FDP-Präsident Fulvio Pelli ist ein gutes Beispiel für eine öffentliche Selbstverbrennung. Der Tessiner übergoss sich sozusagen mit Benzin und griff zum Feuerzeug. Jahrelang hatte er die Segnungen der Kernenergie gepriesen. In einer halsbrecherischen Kehrtwende schwenkte er nun um zum Atomausstieg.
Pelli verbrannte sich sozusagen öffentlich.
Damit ist die Frage dieser Kolumne gegeben: Wer ist klüger, die Korkeiche oder der Rosmarinstrauch?
In den trockenen Buschwäldern am Mittelmeer gibt es seit Jahrtausenden eine dominierende Gefahr. Die Gefahr sind die Waldbrände. Waldbrände können natürlich entstehen, etwa durch Blitzschlag, oder aufgrund zivilisatorischer Ursachen, etwa durch Herdfeuer. Die Brände ziehen, vom Wind getrieben, schnell vorbei.
Die Pflanzen im Buschwald müssen sich darum an das Leben mit der Brandgefahr anpassen. Sie haben zwei Möglichkeiten. Sie können sich, um zu überleben, vor dem Feuer schützen. Oder sie können sich, um zu überleben, dem Feuer ergeben.
Die Korkeiche (Quercus suber) wählt Möglichkeit eins. Sie umgibt ihren Stamm mit einer dicken Zelluloseschicht. Die Schutzhülle hält dem Waldbrand so lange stand, bis er weitergezogen ist. Dann kann sich der unversehrte Stamm der Eiche regenerieren.
Der Rosmarin (Rosmarinus officinalis) wählt Möglichkeit zwei. Er speichert in seinen Blättern hochentzündbare ätherische Öle. Er übergiesst sich sozusagen selber mit Benzin. Dadurch brennt er in kürzester Zeit lichterloh. Der Waldbrand zieht weiter, und die unversehrte Wurzel des Rosmarins kann sich regenerieren.
Man kann sich gegen Feuer also auf zwei Arten wehren. Man kann es durch Brandschutz oder durch Selbstverbrennung tun. Fulvio Pelli versuchte es mit der Rosmarin-Technik. Er hoffte darauf, dass sich seine Partei an den Wurzeln regenerieren würde.
Korkeiche und Rosmarin sind auch die beiden Strategien, die man als Manager wählen kann. Man wählt zwischen der Durchhalte- und der Anpassungsstrategie.
Nehmen wir an, man versucht, im Verwaltungsrat eine grössere Akquisition durchzubringen. Das Gremium reagiert aber skeptisch. Nun kann man auf die Korkeichen-Methode setzen und alle Widerstände und Kritik abzublocken versuchen. Oder man kann auf die Rosmarin-Methode setzen und während der Sitzung plötzlich sagen: «Okay, vielleicht haben wir die Sache zu wenig gründlich geprüft. Ich ziehe meinen Antrag zurück.»
Interessanterweise ist der Rosmarin-Ansatz für die Karriere oft hilfreicher. Selbstverbrennungen schaden der Glaubwürdigkeit nicht, im Gegenteil. Wenn man Monate später mit einer neuen Akquisition vor den Verwaltungsrat tritt, hat man es oft sogar leichter als beim vorherigen Mal. Es kann vertrauensbildend sein, dass man sich zuvor eigenhändig abgefackelt hat.
Die Technik des Rosmarins ist die Kunst des gezielten Scheiterns. Es ist die Kunst der gekonnten Resignation und des intelligenten Opportunismus. Man verbrennt sich selber, um zu überleben.
Es gibt viele historische Beispiele, die diese Einsicht belegen. Franz Josef Strauss etwa verbrannte sich 1962 öffentlich in der «Spiegel»-Affäre. Bereits 1966 war er wieder Bundesfinanzminister. Steve Jobs verliess Apple 1985 als Buhmann. 1997 kehrte er triumphal zurück. UBS-Präsident Mathis Cabiallavetta übernahm 1998 die Verantwortung für Hedge-Fund-Verluste und ging. Inzwischen ist er längstens wieder Vizepräsident der Swiss Re.
Der Rosmarin lehrt uns: Man muss verlieren können, um später zu gewinnen.
Kurt W. Zimmermann ist Verlagsunternehmer. Er ist Kolumnist und Buchautor zu den Themen Medien und Outdoor-Sport. Zudem studiert er Biologie.