Wer früher kündigte, schickte still und leise ein E-Mail. Doch das ist vorbei: Immer mehr Menschen kündigen auf Social Media, ganz öffentlich und mitunter sogar per Video. Auf der Plattform Tiktok passiert das mittlerweile so häufig, dass es sogar ein eigenes Wort dafür gibt: Quittok. Quit kommt vom Englischen und steht für kündigen.

Die Clips zu beruflichen Abschieden gehen dort in den dreistelligen Millionenbereich. Manche Kündiger filmen sich sogar, wie sie tanzend das Büro verlassen, oder rechnen vor der Handy-Kamera mit dem Ex-Chef ab. Bei Twitter und Linkedin mehren sich ebenfalls die Abschieds-Posts. Doch ist es der Karriere zuträglich, seine Kündigung online zu veröffentlichen? Oder verdirbt man sich so zukünftige Jobchancen?

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Quittok in der Schweiz

Bislang sind Quittoks vor allem ein US-Phänomen. Doch der Trend, mit einer Kündigung offener umzugehen, ist auch hierzulande spürbar. Die Zeiten, in denen nur hinter vorgehaltener Hand über den beruflichen Wechsel gesprochen wurde, sind vorbei. Immer mehr Menschen dokumentieren ihr Leben lückenlos online – und dazu gehört eben auch eine Kündigung.

«Die Transparenz nimmt zu. Den neuen persönlichen Status öffentlich zu teilen, ist normal», beobachtet Thomas Straessle, Managing Director bei der Personalberatung Kienbaum in Zürich. Der Kenner des Manager-Arbeitsmarktes schränkt jedoch ein, dass diese Praxis noch nicht ganz oben angekommen sei, sondern «eher auf der Ebene des Middle-Managements».

Auch Unternehmen gehen mittlerweile offener mit Personalien um. «Früher wurde nur intern kommuniziert, wenn eine neue Person kam, mittlerweile begrüssen die Firmen ihre Neuen auf Social Media», beobachtet Anne Forster, Karriereberaterin aus Zürich.

Wertvoll für den Arbeitgeber

Solche Personalmeldungen erfüllen zwei Funktionen: Zum einen zeigt die Firma, dass sie attraktiv für Topkräfte ist, zum anderen demonstriert sie Veränderungsbereitschaft. Wird zum Beispiel eine Fachperson für «agiles Arbeiten» an Bord geholt, können potenzielle Bewerberinnen und Bewerber erkennen, dass sich die Organisation mit modernen Arbeitsmethoden beschäftigt.

Für Angestellte kann es grundsätzlich sinnvoll sein, den freiwilligen Abschied in den sozialen Medien zu erwähnen. Denn das hilft bei der Selbstvermarktung. «So signalisiert man auch Headhuntern ‹Sie können anrufen›», sagt Karriereberaterin Forster.

Sie rät allerdings, die persönliche Veränderung zunächst im Offline-Netzwerk bekannt zu geben, um diesen Kontakten einen zeitlichen Vorsprung zu geben. Erst danach solle man an die Netzöffentlichkeit gehen.

Höflicher Abschied oder harsche Kritik 

Die Abschiedsmeldung kommt in der Schweiz üblicherweise als höflicher Post bei Linkedin daher, nach dem Muster «Ich freue mich, nach sieben Jahren bei Firma XY eine neue Herausforderung anzunehmen». Zur Etikette gehört, sich bei Kollegen und Vorgesetzten zu bedanken. Die Kündenden wählen ihre Worte meist neutral, allzu Werbliches wie beispielsweise «Bin für Angebote offen» gilt unter Profis als Tabu.

So weit die versöhnliche Version. Doch viele können sich eine kleine Spitze gegen den Noch-Arbeitgeber nicht verkneifen. Ein Beispiel: Sterling Crispin, ein Ingenieur bei Apple, kündigte im vergangenen Oktober auf Twitter und sorgte mit diesem Schritt für Wirbel; der Computerkonzern gilt für viele als Traumarbeitgeber.

In seinem Tweet beklagte sich der Programmierer über die Geheimhaltungskultur bei dem Konzern, die «einen Drittel seines Kündigungsgrundes» ausmache. Tausende von Twitter-Nutzern beglückwünschten ihn zu dem Schritt.

Aber ist es klug, öffentlich Gründe für den Abschied zu nennen? Hier gehen die Meinungen auseinander. «Was einmal im Internet steht, können Sie nie wieder rausnehmen», wendet Karriereberaterin Forster ein. Sie gibt ihren Kunden folgende Regel mit auf den Weg: Schreiben Sie bei Linkedin und Co. nichts, was Sie nicht auch in der Zeitung lesen wollen.

