Nicht mehr Maschinen, Geld und Immobilien sind das wichtigste Kapital des Unternehmens im 21. Jahrhundert, sondern nur noch eines: das Wissen der Mitarbeiter. Wer als Unternehmen im gnadenlosen globalen Wettbewerb mithalten will, muss sich die bestausgebildeten, kreativsten und innovativsten Mitarbeiter sichern, sie hegen und pflegen, ihnen ein befriedigendes Umfeld zur Verfügung stellen, ihnen Zeit zur privaten Entfaltung lassen und sie goldig bezahlen.
Dieses ziemlich rosige und weitgehend theoretische Bild entspricht ganz gewiss nicht den Erfahrungen der Neunzigerjahre (Sie erinnern sich: hohe Arbeitslosigkeit, zum Teil auch unter Jungakademikern, Reallohnabbau, Frühpensionierungen – «wenns Ihnen nicht passt, können Sie ja gehen»). Dieses Bild ist aber dennoch lange genug gepredigt worden, um sich in den Köpfen zumal der jungen Menschen festzusetzen. Und heute ist das wirtschaftliche Umfeld dermassen auf Wachstum, Erneuerung und Aufbruch eingestimmt, dass die Theorie von der Praxis eingeholt wird: Jetzt werden die gut ausgebildeten, jungen, kreativen und innovativen Mitarbeiter tatsächlich zum raren Gut.
Und das wissen sie auch ganz genau, stellen entsprechende Forderungen und erwarten von ihrem Arbeitgeber manches, wonach in den Neunzigerjahren niemand zu fragen gewagt hätte. «Dann können Sie ja gehen», hat für sie den Schrecken verloren: Wenns ihnen nicht passt, dann kommen sie gar nicht erst. Recht haben sie, denn der Trick mit dem längeren und dem kürzeren Hebel funktioniert für sie heute auf beiden Seiten.
Doch welche Anforderungen an den Arbeitgeber stellen denn nun die klugen, jungen Köpfe? Wie sieht ihr idealer Arbeitgeber aus? Und was haben sie selber diesem zu bieten? Um diese Fragen zu beantworten, führt die schwedische Organisation «Universum» seit einigen Jahren in ganz Europa (und neuerdings auch in den USA) eine Befragung von Studierenden an Universitäten und Fachhochschulen durch. Die Ergebnisse für die Schweiz werden exklusiv in der BILANZ publiziert*.
Der ideale künftige Arbeitgeber ist demnach ein multinationales Unternehmen mit heimischen Wurzeln in der Schweiz, dessen Entscheidungsprozesse dezentralisiert stattfinden, das eine kooperative, informelle Atmosphäre bietet und seine Mitarbeiter auf Unternehmenskosten weiterbildet.
Dies geht aus der Befragung von mehr als 1500 Studierenden der Fachrichtungen Ökonomie, Ingenieur- und Naturwissenschaften hervor. Die Grösse des Samples bietet Gewähr für ein hohes Mass an Repräsentativität. Knapp die Hälfte der Befragten stammt aus dem Bereich der Wirtschaftswissenschaften (48 Prozent), etwas mehr aus jenem der Ingenieur- und Naturwissenschaften (51,4 Prozent, im folgenden «Techniker» genannt). Die Hälfte der Befragten studiert an schweizerischen Universitäten (49,8 Prozent), die andere Hälfte an Fachhochschulen (50,2 Prozent). Der Anteil der Fachhochschüler ist bei den Technikern etwas höher; die Romands studieren häufiger an Universitäten als die Deutschschweizer.
Der Anteil der Frauen am Sample entspricht etwa dem Gesamtanteil in den angesprochenen Studienrichtungen. 18,5 Prozent der Befragten sind Studentinnen (Ökonominnen 26,2 Prozent, Ingenieurinnen und Naturwissenschafterinnen 11,3 Prozent). Dabei wird aus der Befragung deutlich, dass sich die Vorstellungen über den idealen Arbeitgeber bei Studentinnen und Studenten weniger markant unterscheiden, als man eigentlich vermuten sollte, und weniger markant als in der Vergangenheit.
Nach ihren Lebenszielen in den ersten drei Berufsjahren befragt, nennen mehr als die Hälfte aller Studierenden den «Aufbau einer Karriere» vor der «Entwicklung der Persönlichkeit» und «Reisen». Freunde, Fitness, Hobbys oder gar die Gründung einer Familie folgen eher unter «ferner liefen».
