Die Mutterorganisation der Staefa Control, die Elektrowatt AG, kündigte im Dezember 1995 überraschend die Übernahme des traditionsreichen Industrieunternehmens Landis & Gyr in Zug an. Über Nacht wurden die beiden Schweizer Konkurrenten zum Marktführer in Europa auf dem Gebiet der Gebäudeautomation. Mit diesem Schritt sollte die Basis für ein nachhaltiges Ertragswachstum sowie für eine weltweite Marktführerschaft gelegt werden. Das neue Unternehmen wies mit über 8000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu Beginn des Mergers einen Umsatz von rund 1,5 Milliarden Franken aus. Nachdem die kartellrechtlichen Abklärungen Ende März 1996 abgeschlossen waren, galt es, europaweit über 300 Schlüsselpositionen zu besetzen, ein neues Corporate Design zu erstellen, neue juristische Einheiten zu bilden sowie Informationstechnologie und Lokalitäten hier wie dort zu überprüfen.

Auch im Bereich Product-Marketing & Development (PMD) standen grosse Entscheidungen an. Sämtliche Produkte beider Firmen mussten abgeglichen und neu positioniert werden, und auch im Systembereich galt es, neue Weichen zu stellen: Welches Gebäudeleitsystem sollte im Jahre 1999 am Markt eingeführt werden? Fast 400 Ingenieure und Informatiker, etwa jeweils zur Hälfte in Zug und Stäfa tätig, waren damit beschäftigt, für die Verkaufsorganisationen im Ausland gemeinsame Produkt- und Marketingpläne zu erstellen und die bestehenden Projekte voranzutreiben. Zudem galt es, die neue Aufbauorganisation - mit standortübergreifenden Produktlinien und Projektteams - zu definieren und den gemeinsamen Entwicklungsprozess neu zu bestimmen. «Es läuft eigentlich ganz gut. Wir sprechen die gleiche Sprache. Der Produktentstehungsablauf in Zug gleicht demjenigen in Stäfa. Sicher, wir haben ein paar Überschneidungen im Sortiment, die wir noch klären müssen …» Dies waren die ersten Reaktionen im Sommer 1996, nachdem der Merger zwischen der Landis & Gyr (Building Control) und der Staefa Control System europaweit ins Rollen kam.

Im Herbst 1996 mehrten sich die kritischen Stimmen dann zusehends: «Ich sehe zurzeit nicht, welchen Mehrwert die Kollegen am anderen Standort bringen. Hätten wir alleine weiter arbeiten können, wären unsere Entwicklungsprojekte jetzt abgeschlossen. Die andern sind total überheblich; wenn das so weitergeht …»

Initialisierung der Post-Merger-Begleitung

Ende 1996 entschloss sich der Leiter des PMD, eine professionelle externe Integrationsbegleitung zu suchen. Mit Herrn Constantin Peer, Inhaber der Firma Peer Communication in Zug, fanden wir einen Berater, der sich auf dieses Gebiet spezialisiert hatte. Kurz darauf erfolgte mit dem ersten Workshop des Leitungsteams der Startschuss zur Post-Merger-Begleitung. Wir suchten in diesen Workshops unter anderem Unterschiede und Gemeinsamkeiten der beiden Unternehmenskulturen. Dabei entstand die intern bekannt gewordene Zeichnung der Produktlinien-Leiter eines Standortes: Sie symbolisierten die eigene Kultur mit dem Bild eines Engländers, während die andere Seite als Cowboy wahrgenommen wurde (siehe Darstellung auf der nächsten Seite).

Es war beachtenswert, dass der grosse Teil unserer ausländischen Kadermitarbeiter auf die gleichen Kulturmerkmale stiess und sich die jeweiligen Vertreter mit dem «Engländer» beziehungsweise «Cowboy» durchwegs gut identifizieren konnten. Wir möchten es jedoch bereits jetzt vorwegnehmen: Im weiteren Prozess wuchs eine differenziertere Wahrnehmung der kulturellen Unterschiede, und man verabschiedete sich immer mehr vom ursprünglichen Bild.

