Adjektiv gebraucht wird, «vollziehend» oder «ausführend». Und «Officer» bedeutet im militärischen Bereich «Offizier», im zivilen Bereich «Beamter». Eine durchaus mögliche, wenn auch etwas bösartige Übertragung von CEO ins Deutsche wäre dann wohl «Häuptling Vollzugsbeamter». Im Gegensatz zum imponierenden Chief Executive Officer würde diese verballhornte Übersetzung ins Deutsche manchen Vorgang in den Chefetagen erklären, den wir heute nur ratlos beobachten können.
Ränge dienen dem Selbstwertgefühl des Stelleninhabers,
was manche Lohnerhöhung ersparen kann.
Dabei ist es eigentlich nicht weiter schlimm, dass wir immer mehr englische Berufsbezeichnungen haben. Die Menschen, die es auf eine der ausgeschriebenen Stellen abgesehen haben, müssen den Jargon ohnehin verstehen, denn an ihrem künftigen Arbeitsplatz sind sie täglich mit dieser kaputten Sprache konfrontiert. Ausserdem widerspiegeln Berufsbezeichnungen und Titel stets die tatsächliche Struktur der Unternehmen. Und da sich diese in den letzten zwei Jahrzehnten drastisch verändert hat, haben sich auch Hierarchien und Titel drastisch verändert.
Musterbeispiele für klare Hierarchien mit einer ganz schmalen Spitze und einer ganz breiten Basis waren bis weit in die Achtzigerjahre die Banken. Da gab es die Generaldirektoren, deren Gremium vom Vorsitzenden der Generaldirektion geleitet wurde; da gab es die stellvertretenden Generaldirektoren, die Direktoren, die stellvertretenden Direktoren, die Vizedirektoren, die Prokuristen und die Handlungsbevollmächtigten. Gelegentlich war noch eine weiter gehende Differenzierung nötig – die Leiter wirklich grosser Niederlassungen beanspruchten einen höheren Status als die Kollegen von minderen Filialen, der Chef der einen oder anderen wichtigen Stabsabteilung musste auch rangmässig sehr nahe bei der Generaldirektion angesiedelt werden –, deshalb gab es zumindest bei den Grossbanken auch noch Rang und Titel eines Haupt- oder Zentraldirektors. Damit hatte es sich aber.
Wer in der Bank etwas zu sagen haben wollte, musste sich einen Titel aus diesem Sortiment verschaffen. Diese Titel standen einerseits für die Position des Einzelnen in der firmeninternen Hackordnung. Sie waren Ausdruck der Stellung in der real existierenden Kommandostruktur, aber auch Positionssignal für den gesellschaftlichen Status – so war auch der Zugang zur Direktionskantine (die auf diesem Niveau natürlich Restaurant hiess) an den Rang des Mitarbeiters geknüpft: Unter Vizedirektor ging da gar nichts. Überdies signalisierten die Titel nach aussen, wer in der Bank wie viel zu sagen hatte. Die Zahl der Handlungsbevollmächtigten war Legion, eine hierarchisch relevante Position liess sich daraus kaum ableiten; aber der Rang signalisierte, dass dessen Träger die Bank mit seiner Unterschrift verpflichten konnte. Ränge und Titel waren also auch eine juristische Absicherung für Aussenstehende.
Die Achtziger- und Neunzigerjahre mit ihrer beschleunigten Globalisierung der Tätigkeiten, mit dem Aufkommen immer schnellerer und dichterer Informationssysteme haben diese stringente Struktur obsolet gemacht. Wirklich? Sandro Gianella, Spezialist für die Besetzung von Toppositionen der Wirtschaft, beantwortet die Frage, ob die alten Hierarchien tatsächlich durch die neue, angelsächsisch inspirierte Nomenklatur abgelöst worden seien, mit einem klaren «Jein». Richtig sei, dass sich der Arbeitsstil verändert habe. Richtig sei auch, dass die Hierarchie nicht mehr stringent gehandhabt werde. Falsch sei hingegen, dass es diese Hierarchie gar nicht mehr gebe.