Erstaunlicherweise denken 5,7 Prozent der Techniker und 9,5 Prozent der Ökonomen an den Aufbau eines eigenen Unternehmens; der Drang zur Selbstständigkeit, der sich schon im Vorjahr manifestiert hat, hält also unvermindert an. Was die Befragten unter ihrem wichtigsten Lebensziel, dem «Aufbau einer Karriere», genau verstehen, wird aus den Antworten auf die Frage nach den Karrierezielen in den ersten drei Berufsjahren deutlich. Ein «Gleichgewicht zwischen Privatleben und Karriere» zu finden, geben fast zwei Drittel der Studierenden als wichtigstes Ziel an, gefolgt von «zunehmend herausfordernden Aufgaben» und «internationaler Tätigkeit».
Die äusseren Insignien des Aufstiegs, wie etwa die Höhe des Salärs oder der schnell erreichbare hierarchische Rang, spielen eine vergleichsweise bescheidene Rolle in den Karrierevorstellungen der Berufseinsteiger. Inhaltliche Kriterien wie etwa die Sinnhaftigkeit der Arbeit sind in dieser Phase wichtiger. Dafür spricht auch der erstaunlich hohe Anteil von Studierenden, die mit ihrer Arbeit explizit einen «Beitrag zur Entwicklung der Gesellschaft» leisten wollen (11,7 Prozent der Techniker, 13,1 Prozent der Ökonomen).
Das heisst freilich nicht, dass die materiellen Rahmenbedingungen für die Berufseinsteiger keine Rolle spielen. Sie haben im Gegenteil sehr präzise Vorstellungen davon, was auf sie zukommt und was sie erwarten. So rechnen die Techniker im Durchschnitt mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 42,4 Stunden, die Ökonomen gar mit 46,4 Stunden. Doch das sind Durchschnittswerte, um die eine enorme Streuung besteht.
So erwartet etwa ein Drittel der Techniker eine wöchentliche Arbeitszeit von weniger als 40 Stunden, und nur knapp fünf Prozent glauben, dass sie sich den Berufseinstieg mit mehr als 50 Wochenstunden erkrampfen müssen. Insgesamt befinden sich die Techniker mit ihren Erwartungen im Bereich der gesamtschweizerisch durchschnittlich geleisteten Arbeitszeit von 41 bis 45 Stunden pro Woche. Die Ökonomen sehen da Ärgeres auf sich zukommen: Mehr als 13 Prozent rechnen mit wöchentlichen Arbeitszeiten von über 50 Stunden, und nur ein Viertel glaubt, es mit dem Landesüblichen bewenden lassen zu können. Den auf sie zukommenden Leistungsanforderungen entsprechen allerdings auch die Vorstellungen über die angemessene Kompensation.
Die Ökonomen erwarten als Einstiegssalär im Durchschnitt 74354 Franken und nach drei Jahren 98 193 Franken; die Techniker begnügen sich mit 67 592 beziehungsweise 86 677 Franken. Interessant sind hierbei die Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Berufseinsteigern sowie zwischen Deutschschweizern und Romands. Die Männer erwarten zum Einstieg im Durchschnitt aller Befragten 71620, die Frauen 68 812 Franken Jahressalär; Deutschschweizer erwarten mit 73665 Franken rund 9000 Franken mehr als die Romands. Mit zunehmender Berufserfahrung, so glauben die Befragten, vermindern sich die Unterschiede, ohne freilich ganz zu verschwinden.
Auch diese Zahlen sind freilich Durchschnittswerte, hinter denen sich heftige Ausschläge nach oben und nach unten verstecken. So erwarten fast zwölf Prozent der Ökonomen zum Berufseinstieg ein Jahressalär von über 90000 Franken, und nach drei Berufsjahren, so denkt fast ein Viertel der Befragten, sollten es gewiss mehr als 110000 Franken sein.
Wie aber sollte der künftige Arbeitgeber beschaffen sein? 34,9 Prozent der Ökonomen und 27,8 Prozent der Techniker bevorzugen ein multinationales Unternehmen mit schweizerischen Wurzeln. Für die Ökonomen folgt an zweiter Stelle ein Multi ausländischer Herkunft (18,5 Prozent), für die Techniker ein kleines Schweizer Unternehmen (19,5 Prozent). Und 19,2 Prozent der Ökonomen sowie 11,9 Prozent der Techniker würden am liebsten im eigenen Unternehmen arbeiten.