Zugerdeutsch lernen

In einzelnen Produktlinien wurden Workshops durchgeführt, mit dem gesetzten Ziel, die Post-Merger-Zielsetzung zu erreichen und den möglichen negativen Begleiterscheinungen der Integration entgegenzuwirken. Bei Bedarf haben wir, mit Unterstützung des externen Beraters, Mediationen in Konfliktsituationen sowie Einzelcoachings durchgeführt. Hatten wir zu Beginn des Mergers noch das Gefühl, im grossen und ganzen in beiden Unternehmen die gleiche Sprache zu sprechen, so wurde dieser Trugschluss in der jetzigen Phase augenfällig. Gleiche Begriffe mussten nicht unbedingt auch das gleiche bedeuten, und mit unterschiedlichen Wörtern konnte ohne weiteres das gleiche gemeint sein. Ein Workshopteilnehmer hatte es treffend formuliert: «Wir müssen Stäfadeutsch beziehungsweise Zugerdeutsch lernen.»

Auch im Leitungsteam war ein unterschiedliches Führungsverständnis wahrnehmbar. Interessanterweise wurden diese Unterschiede jedoch je länger, je weniger der kulturellen Zugehörigkeit der einzelnen Produktlinien-Leiter zugeschrieben als vielmehr der Verschiedenartigkeit der Persönlichkeiten.

Vom Post-Merger-Support zur Kulturentwicklung

In einem weiteren Workshop des Leitungsteams wurden gemeinsam «Prinzipien der Führung und Zusammenarbeit» erstellt, welche das neue Führungsverständnis reflektieren sollten. Den ersten Entwurf dieses Führungsleitbildes haben die Produktlinien-Leiter nach dem Workshop mit ihren Mitarbeitern besprochen und auch ergänzt. Es war unsere Absicht, den Entwurf mit möglichst vielen Entwicklungsingenieuren, Produktmanagern und Projektleitern zu vernehmlassen, um so beim Gros der Mitarbeiter eine grösstmögliche Akzeptanz zu schaffen. Mit einigen Ergänzungen und Anpassungen wurde das Führungsleitbild fast genau ein Jahr nach Beginn der Post-Merger-Begleitung durch das Leitungsteam verabschiedet und an alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen innerhalb des PMD übergeben. Die erste Reaktion der Mitarbeiter war für uns ernüchternd. Vor allem an einem der beiden Standorte war man sehr kritisch: «Was sollen diese Prinzipien? Wir kennen solche Leitsätze von früher her - schöne Worte und dann geschieht nichts.» Es zeigte sich, dass die Vernehmlassungen lückenhaft geblieben waren und dass die Prinzipien noch keineswegs akzeptiert, geschweige denn verinnerlicht worden waren. Ein grosses Stück Arbeit lag somit vor uns.

Die Bausteine des Kulturentwicklungsprozesses

Leadership-Coaching-Seminare: Unter der Leitung des externen Beraters Constantin Peer wurden drei Seminarmodule konzipiert, welche auf den PMD-Prinzipien basierten. Über 60 Führungskräfte und Projektleiter aus allen Produktlinien in Zug und Stäfa haben in der Folge an diesen PMD-Führungsseminaren teilgenommen und angefangen, die Prinzipien zu verinnerlichen. Die dabei vom externen Berater gewählte Methodik stiess nach einer anfänglichen Gewöhnungsphase auf ein äusserst positives Echo: Das Vereinbarungsprinzip - Kernelement des Führungsleitbildes - wurde auch in den Seminaren konsequent angewendet, indem jeweils zu Beginn die konkreten Seminarziele mit den Teilnehmern verbindlich vereinbart wurden. Dies widersprach den Teilnehmererwartungen, nach denen der Seminarleiter gewisse Ziele selber vorgeben sollte, vor allem dann, wenn der Vereinbarungsprozess endlos zu werden schien. Die vorgelebte Konsequenz half allen Beteiligten, den Geist der Führungsprinzipien zu verstehen und gemeinsam weiterzuentwickeln. Ein Teilnehmer hat die Umsetzungslogik der Prinzipien und Seminare einmal so formuliert: «Die Prinzipien sind wie die Knochen, an denen wir im Seminar und in unserer Arbeitsumgebung das Fleisch dazugeben. Erst dadurch wird den Knochen (den Prinzipien) das notwendige Leben eingehaucht.»

