Mitte Januar stieg der Kurs der deutschen SAP sprunghaft von 100 auf über 120 Euro. Der Grund: Mysap.com, die überarbeitete Version des klassischen Programms R/3 mit einem starken Fokus auf dem elektronischen Customer-Relationship-Management (CRM) hat im vierten Quartal 2000 überraschend viele Abnehmer gefunden. Damit honorierten die Anleger, dass es dem Weltmarktführer im Bereich Enterprise-Resource-Planning-Software (ERP) endlich gelungen ist, Anschluss an den internationalen CRM-Boom zu finden, ein Boom, der bereits dazu geführt hat, dass zwischen ERP- und ausgewachsenen CRM-Lösungen auf dem Markt kaum mehr unterschieden wird.
Für Michael Brendel, Gründer der Basler Softwareschmiede Team Brendel, kommt die vermehrte Orientierung der ERP-Lösungen am Kunden nicht überraschend. Er spricht vom Tante-Emma-Prinzip: «Im Zeitalter des E-Business ist der Informationsfluss vom Kunden ins Unternehmen ein erfolgskritischer Faktor.» Der Markt gibt Brendel Recht: Rund 400 Business-Units von Grossfirmen und KMU in Deutschland und der Schweiz nutzen unterdessen seine CRM-Software, und das Ziel ist klar definiert: «In fünf Jahren wollen wir europäischer Marktführer im KMU-Segment sein.» Allein im vergangenen Jahr hat Brendel seinen Mitarbeiterbestand deshalb von 35 auf über 100 Personen aufgestockt. Diese entwickeln nun unter anderem ein Softwaremodul, das sich bruchlos in die Lösungen von ERP-Anbietern integrieren lässt, die den CRM-Zug bisher verpasst haben. «Mit dieser Weltneuheit machen wir aus Konkurrenten Partner», kommentiert Michael Brendel.
Diese Strategie, die auf Kooperation statt Konfrontation setzt, ist gut begründet. Denn der internationale Markt für CRM- und ERP-Produkte – er war laut Schätzungen des Marktforschungsinstituts Forrester Research im Jahr 2000 rund 25 Milliarden Franken schwer – ist äusserst hart umkämpft. Dominiert wird er von internationalen Konzernen wie Oracle, J.D. Edwards, Baan, Sybel, Navision oder eben SAP, doch die Konkurrenz durch kleinere Anbieter wächst – vor allem seit die Globalisierung auch immer mehr KMU zur Einführung von Businesssoftware-Lösungen zwingt. Für die Schweiz liegen zwar keine aktuellen Zahlen über Umsätze und Marktteilnehmer vor, aber es ist davon auszugehen, dass zwischen 100 und 200 Softwarefirmen um die Gunst der Kunden buhlen. Dass da nicht für alle Platz ist, liegt auf der Hand: Die Fluktuation auf dem Markt ist gewaltig. Die Beteiligten sprechen nachgerade von einem «Blutbad».
Für den IT-Verantwortlichen eines KMU, der die Einführung einer Businesssoftware prüft, sind das alles andere als ideale Voraussetzungen. Der Markt ist äusserst intransparent, weshalb allzu viele Firmen auf den Zufall vertrauen und kaufen, was der Nachbar schon hat. Laut Gerhard Knolmayer, Professor an der Uni Bern, der das Thema ERP zum Gegenstand akademischer Forschung gemacht hat, ist diese «Me too»-Strategie nach wie vor weit verbreitet, wie jüngst auch eine Umfrage des IT-Beratungsunternehmens CSC Ploenzke in Deutschland ergab: Nur 17 Prozent der von ihr befragten SAP-Kunden haben die R/3-Einführung als Teil der langfristigen Geschäftsstrategie begriffen.
Das spiegelt sich auch in der oft mangelhaften Vorbereitung vieler Firmen: Eine ERP- oder CRM-Einführung ist nicht ein IT-Projekt wie jedes andere. Eine Standardsoftware passt sich einem Unternehmen nur bedingt an. Viele Abläufe müssen auch an die Software angepasst werden. Selbst hervorragend strukturierte Firmen setzen mindestens ein Mannjahr Management- und IT-Kapazität für eine ERP-Einführung ein. Trotzdem glauben immer noch viele KMU-Chefs, sie könnten eine Einführung mit der linken Hand erledigen. «Ich habe erlebt, dass Geschäftsleitungen sich erst mit ihren Businessprozessen befassten, als wir schon im Haus waren», erinnert sich Daniel Renggli, der heutige KMU-Marketingmanager bei SAP Schweiz, an seine Beraterzeit zurück. Bei Beraterhonoraren von zwei- bis dreitausend Franken pro Tag sind explodierende Kosten vorprogrammiert.