Wie auch immer die Struktur des Unternehmens ist, es sollte folgende Leistungen anbieten können: vom Unternehmen bezahlte Weiterbildung (35,7 Prozent der Techniker, 31,2 Prozent der Ökonomen), flexible Arbeitszeiten (31,9 und 21,9 Prozent), internationale Karrieremöglichkeiten (21,6 und 28,9 Prozent), inspirierende Kollegen (20,2 und 19,8 Prozent). Aus diesem Muster von Wünschen und Anforderungen ergibt sich die Rangfolge der idealen Arbeitgeber für akademische Berufseinsteiger fast von selbst (siehe Tabellen «Überflügelt» und «Rotes Kreuz gefragt» auf den Seiten 152 und 153). Und dabei fällt auf: Die Schweizer Studierenden setzen im Wesentlichen auf Bewährtes.
Bei den Ökonomen werden die ersten vier Plätze von schweizerischen Multis besetzt (SAirGroup, CS, UBS und Nestlé), gefolgt von lauter Beratungsunternehmen mit amerikanischen Wurzeln – mit zwei markanten Ausnahmen: dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK, Rang 6) und dem finnischen Telekommunikationsunternehmen Nokia (Rang 9). Die Techniker sind nicht weniger konservativ: Unter den top 10 finden sich fünf Schweizer Multis (ABB, SAirGroup, Nestlé, Swisscom und Roche), dazu vier ausländische Technologiekonzerne (Siemens, Nokia, Airbus und IBM) sowie abermals und gleich auf Rang 2 das IKRK.
Vergleicht man diese Rangliste mit jener der amerikanischen MBA-Studenten (siehe Tabelle «Gefragte New Economy» auf Seite 158), so fällt zweierlei auf: ein hohes Mass an Übereinstimmung – und erhebliche Abweichungen. Nicht weniger als die Hälfte aller Top-50-Unternehmen der Schweizer Ökonomen figurieren auch bei den amerikanischen Kommilitonen unter den top 100, darunter die Schweizer Firmen Nestlé und CS Group. Der Spitzenreiter unter den amerikanischen Firmen, McKinsey, belegt in der Schweizer Beliebtheitsskala Rang 13; die amerikanische Nummer 3, Goldman Sachs, figuriert bei den Schweizer Ökonomen auf Rang 23; und die amerikanische Nummer 4, Boston Consulting, schafft es auch in der Schweiz in die top 10. Von den insgesamt 24 amerikanischen Top-100-Unternehmen, die auch in der Schweiz zu den beliebtesten zählen, stellen die Beratungs- und die Bankbranche den grössten Teil. Von den US-Industrieunternehmen schaffen es nur Procter & Gamble und Coca-Cola in die Schweizer Spitzenränge.
Verblüffender als die Übereinstimmungen sind allerdings die Abweichungen. Die amerikanischen Ökonomen scheinen gegenüber Unternehmen der neuen Wirtschaft wesentlich aufgeschlossener zu sein als ihre schweizerischen Kommilitonen. So belegt der virtuelle Buchladen Amazon.com in der amerikanischen Hitparade Rang 2 (Vorjahr Rang 130) und das Internetportal Yahoo Rang 6 (Vorjahr: 146). Beide Unternehmen spielen in den Wünschen der Schweizer Ökonomen keine Rolle. Und andere Technologieunternehmen, die in der amerikanischen Rangliste locker in die Top 20 vorstossen, laufen in der Schweiz allenfalls unter «ferner liefen» mit, darunter selbst weltbekannte Konzerne wie IBM und Microsoft.
Die Schweizer Studierenden sind in ihren Arbeitgeberpräferenzen nicht nur reichlich wertkonservativ, sie sind auch über die Jahre hinweg ziemlich stabil, die Ökonomen etwas ausgeprägter als die Techniker. Von den top 10 der Ökonomen figurierten sieben bereits im Vorjahr in dieser Spitzengruppe; dazu gestossen sind Arthur Andersen, Nokia und Boston Consulting, herausgefallen sind McKinsey, Novartis und Swiss Re. Wobei diese Verschiebungen keineswegs spektakulär sind. Unter den Spitzenfirmen des Vorjahres musste einzig Novartis einen heftigen Taucher hinnehmen, von Rang 7 auf Rang 25.
Doch dies hat vermutlich weniger mit ihrer tatsächlichen Qualität als Arbeitgeber zu tun als vielmehr mit dem allgemeinen Image des Unternehmens, das sich einigermassen schwer damit tut, die Spätfolgen der Fusion zu verdauen. Umgekehrt ist bei den Ökonomen der finnische Telekommunikationskonzern Nokia der strahlendste Aufsteiger (von Rang 28 auf Rang 9).
