Das Thema Corporate Governance wird seit einiger Zeit in der Schweiz wie auch im übrigen Europa intensiv diskutiert. Überall sind auch weitere gesetzgeberische Massnahmen in Vorbereitung. Corporate Governance umfasst die Festlegung von Aufgaben und Kompetenzen von Geschäftsleitung, Verwaltungsrat (VR) und Generalversammlung (GV). Ferner muss bestimmt werden, inwieweit und in welcher Form GV und Öffentlichkeit über die Aktivitäten informiert werden sollen. Es geht auch um die Frage, was gesetzlich festgelegt und was dem einzelnen Unternehmen und seinen Organen überlassen werden soll.
Zurzeit besteht die Gefahr, dass Gesetzgeber und bestimmte gesellschaftliche Gruppen zu vieles zu detailliert regeln wollen. Dies scheint mir der falsche Weg zu sein. Der Staat überschreitet so seine Kompetenzen, und er schränkt die unternehmerische Freiheit zu stark ein. Ins Einzelne gehende Regelungen werden der Vielfalt der Firmen in Bezug auf Grösse, Art der Geschäftstätigkeit, geografische Ausdehnung und Eigentümerstruktur nicht gerecht. Zudem glaube ich nicht, dass mehr Regeln zu weniger Fehlverhalten führen.
Kommt hinzu, dass zu viele Einzelregelungen und die Berichterstattungspflicht auf dem Gebiet der Corporate Governance zu höheren Kosten führen, was zusammen mit der Vielzahl anderer bürokratischer Regelungen für europäische Unternehmen im zunehmenden globalen Wettbewerb Nachteile bringt.
Derzeit besteht die Tendenz, Aufgaben und Kompetenzen der GV auszudehnen. Dies halte ich für den falschen Weg, da Generalversammlungen damit überfordert sind. Im VR können manche Dinge kompetenter und konkreter diskutiert werden.
Ein in den letzten Jahren viel diskutiertes Thema ist die Trennung des Amtes des VR-Präsidenten vom Amt des Delegierten. Auch wenn nach Schweizer Recht eine Zusammenlegung möglich ist, scheint mir die Trennung die bessere Lösung zu sein. In bestimmten Konstellationen kann freilich eine Zusammenlegung vorübergehend vernünftiger sein. In diesem Fall müssen aber zwei Voraussetzungen gegeben sein:
1. Der VR muss mit erfahrenen, unabhängigen Mitgliedern besetzt sein, die bei Bedarf die sogenannte «Machtvollkommenheit» des Präsidenten einschränken oder sogar über seine Ablösung entscheiden.
2. In den Unternehmen muss eine kompetente und geeignete Person vorhanden sein oder aufgebaut werden, die bei einem unerwarteten und plötzlichen Ausfall des Präsidenten einspringen kann.
Unter den Aufgaben und Verantwortungen des VR sollte eine besonders betont werden (was in vielen Geschäftsordnungen nicht der Fall ist): die Pflicht, alle Vorschläge und Massnahmen der Geschäftsführung in ihren langfristigen Konsequenzen zu bewerten und überhaupt auf mehr langfristige Politik zu achten.
Im Übrigen habe ich wenig Verständnis für Regeln, nach denen der Präsident oder der Delegierte nicht Mitglied der Nominations- und Salärkommission sein soll. Hier kommt ein falsches Misstrauen zum Ausdruck. Denn die Personen, die näher am Geschäft sind – also der Präsident und der Delegierte –, können am besten beurteilen, welche Personen geeignet sind und welches Gehalt sie beziehen sollen.
Der allerwichtigste Punkt der Corporate Governance ist aber die richtige Auswahl der Personen, die im VR oder in der Generaldirektion Verantwortung übernehmen. Bei ihnen sollte man neben den professionellen Kenntnissen und der Erfahrung wieder mehr Gewicht auf die Persönlichkeit legen und ganz besonders auf den Charakter. Ich glaube, dass man damit mehr verbessern könnte als mit allen Regeln und Einzelvorschriften zusammen.
Helmut Maucher, seit 2000 Nestlé-Ehrenpräsident. Er machte die Lehre bei Nestlé und blieb der Firma zeitlebens treu. Ab 1980 war er Generaldirektor, ab 1981 Delegierter, 1990 bis 1997 Präsident und Delegierter.