Du verlässt das Flugzeug immer erst nach dem Eigentümer.» Diesen Spruch raunen sich Spitzenmanager gelegentlich zu, die als Externe ein Familienunternehmen führen. Sie beschreiben damit ihre besondere Rolle. Zwar sind sie verantwortlich für die Geschäfte – aber sie haben immer jemanden über sich: den Eigentümerclan, in dem Typen wie Onkel Werner, Tante Doris und der Senior Ueli das Sagen haben.
Das macht den Job des Fremdmanagers speziell. Es gilt, die Vorlieben, Ticks und manche Marotte der Eigentümer zu respektieren. Wer die Inhaberfamilie ignoriert, ist schnell weg vom Fenster.
Ralph Siegl hat all diese Widernisse beiseitegeschoben – und stieg 2006 ins Berufsfeld Familienunternehmen ein. Er wurde CEO des Confiseurs Läderach, der sich in zweiter Generation in Familienbesitz befindet. Einen eigenen Spross konnte die Familie damals nicht an die Spitze setzen – Inhaber Jürg Läderach war altershalber aus dem Amt des Firmenchefs gerade in den VR-Vorsitz gewechselt.
Heute, zwölf Jahre später, blickt Siegl auf einen Weg im Schoggi- und Praliné-Geschäft zurück, der ohne Vorbehalt als gelungen anzusehen ist. «Ich habe meinen Auftrag erfüllt», sagt er über seinen Einsatz. Die Familie holte ihn wegen seiner Markenexpertise vom Food-Multi Nestlé in ein Arbeitsfeld vergleichsweise beschaulichen Formats. In der Zeit seines Wirkens brachte er Läderach als Konsumentenmarke nach vorn und, ebenso wichtig: Er sorgte für ordentliches Wachstum, bis ein Läderach-Spross bereit war für den Einstieg in den CEO-Job. Anfang März übergab Siegl die Leitung in die Hände von Johannes Läderach. Der 32-Jährige ist der Enkel des Firmengründers Rudolf Läderach.
Wie schaffte es Siegl, trotz seiner ehrgeizigen Agenda nicht bei der Familie anzuecken? «Das wichtigste ist Demut – und zwar auf beiden Seiten», sagt der 52-Jährige, «und sehr viel zuhören.» Fragen stellen sei weit bedeutsamer als schnelle Antworten parat zu haben. «Man muss herausfinden: Was treibt die Eigentümer jenseits von Umsatz und Gewinn an?» Unternehmerfamilien, erkannte er in Gesprächen mit den Eigentümern, denken in Generationen, nicht in Quartalen – und jeder Firmenchef, gleich ob er aus der Familie kommt oder von extern, habe das zum Leitmotiv seines Tuns zu machen. «Es ist die treuhänderische Verwaltung des Familienunternehmens im Auftrag der nächsten Generation, die den Laden dereinst erben wird.»
Für jeden, der aus der Konzernwelt kommend in die Welt der Inhaberunternehmen einsteigt, ist das ein krasser Wandel. «Meine Arbeit im Grosskonzern war durchstrukturiert, sehr zahlenlastig. Ich war von Controllern umgeben, die einem jeden Tag gesagt haben, wie das Geschäft zu sein hat», beschreibt Siegl sein Vorher. Er habe nach vorgegebenen Best Practices gearbeitet und sich oft mehr mit dem Innenleben des Konzerns beschäftigt als mit Kundennutzen. «Ich war mehr Soldat als Unternehmer», sagt der Nestlé-Veteran, der heute die Beratungsfirma Experts for Leaders führt.
Umstieg in eine kleinere Welt
All das änderte sich mit seinem Einstieg bei Läderach. Statt einer unter vielen Topkadern in einem Multimilliardenbetrieb zu sein, prägt er fortan das Geschäft eines Mittelständlers, der nach Schätzungen mehr als 120 Millionen Franken Umsatz erwirtschaftet. Für ihn war das, wie er es nennt, ein Downsizing im Beruf, aber persönlich ein Upsizing. In Familienunternehmen gibt es überschaubare Strukturen und eine echte Unternehmerrolle. «Plötzlich sprichst du persönlich mit Kunden, die seit Jahrzehnten mit den Produkten vertraut sind, mit Mitarbeitern, für die Treue, Expertise und Freude am Gelingen mehr zählen als schnelle Karriere und Job-Rotation», beschreibt er seinen Umstieg von der grossen Welt in die kleine.