Etwas weniger stabil in ihren Beurteilungen sind die Techniker: Nur fünf der letztjährigen top 10 konnten sich in der Spitzengruppe halten (ABB, SAirGroup, Swisscom, Siemens und Airbus). Mehr oder minder stark abgestürzt sind hier Sulzer (minus 3 Ränge), Hewlett-Packard (minus 7), Novartis (minus 8), Pilatus (minus 17) und Motorola (minus 24). Und aufgestiegen in die Elite sind: IKRK (plus 12), Nestlé (plus 9), Nokia (plus 8), Roche (plus 16) und IBM (plus 2).
Eine Gesamtrangliste, die dann die Beliebtheit der Unternehmen bei allen Studierenden darstellen würde, lässt sich aus den vorliegenden Daten fairerweise nicht konstruieren. Zu unterschiedlich ist das Anforderungsprofil, das die verschiedenen Studienrichtungen an potenzielle Arbeitgeber anlegen. Während die Ingenieure und Naturwissenschafter eher technologische Kriterien anlegen (Entwicklungsniveau der Produkte, Stand der Forschung), bewerten Ökonomen wohl eher die Organisationsstruktur ihres künftigen Arbeitgebers oder seine globale Präsenz.
Dennoch lassen sich aus den vorliegenden Ranglisten, verknüpft mit den Interessen- und Anforderungsprofilen der Studierenden, allgemeine Schlüsse ziehen. Die Erwartungen der Berufseinsteiger sind sehr differenziert. Materielle Erwägungen spielen selbstverständlich eine Rolle, sind aber nicht ausschlaggebend für die Wahl des Arbeitgebers. Gewünscht werden möglichst hierarchiefreies Arbeiten, systematische Weiterbildung auf Firmenkosten, die Chance, sich wachsenden Herausforderungen zu stellen, und dies alles verbunden mit der Möglichkeit, die persönliche und private Entwicklung mit der beruflichen unter einen Hut zu bringen.
Kurz: Die Berufseinsteiger wollen als Menschen wahrgenommen werden, nicht einfach als Arbeitskräfte. Sie wollen sich weiterentwickeln können und nicht nur immer mehr verdienen. Oder noch kürzer: Sie wollen eine Arbeit, die Sinn macht.
Symptomatisch für diese Anspruchskombination ist der hervorragende Rang des IKRK als Arbeitgeber. Dieses «Unternehmen» bietet weder exorbitante Verdienstmöglichkeiten noch schnelle Aufstiegschancen in der Hierarchie. Aber es bietet die Chance, bereits in jungen Jahren im Feld grosse Verantwortung zu übernehmen. Und es bietet Arbeitsplätze, deren Sinn unmittelbar einleuchtet. Die Wasserversorgung in Trockengebieten sicherzustellen, ist eine Herausforderung, deren Nutzen direkt erkennbar ist und damit dem verbreiteten Wunsch entgegenkommt, etwas zur Entwicklung der Gesellschaft beizutragen.
Dass das IKRK für solche Einsätze keine Lebensstellen anbietet, sondern ausschliesslich junge, unverheiratete Kandidaten berücksichtigt, kommt einem anderen Phänomen entgegen, das sich aus der Universum-Umfrage deutlich ergibt: Die meisten Studierenden denken gar nicht daran, sich von Anfang an auf eine längere Zeitspanne festzulegen. Auf die Frage, wie lange sie wohl beim ersten Arbeitgeber tätig sein würden, mochte ein gutes Drittel der Befragten gar nicht antworten. Fast die Hälfte ging aber davon aus, dass drei Jahre wohl die Grenze seien, und nur rund drei Prozent konnten sich vorstellen, länger als fünf Jahre an der ersten Stelle zu verharren.
Die Unternehmen stehen also nicht nur vor der schwierigen Aufgabe, sich den jungen Berufseinsteigern als möglichst attraktive Arbeitgeber zu präsentieren. Sie müssen, wenn sie die Einsteiger denn einmal gekapert haben, immer wieder unter Beweis stellen, dass sie tatsächlich attraktive Arbeitgeber sind. Das heisst, sie sollten die neuen Kollegen mindestens so pfleglich behandeln wie das investierte Geld – denn schliesslich sind diese Mitarbeiter das wichtigste Kapital des Unternehmens.