Stellen Sie sich einmal vor, Sie würden gefressen. Es hätte Sie zum Beispiel in einen tropischen Wald verschlagen. Es gäbe eine Menge grosse und hungrige Raubtiere hier. Diese hätten die Absicht, Sie aufzufressen. Was tun?
Die meisten von uns würden in dieser Situation zuerst einmal in Deckung gehen. Wir würden uns dunkelbraun anziehen, uns reglos ins Gebüsch legen und hoffen, dass die verdammten Viecher uns mit unserer Tarnung nicht fänden.
Die wenigsten von uns würden in dieser Situation ein neongelbes Hemd, dazu eine knallweisse Hose anziehen und in diesem Outfit weithin leuchtend in einer Lichtung herumtanzen. Wir würden es nicht tun, weil wir fürchten müssten, dass die verdammten Viecher uns dann sofort fänden und mit dem Verzehr von uns begännen.
Damit sind wir beim heutigen Thema angekommen. Es handelt von Fischen im Korallenriff und dem richtigen Verhalten von Managern.
Es gibt ja auf diesem Planeten nichts Bunteres als die Fische im Korallenriff, die Doktor-, Clown-, Regenbogen- und Kardinalfische. Sie sind extrem farbig, gelb, blau, rot, orange und grün. Sie tarnen sich nicht, im Gegenteil, sie schillern in allen Spektren.
Damit müssten die schillernden Buntfische eigentlich eine leichte Beute für die Raubfische sein, die sich im Korallenriff aufhalten. Das gelbe, blaue, rote, orange und grüne Outfit ist geradezu ein gastronomisches Signal: Komm her und friss mich!
Viele Raubfische aber lehnen die Einladung ab. Sie trauen der Sache nicht. Irgendetwas muss faul sein mit diesen provozierenden bunten Fischen, sagen sie sich, vermutlich sind die giftig. Also fressen die Raubfische lieber irgendeine graue Spezies, die gerade vorbeischwimmt. Die Grauen scheinen ihnen unverdächtig. Was getarnt ist, wird leichter gefressen.
Wie schützt man sich im Wirtschaftsleben vor den Raubfischen, die am Nebenpult, im Nebenbüro und im Nebengebäude lauern? Die meisten Aufsteiger versuchen es mit der Tarntechnik, einem dunklen Anzug mit allenfalls einem Farbtupfer bei der Krawatte, konventionellem Benehmen, unauffälligen Sprech- und Bewegungsmustern.
Dann gibt es die Korallenfische in den Unternehmensetagen, die sich wenig an die graue Etikette halten. Das bunte Äussere wird oft ergänzt durch einen etwas extravaganten Persönlichkeitsstil. Typen wie Sergio Marchionne, Steve Jobs, Daniel Vasella, Michael Capellas, Nick Hayek und Dietrich Mateschitz gehören in diese Kategorie. Sie waren schon Korallenfische, als sie am Anfang ihrer Karriere standen und gewöhnliche Mitarbeiter und noch keine unangreifbaren Erfolgsunternehmer waren.
Wenn man als bunter Fisch auftritt, dann signalisiert man, dass man etwas Spezielles ist. Man mahnt den Gegner zu Vermeidungsverhalten. Pass auf, heisst die Botschaft, wenn du dich mit mir anlegst, gehst du ein Risiko ein. Ich bin Gift für dich.
Man muss kein grosser Raubfisch sein, um auf diese Weise Eindruck zu machen. Es gibt zwar keine Statistik zu diesem Bereich der Fischpopulation, aber es ist doch auffällig, wie viele Topmanager von durchschnittlichem bis eher geringem Körperwuchs sind. Sie sind keine Haie und haben es dennoch an die Spitze eines Unternehmens gebracht. Man braucht kein Riese zu sein, um es nach oben zu schaffen.
Es geht einfacher: mit Tarnung durch Buntheit.
Kurt W. Zimmermann ist Verlagsunternehmer. Er ist Kolumnist und Buchautor zu den Themen Medien und Outdoor-Sport. Zudem studiert er Biologie.