Nach den Erfolgsmustern eines solchen Wechsels befragt, sagt der Konsumgüter-Profi: «Wer sich beim Schritt an die Spitze eines Familienunternehmens als Feldherr oder Besserwisser aufstellt, wird scheitern.» Es sei ein Irrglaube, dass nur Grosskonzerne professionell geführt würden und Familienunternehmen als verstaubt, gestrig und modernisierungsbedürftig gelten. Zwar ist das laut einer Studie der Executive-Search-Firma Egon Zehnder eine häufige Kritik von externen Spitzenmanagern. Ein Drittel der in einer weltweiten Studie Befragten hat demnach Bedenken gegenüber dem Berufsweg ins Familienunternehmen. «Familie untergräbt Autorität des von aussen kommenden CEO», «Überbordende Kontrolle durch die Eigentümer, auch wenn sie nicht im Geschäft operativ tätig sind», «Nepotismus» und «Fehlende Dynamik»; solche Einwände bekamen die Zehnder-Befrager nicht nur einmal zu hören.
Das freilich ist oft nur das Fernbild, das wenig mit den tatsächlichen Verhältnissen zu tun hat. «Familienunternehmen haben in den letzten zehn Jahren massiv auf Professionalisierung gesetzt», sagt Andreas Zehnder, bei Egon Zehnder Schweiz für das Geschäft mit Familienunternehmen verantwortlich.
Undurchschaubare und hausbackene Strukturen seien modernisiert worden – und wer als Externer in die Welt der Inhaberunternehmen einsteige, entdecke ganz andere Seiten. «Hier zählen Beständigkeit und Loyalität», sagt der Zürcher Personalberater. «Wer einen Job als Familienfremder in Aussicht hat, sollte gleich zu Anfang zwei Dinge herausfinden: ‹Warum setzt die Familie gerade auf mich, welche persönlichen und beruflichen Kompetenzen sind ihr wichtig, was erwartet sie von mir?› und ‹Was eigentlich treibt die Familie an, die ältere wie die junge Generation, was sind ihre Kernwerte?›.» Diese Fragen gelte es möglichst noch vor dem ersten Arbeitstag zu klären. Denn nur dann entstehe ein Verständnis dafür, dass Inhaber von langfristigen Themen getrieben werden, die nur selten auf rein kommerziellen Überlegungen beruhen. «Da ist dynastisches Denken. Da sind Leidenschaft und Passion. Die Familien wollen heute die Voraussetzungen dafür schaffen, dass ihr Geschäft auch morgen noch vital ist», sagt Zehnder.
Emotionale Dividende
Überdies gilt es, mit den Wunderlichkeiten der Familie umzugehen – konstruktiv. Wenn Tante Doris aus dem Eigentümerkreis jammert, weil die Dividende so niedrig ausfalle, habe es keinen Sinn, das als Störung abzutun. «Wer die Familie gegen sich aufbringt, hat verloren», gibt die Management-Beraterin Katja Unkel zu bedenken. Vielmehr habe der externe CEO gegenüber der Familie eine ständige Erkläraufgabe. Es gelte, auch den Business-Amateuren in der Eigentümerfamilie das Geschäft nahezubringen: «Denen klarmachen, dass es in manchen Jahren gut ist, wenn aus dem Gewinn zunächst die Firma bedient wird – und dann erst die Familie», sagt die Consulterin aus Feusisberg.
Auch die Wissenschaft stützt diese Perspektive. «Jeder familienexterne CEO sollte immer daran denken, dass es zwei Felder zu managen gibt: das Geschäft und die Familie», sagt Josh Hsueh, der an der Uni St. Gallen zum Thema Familienunternehmen forscht. Die Inhaber erwarten, dass für sie nicht nur finanziell alles stimmt – sondern dass es auch eine emotionale Dividende gibt. «Das Ansehen, der gute Ruf, der Stolz auf Tradition und Zukunftsfitness», zählt der Wissenschafter vom Center for Family Business auf, worauf fast jede Unternehmerfamilie Wert lege. Das schliesse zum Beispiel aus, bewährte Lieferanten von heute auf morgen zu kappen oder mal eben eine Hundertschaft Mitarbeiter auf die Strasse zu setzen. «All das schadet dem Ansehen der Familie – und ist ein No-Go», so Forscher Hsueh.
Regeln für Externe
Zuhören: Den Willen der Familie herausfinden – und respektieren.
Kein Sonnenkönig: Auf der Bühne steht die Familie vorn. Schlagzeilen-CEO sind meist unerwünscht.
Überraschungen vermeiden: Inhaberfamilien hassen schlecht oder fehlerhaft angekündigte Veränderungen. Alle Vorgänge realistisch und nie rosig kommunizieren.
Rezessionsfest managen: Wichtiger als maximale Rendite im Boom ist der kluge Umgang mit langfristigen Risiken.
Emotionale Dividende: Reputation über alles. Inhaber wollen stolz und geachtet sein.
Cool bleiben: Raushalten aus Familienstreit. Sich nicht als «besserer Sohn» verstehen.
Keine Nebenregierung: Neben-Chefs aus dem Inhaberkreis nicht dulden. Aber Vorgänge auch für Clanmitglieder mit wenig Ahnung geduldig erklären.