Produktlinieninterne Vertiefung der Prinzipien

Jeder Produktlinien-Leiter war angehalten, diese Prinzipien in den ersten Monaten nach der Übergabe mit seinen Mitarbeitern zu besprechen. Dabei sollten möglichst alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter involviert werden. Die Art und Weise der Vertiefung war den Produktlinien-Leitern freigestellt: Einige beanspruchten Moderationsunterstützung, andere übernahmen die Vertiefung gleich selber - an einer Abteilungssitzung oder in einem speziellen halbtägigen Workshop. Vorgesetztenbeurteilung: Wir wollten zu jenem Zeitpunkt eine alte Tradition, die durch die intensive Integrationsarbeit vorübergehend zurückgestellt wurde, erneut aufleben lassen. Eine Vorgesetztenbeurteilung sollte einerseits den konkreten Umsetzungsgrad der Prinzipien über mehrere Jahre hinweg messen, andererseits sollte die Vorgesetztenbeurteilung unseren Führungskräften eine Lernchance geben.

Die Fragen, welche die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter freiwillig und anonym zu beantworten hatten, entsprachen fast wörtlich den PMD-Prinzipien. Mit einer Rücklaufquote von ungefähr 70 Prozent konnten wir zu jenem Zeitpunkt zufrieden sein. Das Feedback der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, zusammengefasst und aufbereitet in grafischer Form, war für die Vorgesetzten lediglich ein Zwischenschritt. In einem Auswertungsgespräch mit ihren unterstellten Mitarbeitern konnten die Resultate gemeinsam besprochen, allfällige Missverständnisse geklärt und vor allem auch Ziele für die kommenden Monate vereinbart werden. Dieser letzte und sehr wichtige Schritt wurde teilweise unter Inanspruchnahme einer Moderationsunterstützung durchgeführt. Teamentwicklung und Einzelcoaching: Der vierte und letzte Baustein des Kulturentwicklungsprozesses konnte von den Vorgesetzten bei Bedarf angefordert werden. Die Ziele waren jeweils sehr vielfältig, doch oft ging es darum, einen Prozess zur Steigerung der Effektivität in der Abteilung oder zur Verbesserung der Zusammenarbeit zu initialisieren. Diese Prozesse wurden im Sinn und Geist der PMD-Prinzipien angegangen und laufen teilweise noch bis zum heutigen Tag.

Die Herausforderungen im Kulturentwicklungsprozess

Die letzten Monate waren geprägt von einer grossen Arbeitslast auf allen Ebenen. In den verschiedenen Produktlinien wurden Entwicklungsprojekte abgeschlossen und erste gemeinsame Produkte im Markt eingeführt. Als wäre der Merger von Landis & Gyr mit Staefa Control nicht schon genug anspruchsvoll und komplex, folgte eine zweite Fusion: Die Siemens AG kaufte den Industrieteil der Elektrowatt AG und baute so ihren eigenen Marktanteil auf dem Gebiet der Gebäudeautomation massiv aus. Es zeigte sich bald, dass die strukturellen und kulturellen Konsequenzen dieses zweiten Mergers für die gesamte Landis & Staefa, abgesehen von Deutschland, nicht vergleichbar waren mit dem, was wir bisher erlebt hatten. Innerhalb des Bereiches Product-Marketing & Development mussten Technologiefragen zusammen mit den Verantwortlichen der Siemens Deutschland geklärt werden. Ein weiterer Entwicklungsstandort (Karlsruhe) wurde schrittweise in die Prozesse und Entscheide einbezogen. Und zu den bisherigen Gebäudeleitsystemen der Landis & Staefa kam dasjenige der Siemens dazu.