Was sich in den Achtziger- und Neunzigerjahren tatsächlich abgespielt hat, ist ein dramatischer Umbau der herkömmlichen Strukturen und Hierarchien. Die Aufgliederung in einzelne Banksparten zum Beispiel, die nun als quasi selbstständige Unternehmen unter dem Dach der Bankholding operieren, sorgte dafür, dass sich in den einzelnen Suborganisationen eine jeweils eigene Hierarchie mit eigener Nomenklatur entwi-ckelte. Der Schlachtruf der späten Achtzigerjahre von der «Verflachung der Hierarchien» hat dazu geführt, dass aus der steilen Befehlspyramide einige Stufen herausgebrochen wurden. Und dies wiederum musste dazu führen, dass die Entscheidungs- und Handlungskompetenzen breiter unter die Mitarbeiter gestreut wurden. Kommt hinzu, dass die einzelnen Tätigkeiten in fast allen Bereichen immer komplexer wurden – sie lassen sich nicht mehr mit Hilfe einer starren Befehlskette unter Kontrolle halten. Man muss den ausgewiesenen Spezialisten schon den nötigen Handlungsspielraum lassen. Das gilt in besonderem Mass für die projektbezogene Arbeit, die in allen Branchen immer mehr an Boden gewinnt.
Dies alles bedeutet, dass auf allen Stufen der ehemaligen Hierarchie Entscheidungskompetenz nach unten verlagert werden musste. Und damit dieser Vorgang nach innen und nach aussen transparent bleibt, ist eine neue Nomenklatur nötig geworden, aus der jeweils ersichtlich wird, was der Einzelne genau macht und welche Entscheidungskompetenz er dabei hat.
Sandro Gianella hat deshalb mit der angelsächsisch beeinflussten neuen Nomenklatur keine Mühe: «Sie ist Ausdruck des Übergangs zu flacheren Hierarchien. Mit den neuen Titeln werden Funktionen beschrieben. Wenn jemand ‹Head of Marketing and Sales› ist, wird jedem innerhalb und ausserhalb des Unternehmens klar, welche Funktion diese Person ausübt und wie hoch sie etwa in der Firmenhierarchie angesiedelt ist.» Die hierarchische Position wird also bestimmt durch das Gewicht, das der Tätigkeit zukommt. Dass ein Head of Marketing and Sales in der Regel auch Mitglied der Geschäftsleitung ist, ist erstens selbstverständlich und hat zweitens fast nur noch symbolischen Charakter.
Das Problem, das sich aus dieser Struktur ergibt, ist häufig die Mehrdeutigkeit der Firmenhierarchie. So gibt es etwa in den Grossbanken immer noch die klassische, wenn auch verkürzte Hierarchiepyramide. Daneben existieren aber viele Subhierarchien. Im Kleinkundengeschäft ist eine andere Struktur nötig als im Geschäft mit Privatkunden, im Investment-Banking eine andere als im Merchant-Banking. Und wenn diese Subsysteme sich selbstständig entfalten können, dann existieren eben verschiedene Hierarchiesysteme nebeneinander. Welches Gewicht das einzelne Subsystem in der ganzen Struktur hat, ergibt sich dann aus dem Beitrag, den es zum Gesamtergebnis beisteuert.
Kommt hinzu, dass mit der Ausbreitung der neuen Technologien auch in der Old Economy eine neue Kategorie von Spezialisten an Einfluss gewinnt, die sich nicht einfach in die hergebrachte Hierarchie einpassen lassen. Wer zum Beispiel bei Nestlé zu jenem Team gehört, welches das Globe- Projekt konzernweit vorantreiben soll, der gehört firmenintern sozusagen zu einer neuen Elite, die mit einem Instrumentarium hantiert, das für die herkömmliche Linienstruktur ziemlich neu ist. Da dieses Instrumentarium dazu dient, die Teile des weltweiten Konzerns neu zu vernetzen, sind davon alle bisherigen Hierarchien betroffen. Die neue Abteilung, die diese Aufgabe zu bewältigen hat, verfügt also über eine erhebliche Machtposition in der ganzen Organisation mit einer eigenen hierarchischen Struktur. Folgerichtig und um grosse Friktionen zu vermeiden, wurde der Leiter des Globe- Projekts kurzerhand in die Konzernleitung berufen.
