Diesen Herbst war ich drei Wochen auf Hoga zum Tauchen. Hoga ist eine kleine Insel im südlichen Teil Sulawesis in Indonesien.
Ich war noch nie so weit weg von der Zivilisation. Es gibt hier keine Elektrizität, nur einen kleinen Dieselgenerator. Man wohnt in Holzhütten am Meer ohne fliessendes Wasser, zusammen mit Ratten. Man muss stets aufpassen, dass man nicht auf eine Laticauda-Schlange tritt. Ihr Biss ist bedingungslos tödlich, ein Antiserum gibt es nicht.
Auf Hoga leben nur ein paar Dutzend Einwohner. Ihre Hütten stehen auf Stelzen am Wasser: Sie leben und ernähren sich ähnlich wie die Pfahlbauer bei uns vor 5000 Jahren.
Ich war also auf einer der unberührtesten Inseln dieser Erde.
Die entscheidende Frage lautet nun: Woran erkennen Sie, wenn Sie im Indischen Ozean sind, auf den ersten Blick, ob Sie wirklich an einem abgeschiedenen Palmenstrand sind? Woran erkennen Sie sofort, ob Sie sich wirklich auf einer völlig unberührten Insel befinden?
Sie erkennen es daran, dass der Palmenstrand von Plastik übersät ist. Am Strand von Hoga liegt haufenweise Plastik: Flaschen, Becher, Kanister, Taschen. Die wenigen Einwohner räumen den ganzen Plastikmüll natürlich nicht weg – warum sollten sie auch?
Es ist eine zivilisatorische Ironie, aber man kann meine Beobachtung generell formulieren: Nur wenn an einem Sandstrand viel Plastik herumliegt, ist man in einem letzten, echten Inselparadies.
Manche Plastikteile auf Hoga haben eine lange Reise hinter sich. Das Meer funktioniert globalisiert. Plastik gelangt über die Flüsse in die Ozeane und wird dann durch die Strömungen überallhin verteilt. Die grösste Ansammlung von Plastik ist der Great Pacific Garbage Patch. Es ist ein riesiger schwimmender Plastikteppich zwischen Nordamerika und Asien. Seine Fläche ist mindestens doppelt so gross wie Deutschland. Man schätzt das Gewicht dieses Treibguts auf 100 Millionen Tonnen.
Von blossem Auge ist der Great Pacific Garbage Patch nur schwach zu erkennen, denn viele Plastikteile sind nach einer Weile stark zerkleinert. Auch im Indischen Ozean beginnt sich mittlerweile ein Müllteppich aufzubauen. Denn aus den Schwellenländern und der Dritten Welt gelangen Unmengen von Plastik ins Meer, Tendenz steigend.
Es wird Jahrzehnte dauern, bis sich hier ein ökologisches Bewusstsein entwickelt haben wird. Es wird also ungefähr gleich lang dauern, wie es bei uns gedauert hat. Vergessen wir nicht: Das erste Gesetz zum Gewässerschutz in der Schweiz gab es 1957. Unsere Seen waren damals Kloaken. Erst in den siebziger und achtziger Jahren kam der Bau von Kläranlagen und Kehrichtverbrennungsanlagen bei uns zügig voran.
Es war schon immer schwierig, Ökonomie und Ökologie unter einen Hut zu bringen. Es brauchte auch bei uns Jahrzehnte. In Indonesien hätte eine grünliberale Partei heute keine Chance.
Wenn man gegen Abend bei den Einwohnern von Hoga vorbeigeht, scheint es wie vor 5000 Jahren zu sein. Sie sitzen in ihren Pfahlbauhäusern auf Stelzen und schauen aufs Wasser hinaus. Doch etwas ist anders als vor 5000 Jahren: Manche der Pfahlbauer haben ein Handy am Ohr und hören Hits, die sie sich online heruntergeladen haben. Sie hören Hits wie den «Earth Song» von Michael Jackson.
Kurt W. Zimmermann ist Verlagsunternehmer. Er ist Kolumnist und Buchautor zu den Themen Medien und Outdoor-Sport. Zudem studiert er Biologie.