Subsidiarität innerhalb von Siemens als Kulturmerkmal

Die Ist-Kultur innerhalb der siemens, Landis & Staefa Division, insbesondere auch innerhalb des PMD, kann mit dem Prinzip der Subsidiarität charakterisiert werden. Subsidiarität heisst Verteilung der Verantwortung an diejenige Stelle, die das beste Wissen und die grösste Erfahrung hat. Subsidiarität impliziert sowohl einen hohen Grad an Selbstverantwortlichkeit aller Beteiligten als auch Vertrauen in das Einhalten von Abmachungen. Die Subsidiarität hat den Kulturentwicklungsprozess innerhalb von PMD zum Beispiel insofern beeinflusst, als dass die Teilnahme an den meisten Bausteinen den Mitarbeitern lediglich empfohlen war.

Die Schwierigkeiten des mentalen Wandels

Es ist wohl eine alte Weisheit, dass der «strukturelle» Merger in vielen Firmen problemloser und auch schneller über die Bühne geht als der «mentale» Merger. Wir haben gelernt, dass es sich lohnt, frühzeitig die Führungsmannschaft zu sensibilisieren und im Prozess die richtigen Schritte zur richtigen Zeit einzuleiten. Am besten eignet sich ein Zeitpunkt, wo die Herausforderungen schon spürbar geworden sind, diese aber noch nicht zu ungewollten Abgängen oder anderen irreversiblen Konsequenzen geführt haben. Ebenso hat sich gezeigt, dass die Bereitschaft, kulturelle und andere Unterschiede zu verstehen und daraus kreativ einen Nutzen zu ziehen, wesentlich zum Erfolg einer Integration beiträgt. Entscheidend sind die soziale Kompetenz und das Führungsverständnis der Vorgesetzten: Wieviel Mitverantwortung für den Prozess bin ich bereit zu übernehmen? Kann (und will) ich als «neutraler» Vermittler zwischen den Kulturen agieren? Mit analytischem Denken und Fachkompetenz alleine lassen sich bekanntlich keine Teams bilden und können auch keine vertrauensbildenden Prozesse in Gang gesetzt werden.

Nachdem wir vor zwei Jahren, bedingt durch den Merger, nicht unwesentliche Zeitverluste in unseren Projekten hinnehmen mussten, haben wir in den letzten zwölf Monaten erste wichtige und gemeinsame Produkte rechtzeitig im Markt eingeführt. Die Organisation ist robust, mit klarer Aufgabenzuordnung, implementierten Prozessen und gemeinsamem Selbstverständnis. Weitere, schrittweise Prozessverbesserungen sind nach wie vor im Gange. Die Bausteine zur Umsetzung der Prinzipien der Führung und Zusammenarbeit haben ein sehr positives Echo ausgelöst. Der prozess- und erlebnisorientierte Ansatz des externen Beraters hat einiges bewirkt: «Wir haben heute eine andere Gesprächskultur in unserer Abteilung», lautete kürzlich das Feedback aus Karlsruhe. Der Prozess geht weiter, die Bausteine werden beibehalten, und in ein paar wenigen Monaten werden die Resultate der zweiten Vorgesetztenbeurteilung vorliegen.

Haben wir die Ergebnisse erreicht?

Wir haben die vergangenen zwei Jahre viel Energie und Zeit in die Integrationsbegleitung und Kulturentwicklung investiert. Das Ziel der Know-how-Erhaltung ist im Rahmen der Post-Merger-Vereinbarung erreicht worden. Neben der inhaltlichen Zielsetzung hat der zwischenmenschliche Prozess einen neuen Stellenwert erhalten und eine positive Eigendynamik entwickelt: So haben zum Beispiel Führungskräfte aus unterschiedlichen Produktlinien angefangen, sich regelmässig zu zweit oder in Gruppen zu aktuellen Führungsfragen zu coachen. Als wir Ende letzten Jahres gefragt wurden, ob sich das Ganze für die Firma gelohnt hätte, war unsere Meinung einhellig: «Es ging für uns darum, das Know-how beider Firmen und beider Entwicklungsstandorte zu erhalten. Der wichtigste Lernaspekt ist wohl, dass wir mit dem Begleitprozess noch einiges früher hätten beginnen sollen.»

Partner-Inhalte