Die neuen, flacheren, dezentralisierteren Strukturen in den meisten grossen Unternehmen, die zu einer Vielzahl neu und anders definierter Hierarchien geführt haben und zu einer kaum mehr überblickbaren Vielfalt an funktionsorientierten Titeln und Rängen, sind also nichts anderes als der Ausdruck der technologischen Veränderungen der letzten Jahrzehnte und der damit einhergehenden Beschleunigung aller Prozesse. Diese Entwicklung hat herkömmliche Strukturen aufgeweicht, ohne zunächst gefestigte neue Strukturen zu schaffen.
Das schafft Unsicherheit. «Ein grosses Problem», sagt Gianella, «ist heute die Frage der Verantwortung.» Wer trägt in den neuen Gebilden mit dezentralen Entscheidungen, parallelen Hierarchien und durch die Funktion definierten Befugnissen jeweils die letzte Verantwortung? «In vielen Unternehmen hört man heute, dass trotz allen Hierarchien letzten Endes die Führung fehlt.»
Da genügt es offenbar doch nicht, «Chief» oder «Head» oder «Controller» oder «Manager» von irgendetwas zu sein. Gefragt wären Menschen, die kraft ihrer Persönlichkeit die Richtung vorgeben können, indem sie das Vertrauen ihrer Mitarbeiter gewinnen. Auch hierzu Kurt Tucholsky: «In ihm (dem Generaldirektor) sitzt, ganz klein, ganz niedlich und unverändert, der kleine Willy und lugt aus den Gucklöchern seines Titels. Erweist die Welt dem Hut die Reverenz?» Aber ja doch – wenn ein Kopf darunter steckt.
Die Parodie auf die Diktion der Bibel, die Kurt Tucholsky in seiner Glosse «Wie wird man Generaldirektor?» aus dem Jahr 1930 benutzt, um die Ehrfurcht seiner Zeitgenossen vor allen Titeln zu verspotten, die sich aus der militärischen Hierarchie ableiten, ist durchaus angemessen. Denn der Umgang der Menschen mit Titeln – mit denen, die sie haben, ebenso wie mit denen, die sie gerne hätten – entzieht sich irgendwie der ernsthaften Betrachtung. Titel haben etwas Metaphysisches an sich. Sie haben mehr mit unserem Seelenleben zu tun, mit der Pflege unseres Egos als mit den objektiven Erfordernissen des politischen und wirtschaftlichen Lebens. Und weil das so ist, wirkt unser Umgang mit Titeln oftmals komisch. Das gilt aber nur für die jeweils anderen.
Wer sich die Stelleninserate zu Gemüte führt,
glaubt sich alsbald von Chiefs – Häuptlingen – aller Art umzingelt.
Die Komik der Titelsucht vermögen zum Beispiel wir Schweizer allenfalls bei den Österreichern zu erkennen. Bei denen ist «Herr Chef» noch eine durchaus übliche Anrede, auch wenn der so Betitelte lediglich ein Kaffeehaus gepachtet hat. Bei denen ist ein ganz normaler Universitätsabschluss ohne Doktorat Anlass genug, die entsprechende Person mit «Herr Magister» oder «Frau Magister» anzureden. Bei denen gibt es inoffiziell sogar noch den «Herrn Hofrat», obwohl es seit dem Ende des Ersten Weltkriegs weit und breit keinen Hof mehr gibt.