Jede vierte ERP-Einführung ist gemäss Schätzungen mit Kostenüberschreitungen verbunden, kommt zum Abbruch oder wird zwar durchgezogen, führt dann aber zumindest vorübergehend zu ernsthaften betrieblichen Turbulenzen. Bekannte Beispiele dafür liefern die Getränkedivision von Feldschlösschen oder der Textilwarenhersteller Calida.
Es wäre jedoch falsch, die Schuld dafür ausschliesslich bei den Unternehmen selbst zu suchen. «Es gibt schlicht und ergreifend zu wenig gute Berater», sagt Christina Lampe. Lampe ist selbst Beraterin und hat bei Calida mitgeholfen, das schlingernde SAP-Projekt zu retten. «Eher dünn» nennt auch Philipp Ledermann, Professor an der Fachhochschule beider Basel (FHBB), das Know-how-Niveau vieler Berater. Für Ledermann wie für Lampe ist klar, woran das liegt: Die Nachfrage sei ungleich schneller gewachsen als das Implementierungs-Know-how der Anbieter und ihrer Vertriebspartner.
Deshalb empfehlen beide eine ausgiebige Evaluation nicht nur der Software, sondern auch der Berater. «Eine Einführung steht und fällt mit den Beratern», ist Ledermann überzeugt. Wobei vor allem die Person des externen Projektleiters von überragender Bedeutung sei: «Die Chemie zwischen dem Projektleiter und der Firmenspitze muss stimmen.» Deshalb kann es sogar Sinn machen, auf eine an sich für gut erachtete Software zu verzichten, wenn kein geeigneter Implementierungspartner vorhanden ist.
David Rolny, Geschäftsleitungsmitglied und IT-Verantwortlicher bei der Zürcher Feindrahtweberei G. Bopp, hat bei der ersten ERP-Evaluation aus diesem Grunde auf SAP verzichtet und stattdessen auf einen Schweizer Hersteller gesetzt. Zu SAP kehrte er erst zwei Jahre später zurück, weil die Schweizer Software nicht hielt, was sie versprochen hatte, und weil SAP inzwischen die richtigen Berater vermitteln konnte. Heute ist Rolny begeistert von seinem System und möchte es nicht mehr missen. Was jedoch mit einem falschen Berater hätte passieren können, mag er sich nicht einmal ausmalen.
Schlimme Folgen hatte die ERP-Einführung beispielsweise bei der Feldschlösschen-Getränkedivison; diese konnte ein Vierteljahr lang nicht fakturieren. «Wir arbeiteten während Monaten ohne korrekte Abschlüsse», erinnert sich ein betroffener Getränkehändler. Inzwischen sind die Probleme laut Feldschlösschen beseitigt, und an der kommenden Internet-Expo wird die Firma sogar mit einer Neuheit aufwarten: Dank der Verknüpfung von Internetshop und ERP-Lösung kann die Gesellschaft ihren Kunden von jetzt an auch eine automatische Kellerbewirtschaftung anbieten.
Bei Feldschlösschen war es die überstürzte Einführung, die zu Problemen führte. Etwas anders lag der Fall hingegen bei Calida. Bei diesem Unternehmen, und das gesteht unterdessen auch die SAP ein, kam eine unausgereifte Branchenlösung zum Einsatz. Mit fatalen Folgen: Weil im Planungstool der Wurm sass, wurden falsche Daten an die Produktion weitergegeben, weshalb schliesslich, um ein Beispiel zu nennen, statt Herrenunterhosen Damen-Dessous produziert wurden.
«Der Calida hat man nicht gesagt, dass sie ein Pilotkunde sei», blickt Christina Lampe auf die ERP-Einführung zurück. Zudem habe die SAP erst reagiert, als auch internationale Hersteller aus der Modebranche mit ihrem R/3-System ins Schleudern gerieten. «Für eine SAP ist Calida als Schweizer KMU kein Key-Account», resümiert Lampe.