Wer zu hart mit dem Ex-Arbeitgeber ins Gericht gehe, könne sich zukünftige Jobchancen verderben, warnt Forster. «In der Schweiz ist der Arbeitsmarkt überschaubar. Gerade hier gilt, dass man sich immer zweimal trifft!»

«Wenn ein Mitarbeitender sich noch während seiner Kündigungsfrist sehr negativ äussert, liegt eine Verletzung seiner Treuepflicht vor»

Michèle Stutz, Anwältin

Also lieber geräuschlos gehen? Claudia Lorber, Rekrutierungsberaterin aus Wien, ist anderer Ansicht. «Ein Kündigungs-Post darf durchaus kritisch sein – das ist doch ein Existenzgrund von Social Media.» Zu schreiben, dass man nicht zum Arbeitgeber gepasst habe, findet Lorber vertretbar. «Die Mitarbeitenden haben die Reife, ihren Unmut sachlich kundzutun.» Personalberater Straessle beobachtet, wie geschickt Profis mitunter ihre Kritik unterbringen.

«Manche beschreiben in ihrer Abschiedsnotiz, was sie sich vom nächsten Arbeitgeber wünschen – natürlich genau jene Punkte, die der letzte nicht bot.» Grosse Aussagekraft hat zudem die Betriebszugehörigkeit. Wenn ein Topmanager nach zwanzig Jahren öffentlich den Hut nimmt, kann allein das ein schlechtes Licht auf den Arbeitgeber werfen.

Juristische Konsequenzen sind möglich

In einem Punkt sind sich die Experten einig: Allzu laut und schrill sollte die Abschiedsvorstellung auf Social Media nicht ausfallen. Denn das könnte juristische Probleme nach sich ziehen. «Wenn ein Mitarbeitender sich noch während seiner Kündigungsfrist sehr negativ äussert, liegt eine Verletzung seiner Treuepflicht vor», erklärt Michèle Stutz, Fachanwältin für Arbeitsrecht bei MME Legal Tax Compliance, Zürich. Sanktionen könnten hier von einer Verwarnung bis – in extremen Fällen – zu einer fristlosen Kündigung führen. Die Schwellen dafür seien allerdings hoch, so die Anwältin.

Ein wesentlich grösseres Risiko sieht Stutz darin, dass der Arbeitgeber die Wortwahl des Schlusszeugnisses ändern könnte. «Im Gegensatz zum Zwischenzeugnis wird es erst am Enddatum ausgestellt.» Äussert sich der Mitarbeitende zu negativ, kann er nicht mehr mit Formeln wie «hat sich stets loyal verhalten» rechnen.

Übrigens sind selbst nach dem endgültigen Ausscheiden der Kritik Grenzen gesetzt. Wer in seinem Abgangskommentar beleidigend wird, kann wegen übler Nachrede oder Verleumdung angezeigt werden.

Wer die Brücken hinter sich verbrennt, zerstört zudem die Chancen auf eine Einigung in letzter Sekunde. «Es gibt Fälle, in denen der Arbeitgeber innerhalb von 24 oder 48 Stunden ein Gegenangebot finanzieller Natur macht», berichtet Kienbaum-Chef Straessle.

Post zerstört Chance auf Gegenangebot

Der ein oder andere nimmt eine solche Offerte durchaus an und zieht seine Kündigung zurück. Doch wer schon vorher auf Social Media lautstark seinen Abschied gefeiert hat, kann vermutlich nicht mit einem Gegenangebot rechnen.

So ironisch es klingen mag: Letztlich könnten sich die Abschiedsvideos sogar als Segen für die Arbeitgeber entpuppen, weil sie so wieder mehr über die Leute erfahren, die ihren Sessel räumen. Dieses Wissen ist bislang nämlich dürftig. Während früher oft mehrere Exit-Gespräche stattfanden – mit dem CEO, der Personalabteilung und Kollegen –, lässt man es heute vielerorts bei einer einzigen Abschiedsrunde bewenden. Und dieses verbleibende Exit-Gespräch ist oft reine Formsache.

Anhand der Abschiedsvideos im Netz könnten Unternehmen in Zukunft wieder mehr darüber erfahren, wo es intern knirscht. Rekrutierungsexpertin Lorber hält das für eine Chance. «Wenn zum Beispiel mehrfach ähnliche Vorwürfe kommen, wäre es sinnvoll, das Gespräch zu suchen.» Das sollte allerdings nicht öffentlich stattfinden, sondern im Idealfall immer persönlich.