Wir sollten uns freilich über die Österreicher nicht lustig machen. Auch bei uns liegen die Zeiten, als die Ehefrau eines Akademikers Anspruch auf die Anrede «Frau Doktor» hatte, noch gar nicht so lange zurück. Und in meiner angeheirateten Familie gab es im Glarnerland eine vornehme ältere Dame, die in der ganzen weitläufigen Verwandtschaft als «Tante Ständerat» firmierte – noch bevor in der Schweiz das Frauenstimmrecht eingeführt wurde. Die Freude an skurrilen und unverdienten Titeln war also auch hier zu Lande ziemlich verbreitet.
Wer sich die Stelleninserate für mehr oder minder gehobene Kaderpositionen zu Gemüte führt, der wird feststellen, dass diese Zeit noch gar nicht vorbei ist. Er glaubt sich alsbald von Chefs aller Art umzingelt. Und er muss annehmen, dass die Schweiz bereits als 52. Bundesstaat den USA beigetreten sei: Der Chef ist zum «Chief» geworden (eine Bezeichnung, die in Amerika auch dem Häuptling eines Indianerstammes zukommt). Er ist nicht mehr der Kopf einer Organisation, sondern deren «Head». Er gibt sich nicht mehr damit zufrieden, seinen Zuständigkeitsbereich zu überwachen, sondern er gibt sich dem «Controlling» hin. Aber nicht in eigener Person, sondern in Gestalt ganzer Pulks von «Controllern», die von der «Quality» über das «Processing» bis zum «Financing» alles im Griff haben und zu diesem Behufe natürlich von einem «Head of Controlling» angeführt werden müssen.
Bei Durchsicht dieser englischsprachigen Berufsbezeichnungen kommt einen leicht einmal das Bedürfnis an, diese wortwörtlich zu übersetzen, um sie der Lächerlichkeit preiszugeben, die sie verdienen. Dass heute kaum ein Unternehmen mehr einen Generaldirektor hat, würde Kurt Tucholsky zwar freuen, aber nur so lange, bis er zur Kenntnis nehmen müsste, dass sein Generaldirektor Willy Eisenstein heute Bill Eisenstein, Chief Executive Officer, heisst. Dabei steht «Chief», wie wir gesehen haben, schlicht für Chef oder für Häuptling. «Executive» heisst, wenn es wie hier als Adjektiv gebraucht wird, «vollziehend» oder «ausführend». Und «Officer» bedeutet im militärischen Bereich «Offizier», im zivilen Bereich «Beamter». Eine durchaus mögliche, wenn auch etwas bösartige Übertragung von CEO ins Deutsche wäre dann wohl «Häuptling Vollzugsbeamter». Im Gegensatz zum imponierenden Chief Executive Officer würde diese verballhornte Übersetzung ins Deutsche manchen Vorgang in den Chefetagen erklären, den wir heute nur ratlos beobachten können.
Ränge dienen dem Selbstwertgefühl des Stelleninhabers,
was manche Lohnerhöhung ersparen kann.
Dabei ist es eigentlich nicht weiter schlimm, dass wir immer mehr englische Berufsbezeichnungen haben. Die Menschen, die es auf eine der ausgeschriebenen Stellen abgesehen haben, müssen den Jargon ohnehin verstehen, denn an ihrem künftigen Arbeitsplatz sind sie täglich mit dieser kaputten Sprache konfrontiert. Ausserdem widerspiegeln Berufsbezeichnungen und Titel stets die tatsächliche Struktur der Unternehmen. Und da sich diese in den letzten zwei Jahrzehnten drastisch verändert hat, haben sich auch Hierarchien und Titel drastisch verändert.
Musterbeispiele für klare Hierarchien mit einer ganz schmalen Spitze und einer ganz breiten Basis waren bis weit in die Achtzigerjahre die Banken. Da gab es die Generaldirektoren, deren Gremium vom Vorsitzenden der Generaldirektion geleitet wurde; da gab es die stellvertretenden Generaldirektoren, die Direktoren, die stellvertretenden Direktoren, die Vizedirektoren, die Prokuristen und die Handlungsbevollmächtigten. Gelegentlich war noch eine weiter gehende Differenzierung nötig – die Leiter wirklich grosser Niederlassungen beanspruchten einen höheren Status als die Kollegen von minderen Filialen, der Chef der einen oder anderen wichtigen Stabsabteilung musste auch rangmässig sehr nahe bei der Generaldirektion angesiedelt werden –, deshalb gab es zumindest bei den Grossbanken auch noch Rang und Titel eines Haupt- oder Zentraldirektors. Damit hatte es sich aber.
