Die Schweiz muss ein besonders hohes Ausbildungsniveau bieten, um in Zukunft bestehen zu können. Diesen Gedanken habe ich in den letzten fünf Jahren mittels einer Initiative namens SwissUp (www.swissup.com) zu fördern versucht. Manche meinen, es genüge, einfach ein bisschen besser zu sein als die anderen. Dabei hinken wir den anderen bereits hinterher, wie die Ergebnisse von Genf in der letzten Pisa-Studie zeigen. Ich bin der festen Überzeugung, dass nur ein exzellenter Ausbildungsstandard unserem Land eine Chance gibt, seinen beneidenswerten Status auch in Zukunft zu verteidigen – inklusive des hohen Lebensstandards.
Leider aber habe ich tiefste Bedenken, was unsere Fähigkeit angeht, mit den Herausforderungen der Zukunft fertig zu werden. Dies auf Grund all dessen, was ich in den letzten 20 Jahren in jenen Ländern gesehen habe, in denen ich geschäftlich tätig bin, seien es die USA, sei es Japan oder der Ferne Osten. Es sind nicht einmal das rasante Wachstum in China oder die in Indien entstehenden Hightechzentren, die ich alarmierend finde. Was mich wirklich verstört, ist das Fehlen einer Vision, aber auch einer Passion in diesem Land. Wir haben eine Bequemlichkeitsliebe entwickelt, dafür fehlen uns Antrieb und Ambitionen. Wir schauen viel mehr auf die guten alten Zeiten zurück statt in die Zukunft. Wir haben Angst vor der Aussenwelt. Dabei hat die Schweiz immer schon vom Austausch profitiert: So wurden manche Schweizer Grossunternehmen wie Nestlé, Sandoz oder Brown Boveri von Einwanderern gegründet.
Kürzlich, beim Zappen durch die Fernsehkanäle, blieb ich in einer Reportage über einen chinesischen Designer hängen. Dieser erklärte freimütig, nach einer langen Zeit des simplen Kopierens, während deren er viel gelernt habe, sei er nun heiss darauf, eigene Modelle zu entwerfen und in den USA und Europa zu verkaufen. Shanghai sei das nächste Modemekka. Er hat es so überzeugend dargestellt, dass ich wenig Zweifel habe, dass er es schaffen wird. «Made in China», und das noch sehr gut – sieht so die Zukunft aus?
Und was ist mit der Schweiz? «Made in Switzerland» war jahrzehntelang ein Symbol für Qualität und Innovation. Unsere Maschinenindustrie, die Textilindustrie, der Pharma-, der Dienstleistungssektor und so viele andere Bereiche haben von dem Label profitiert. Aber heute hat die Konkurrenz stark aufgeholt. Natürlich geht es uns in vielen Bereichen noch gut. Dennoch verlieren wir allmählich Jobs mit hoher Wertschöpfung. Manche Betriebe, denen es sehr gut geht, stellen keine neuen Mitarbeiter mehr ein. Andere entlassen gar. Und wieder andere verschwinden ganz. Unsere Hotelindustrie, die früher einzigartig war, hat den Anschluss verloren. Nur in einem Bereich sind wir noch an der Spitze: beim Preis. In chinesischen Hotels ist ein Breitbandanschluss ebenso Standard, wie es ein Lächeln und ein hervorragender Service sind. Versuchen Sie einmal, dies hier zu finden.
Wir müssen unbedingt neue Wege finden, Werte zu generieren. Nur so können wir unsere Position gegenüber anderen, fleissigeren und ehrgeizigeren Nationen verteidigen. Meiner Meinung nach ist ein exzellentes Ausbildungsniveau definitiv eine Grundvoraussetzung, wenn wir weiter an der Spitze sein und unseren hohen Lebensstandard behalten wollen. Unser Binnenmarkt ist klein, wir haben keine Bodenschätze, und anders, als manche gerne denken, schaffen wir es nicht im Alleingang. Dazu sind wir viel zu sehr abhängig von Ein- und Ausfuhren und unseren Beziehungen mit dem Rest der Welt.
Aber wir brauchen die Zukunft nicht zu fürchten, wenn wir in allem, was wir unternehmen, herausragende Leistungen zeigen. Wenn wir innovativ sind, können wir unter den Besten sein statt nur unter dem Rest.
Ich habe natürlich kein Patentrezept bei der Hand, um dies zu erreichen. Aber meine berufliche Erfahrung sagt mir, dass man die Realität einfach akzeptieren und Entscheidungen treffen muss – auch wenn das schmerzhaft ist. Ausbildungseinrichtungen beschweren sich häufig über fehlende finanzielle Mittel. Als ob mehr Geld automatisch bessere Leistungen bedeuten würde. Ineffizienzen und andere Unzulänglichkeiten kann man nie mit mehr Geld ausgleichen, ausser, diese Institute wären unabhängig von den Zwängen der Wirtschaftswelt (fast wollte ich schreiben: von den Zwängen der wirklichen Welt). Geht es einem Unternehmen schlecht, müssen harte und unerfreuliche Massnahmen getroffen werden. Mit weniger mehr erreichen, manche Aktivitäten ganz aufgeben, auf den Stärken aufbauen, auch wenn man manches ins Ausland verlagern muss: Dazu braucht es Mut. Und genau solchen erwarte ich von jenen, die über die Zukunft der Bildung entscheiden. Schliesslich sind unsere geistigen Fähigkeiten unsere einzigen Rohstoffe, und wir sollten alles tun, um die grössten Talente zu fördern, in die Schweiz zu locken und auch im Lande zu behalten. Egal, woher sie kommen. Denn sie werden mit Sicherheit Werte schaffen für dieses Land, und sie werden mithelfen, die Jugendarbeitslosigkeit, die ich als echtes Drama ansehe, zu reduzieren!