Tatsächlich ist die Geschäftsstrategie von Firmen wie SAP (21 700 Mitarbeiter, 5,1 Milliarden Euro Umsatz per 1999) auf Unternehmen in der gleichen Gewichtsklasse ausgerichtet, was sich auch auf die Produkte auswirkt, die am KMU-Markt angeboten werden. Die verschiedenen Module – von der Buchhaltung über das Personalwesen bis zur Produktionsplanung – sind auch in der abgespeckten Version noch so komplex, dass sie nur von spezialisierten Beratern eingeführt werden können. Kleinere Softwarehäuser, die sich auf den KMU-Markt fokussieren, achten hingegen darauf, dass sich ihre schlanken Gesamtlösungen mit einem Zweier- oder Dreierteam implementieren lassen.
Wer sich für die Zusammenarbeit mit einem Grossanbieter entscheidet, tut dies nicht grundlos; so findet er in der Regel einen firmenunabhängigen Arbeitsmarkt für einschlägig ausgebildete Spezialisten vor. Doch die Produkte der Grossen können eben auch zu erheblichen Mehrkosten führen, nicht nur bei der Einführung, sondern auch später. Diese Erfahrung hat Roman Schönbucher, IT-Verantwortlicher bei der Häfely Test, gemacht. Sein Arbeitgeber, der Hochspannungstestanlagen produziert, gehörte jahrelang zu einem kanadisch-schweizerischen Firmenkonglomerat und arbeitete mit einer ERP-Lösung von Oracle. Als er jedoch von einer US-amerikanischen Firma übernommen und in die operative Selbstständigkeit entlassen wurde, sattelte er auf eine Lösung der Schweizer ADV Informatik um: «Mit Oracle mussten wir bei jeder Lancierung einer neuen Softwareversion teure Programmanpassungen vornehmen», begründet Schönbucher.
Bei der kleinen ADV passiert ihm das nicht mehr. Denn die ADV nimmt wie viele kleine Anbieter Erweiterungswünsche des Kunden jeweils zum Anlass, dem eigenen Tool zusätzliche Standardmodule beizufügen. «Das ist nicht unüblich», sagt Professor Ledermann von der FHBB. «So profitieren beide: Der Kunde kommt zu der gewünschten Lösung, und der Softwarelieferant hat einen Teil seiner Entwicklungskosten vorfinanziert.»
Die ADV Informatik aus dem zürcherischen Watt ist typisch für die kleinen Schweizer Businesssoftware-Schmieden, die aus einer Nische gestartet sind und ihre Palette nach und nach erweitert haben. Der helvetische Klassenprimus Abacus kommt aus der Buchhaltung, das Team Brendel aus der Adressverwaltung, und die ADV von Chef und Besitzer Max Frei hat ursprünglich Produktionsplanungssoftware (PPS) programmiert. Sie alle sind nur vergleichsweise langsam gewachsen, haben ihr Know-how Schritt für Schritt aufgebaut und stets Rücksicht auf ihre Stammkundschaft genommen. «Anders ist das gar nicht möglich», sagt Max Frei, «in einer ausgereiften Businesssoftware müssen mehrere Dutzend Mannjahre Programmierarbeit stecken.»
Das ist denn auch der Grund, weshalb ambitionierten Schnellstartern in der Branche wenig Vertrauen entgegengebracht wird. International angelegte Expansionsstrategien, wie sie zum Beispiel die Bison Group mit einer neuen, Java-basierten ERP-Lösung verfolgt, gelten als unrealistisch. «Die Beispiele Miracle und Complet-e haben gezeigt, dass solche Frontalangriffe auf die Grossen zum Scheitern verurteilt sind», meint Max Frei. Noch einen Schritt weiter geht Beat Bussmann: «Die beiden Firmenpleiten am SWX New Market waren für Insider absehbar und haben unserer ganzen Branche Schaden zugefügt.»
Bussmann setzt auf Nachhaltigkeit: «Wer ERP-Lösungen verkauft, ist zu äusserster Zuverlässigkeit verpflichtet», sagt der ehemalige Banker. Seine Opacc zählt Hunderte von Unternehmen aus diversen Dienstleistungs- und Handelsbranchen zu ihren Kunden, beschäftigt 70 Personen und ist seit den späten Achtzigerjahren im Geschäft. Aber zum Schritt auf die internationalen Märkte setzt Bussmann erst heuer an: «In unserem Business verlässt man die Start-up-Phase frühestens nach zehn Jahren.»
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