Wer in der Bank etwas zu sagen haben wollte, musste sich einen Titel aus diesem Sortiment verschaffen. Diese Titel standen einerseits für die Position des Einzelnen in der firmeninternen Hackordnung. Sie waren Ausdruck der Stellung in der real existierenden Kommandostruktur, aber auch Positionssignal für den gesellschaftlichen Status – so war auch der Zugang zur Direktionskantine (die auf diesem Niveau natürlich Restaurant hiess) an den Rang des Mitarbeiters geknüpft: Unter Vizedirektor ging da gar nichts. Überdies signalisierten die Titel nach aussen, wer in der Bank wie viel zu sagen hatte. Die Zahl der Handlungsbevollmächtigten war Legion, eine hierarchisch relevante Position liess sich daraus kaum ableiten; aber der Rang signalisierte, dass dessen Träger die Bank mit seiner Unterschrift verpflichten konnte. Ränge und Titel waren also auch eine juristische Absicherung für Aussenstehende.
Die Achtziger- und Neunzigerjahre mit ihrer beschleunigten Globalisierung der Tätigkeiten, mit dem Aufkommen immer schnellerer und dichterer Informationssysteme haben diese stringente Struktur obsolet gemacht. Wirklich? Sandro Gianella, Spezialist für die Besetzung von Toppositionen der Wirtschaft, beantwortet die Frage, ob die alten Hierarchien tatsächlich durch die neue, angelsächsisch inspirierte Nomenklatur abgelöst worden seien, mit einem klaren «Jein». Richtig sei, dass sich der Arbeitsstil verändert habe. Richtig sei auch, dass die Hierarchie nicht mehr stringent gehandhabt werde. Falsch sei hingegen, dass es diese Hierarchie gar nicht mehr gebe.
Was sich in den Achtziger- und Neunzigerjahren tatsächlich abgespielt hat, ist ein dramatischer Umbau der herkömmlichen Strukturen und Hierarchien. Die Aufgliederung in einzelne Banksparten zum Beispiel, die nun als quasi selbstständige Unternehmen unter dem Dach der Bankholding operieren, sorgte dafür, dass sich in den einzelnen Suborganisationen eine jeweils eigene Hierarchie mit eigener Nomenklatur entwi-ckelte. Der Schlachtruf der späten Achtzigerjahre von der «Verflachung der Hierarchien» hat dazu geführt, dass aus der steilen Befehlspyramide einige Stufen herausgebrochen wurden. Und dies wiederum musste dazu führen, dass die Entscheidungs- und Handlungskompetenzen breiter unter die Mitarbeiter gestreut wurden. Kommt hinzu, dass die einzelnen Tätigkeiten in fast allen Bereichen immer komplexer wurden – sie lassen sich nicht mehr mit Hilfe einer starren Befehlskette unter Kontrolle halten. Man muss den ausgewiesenen Spezialisten schon den nötigen Handlungsspielraum lassen. Das gilt in besonderem Mass für die projektbezogene Arbeit, die in allen Branchen immer mehr an Boden gewinnt.
Dies alles bedeutet, dass auf allen Stufen der ehemaligen Hierarchie Entscheidungskompetenz nach unten verlagert werden musste. Und damit dieser Vorgang nach innen und nach aussen transparent bleibt, ist eine neue Nomenklatur nötig geworden, aus der jeweils ersichtlich wird, was der Einzelne genau macht und welche Entscheidungskompetenz er dabei hat.