Das erhöhte Tempo der Veränderungen, hervorgerufen unter anderem durch neue Technologien und die Globalisierung, hat die Wirtschaftslandschaft radikal auf den Kopf gestellt. Deswegen verändern sich auch die Jobs kontinuierlich. Die alten Jobs werden neu definiert, wenn sie nicht gar völlig verschwinden. Deswegen müssen wir sicherstellen, dass die jungen – und auch die nicht mehr so jungen – Leute vorbereitet sind auf die neuen Jobs, die auf dem Arbeitsmarkt entstehen.
Employability, die Fähigkeit, angestellt zu werden, müssen wir bei der jungen Generation von Anfang an aufbauen. Wir müssen dazu die Wissensvermittlung anpassen, und wir müssen vor allem eine Fähigkeit entwickeln helfen: lernen, wie man lernt.
Bei den älteren Arbeitnehmern ist es wichtig, sie immer wieder zu Weiterbildung und Lernen anzuregen. Mehrere Massnahmen kämen als Anfang in Frage: Man muss Infrastrukturen aufbauen für jene, die lernwillig sind. Man muss echte finanzielle Anreize schaffen für jene Personen und Unternehmen, die bereit sind, Zeit und Geld in Bildung zu investieren. Und, noch einmal: Man muss das Bewusstsein der Leute schärfen, dass sie ihr Wissen up to date halten.
Für die jungen Auszubildenden ist es wichtig, dass ihre Schweizer Diplome international anerkannt werden. Stipendien könnten diese Leute motivieren, im Ausland zu studieren. Damit wären sie nicht nur anderen Kulturen ausgesetzt, sondern bekämen auch ein Gespür dafür, was sie in der «wirklichen» Welt erwartet. Es würde ihnen eine Chance geben, zu lernen, welche Fähigkeiten und welche Geisteshaltung erwartet werden, um in einer sehr kompetitiven Umgebung zu überleben. Das wäre ein echtes Plus für die Schweiz und würde ihr helfen, voll teilzunehmen an der Welt von morgen. Auf alle Fälle müssen wir viel mehr Aufmerksamkeit richten auf jene, die Wissen vermitteln – auch ganz früh im Unterrichtsprozess. Wir müssen sicherstellen, dass die Lehrer jeder Stufe sowohl über exzellentes Wissen als auch über hohe Werte verfügen.
Wie gesagt: Ich glaube nicht, dass die Ausbildungsfrage einfach ist oder dass die Situation und die Geisteshaltung dazu über Nacht verändert werden können. Aber ich möchte einen Masterplan für die nächsten Jahre sehen und eine Blaupause, wie wir die Dinge rasch in die richtige Richtung bewegen. Und ich möchte das Gefühl haben, dass es genug Motivation gibt, diesen Plan auch tatsächlich umzusetzen.
Nur scheint dies leider nicht zu geschehen. Noch immer beschäftigen wir uns mit Rivalitäten zwischen den Universitäten von Genf und Zürich, während die echte Konkurrenz von jenseits der Grenzen kommt. Mit Sicherheit wird es Allianzen geben. Aber in der gegenwärtigen Situation, in der jeder Kanton sich an sein System klammert, geht eine Menge wertvolle Zeit, Energie und Geld verloren, während andere Nationen vorwärts machen. Nicht einmal Kinder zwischen 6 und 16 Jahren geniessen hierzulande Mobilität in Sachen Bildung – die von Kanton zu Kanton unterschiedlichen Systeme verhindern dies. Das ist sehr schade.
Wir müssen gleichzeitig bescheiden und ehrgeizig sein. Bescheiden genug, um zu erkennen, dass wir nicht alles nur halbherzig machen können, wenn wir gut sein wollen (oder weniger schlecht, aber das wird uns nicht zurück an die Spitze bringen). Ehrgeizig, um Ansatzpunkte auszuwählen, wo wir eine Führungsposition einnehmen wollen. Darauf müssen wir die besten Ressourcen konzentrieren. Darauf müssen wir unermüdlich hinarbeiten. Nur dann erreichen wir diese Ziele, nur dann schaffen wir Jobs mit Wertschöpfung. Taiwan hat es in den achtziger Jahren vorgemacht. Irland tat das Gleiche und wurde einer der wichtigsten IT-Produzenten der Welt. Finnland hat sich erfolgreich auf Mobiltelefone fokussiert. Diese Gelegenheiten haben wir verpasst! Aber jedes Mal, wenn sich die Welt neu definiert, entstehen auch neue Chancen. Wir müssen sie ergreifen und mit Entschiedenheit und Hingabe unseren Weg in die Zukunft bauen.
Es ist höchste Zeit, unsere Kräfte zu konzentrieren, mentale Grenzen zu überwinden, über den Tellerrand hinauszuschauen – und auf die Zukunft zu wetten. Falls wir keinen Erfolg haben, dann haben wir es wenigstens versucht. Und brauchen uns nichts vorzuwerfen.
Daniel Borel (54) ist Gründer und VR-Präsident von Logitech, die er in 24 Jahren zum unbestrittenen Weltmarktführer für Computerzubehör mit einem Umsatz von 1,3 Milliarden Dollar ausbaute. Daneben sitzt Borel in den Verwaltungsräten von Nestlé, Phonak und der Bank Julius Bär.