Sandro Gianella hat deshalb mit der angelsächsisch beeinflussten neuen Nomenklatur keine Mühe: «Sie ist Ausdruck des Übergangs zu flacheren Hierarchien. Mit den neuen Titeln werden Funktionen beschrieben. Wenn jemand ‹Head of Marketing and Sales› ist, wird jedem innerhalb und ausserhalb des Unternehmens klar, welche Funktion diese Person ausübt und wie hoch sie etwa in der Firmenhierarchie angesiedelt ist.» Die hierarchische Position wird also bestimmt durch das Gewicht, das der Tätigkeit zukommt. Dass ein Head of Marketing and Sales in der Regel auch Mitglied der Geschäftsleitung ist, ist erstens selbstverständlich und hat zweitens fast nur noch symbolischen Charakter.
Das Problem, das sich aus dieser Struktur ergibt, ist häufig die Mehrdeutigkeit der Firmenhierarchie. So gibt es etwa in den Grossbanken immer noch die klassische, wenn auch verkürzte Hierarchiepyramide. Daneben existieren aber viele Subhierarchien. Im Kleinkundengeschäft ist eine andere Struktur nötig als im Geschäft mit Privatkunden, im Investment-Banking eine andere als im Merchant-Banking. Und wenn diese Subsysteme sich selbstständig entfalten können, dann existieren eben verschiedene Hierarchiesysteme nebeneinander. Welches Gewicht das einzelne Subsystem in der ganzen Struktur hat, ergibt sich dann aus dem Beitrag, den es zum Gesamtergebnis beisteuert.
Kommt hinzu, dass mit der Ausbreitung der neuen Technologien auch in der Old Economy eine neue Kategorie von Spezialisten an Einfluss gewinnt, die sich nicht einfach in die hergebrachte Hierarchie einpassen lassen. Wer zum Beispiel bei Nestlé zu jenem Team gehört, welches das Globe- Projekt konzernweit vorantreiben soll, der gehört firmenintern sozusagen zu einer neuen Elite, die mit einem Instrumentarium hantiert, das für die herkömmliche Linienstruktur ziemlich neu ist. Da dieses Instrumentarium dazu dient, die Teile des weltweiten Konzerns neu zu vernetzen, sind davon alle bisherigen Hierarchien betroffen. Die neue Abteilung, die diese Aufgabe zu bewältigen hat, verfügt also über eine erhebliche Machtposition in der ganzen Organisation mit einer eigenen hierarchischen Struktur. Folgerichtig und um grosse Friktionen zu vermeiden, wurde der Leiter des Globe- Projekts kurzerhand in die Konzernleitung berufen.
Die neuen, flacheren, dezentralisierteren Strukturen in den meisten grossen Unternehmen, die zu einer Vielzahl neu und anders definierter Hierarchien geführt haben und zu einer kaum mehr überblickbaren Vielfalt an funktionsorientierten Titeln und Rängen, sind also nichts anderes als der Ausdruck der technologischen Veränderungen der letzten Jahrzehnte und der damit einhergehenden Beschleunigung aller Prozesse. Diese Entwicklung hat herkömmliche Strukturen aufgeweicht, ohne zunächst gefestigte neue Strukturen zu schaffen.
Das schafft Unsicherheit. «Ein grosses Problem», sagt Gianella, «ist heute die Frage der Verantwortung.» Wer trägt in den neuen Gebilden mit dezentralen Entscheidungen, parallelen Hierarchien und durch die Funktion definierten Befugnissen jeweils die letzte Verantwortung? «In vielen Unternehmen hört man heute, dass trotz allen Hierarchien letzten Endes die Führung fehlt.»
Da genügt es offenbar doch nicht, «Chief» oder «Head» oder «Controller» oder «Manager» von irgendetwas zu sein. Gefragt wären Menschen, die kraft ihrer Persönlichkeit die Richtung vorgeben können, indem sie das Vertrauen ihrer Mitarbeiter gewinnen. Auch hierzu Kurt Tucholsky: «In ihm (dem Generaldirektor) sitzt, ganz klein, ganz niedlich und unverändert, der kleine Willy und lugt aus den Gucklöchern seines Titels. Erweist die Welt dem Hut die Reverenz?» Aber ja doch – wenn ein Kopf darunter steckt.
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